Joe Bidens politisches Vermächtnis steht auf dem Spiel: Das ehrgeizige „Build Back Better"-Gesetz scheitert an der Stimme eines einzigen demokratischen Senators. Die Republikaner spielen indessen auf Zeit.
Es war ein beispielloser Vorgang, der die Feststellung der Wahl Joe Bidens zum 46. Präsidenten der USA begleitete. Der Sturm aufs Kapitol durch Trump-Unterstützer, fünf Tote und eine „große Lüge", die der Ex-Präsident bis heute verbreitet. Die Nachwirkungen dessen, was am 6. Januar 2021 geschah, sind noch heute sichtbar. Denn noch immer bietet Trumps aggressiver Populismus den niedersten Instinkten der Republikanischen Partei eine Blaupause für den Umgang mit der Amtszeit des Demokraten Joe Biden. Doch auch ohne die Querschüsse der Republikaner muss Biden um das wichtigste Projekt seiner Amtszeit fürchten.
Er war angetreten, die USA zu heilen, zu vereinen – mithilfe von viel Geld. „Build Back Better", zu Deutsch etwa „Besserer Wiederaufbau", nannte Biden das Kernstück seiner politischen Agenda. Das 3,5 Billionen US-Dollar schwere Paket spiegelt ebenjene politischen Wünsche wider, die die Demokraten seit Jahrzehnten hegen: Maßnahmen gegen den Klimawandel, für eine stärkere Erwerbsbeteiligung von Frauen, gegen Rassen- und Einkommensunterschiede.
Weißes Haus sucht nach Lösungen
Doch daraus wird nichts. Alle Republikaner sind dagegen, soweit, so vorhersehbar. Aber ein einziger demokratischer Senator hat die Macht, die progressive Agenda Bidens vollständig zum Halten zu bringen: Joe Manchin (West Virginia). Und er nutzt sie.
Wegen ihrer dünnen Mehrheit von nur einer Stimme im Senat – derjenigen der Senatspräsidentin, Vizepräsidentin Kamala Harris – braucht das Weiße Haus für seine Gesetzesvorhaben alle anderen demokratischen Senatoren an Bord. Manchin galt schon immer als einer der konservativsten Demokraten, hält Anteile an einem Unternehmen der Kohleindustrie, gewann auch deswegen einen der erzkonservativsten Bundesstaaten für die Demokraten. Ein Achtungserfolg. Das Gesetz, das Joe Biden durch den Senat bringen will, ist Manchin aber zu teuer. Seit einem halben Jahr verhandelt das Weiße Haus nun mit einem einzigen Senator der eigenen Partei, kürzte das Paket letztlich auf unter zwei Billionen Dollar, um dann kurz vor Weihnachten zu erfahren, dass Manchin endgültig gegen das Paket stimmen werde.
Die beiden großen Parteien der USA waren nie eine einigermaßen homogene politische Organisation, vergleichbar mit deutschen Parteien, und dafür steht Joe Manchin, Vertreter des konservativen Flügels. Ihm gegenüber: die extrem Progressiven der Partei wie Alexandria Ocasio-Cortez, die das Momentum der Präsidentschaft nutzen wollen, um die extrem aufklaffende Schere zwischen Arm und Reich jetzt zu schließen. Dazwischen: das Partei-Establishment wie Mehrheitsführer Chuck Schumer und die Vorsitzende des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi, Senatorin Elizabeth Warren – progressiv, ja, aber bitte nicht zu radikal, um niemanden zu verschrecken.
Alle Eckpfeiler, Radikal-Progressive, Moderate, Liberale und Konservative der Partei, waren bislang nicht in der Lage, die schon vor der Präsidentschaft Bidens erkennbaren Brüche zu kitten. Unüberbrückbar sind die Differenzen nicht, Manchin scheint weiterhin eine Tür für weitere Verhandlungen offenzulassen. Aber einstweilen ist das wichtigste Projekt der Amtszeit Bidens ausgebremst.
Und die Kongresswahlen 2022 könnten das Blatt zuungunsten des Präsidenten wenden. Denn die vielfach republikanisch geführten bundesstaatlichen Parlamente dürfen die Wahlbezirksgrenzen in diesem Jahr wieder neu ziehen – und das tun sie zugunsten ihrer Partei. Mindestens sechs der Demokraten, die sich zurückziehen, befinden sich nach Medienangaben damit plötzlich in Bezirken, in denen die Republikaner die Mehrheit registrierter Wähler stellen. Gleichzeitig ändern republikanische Kammern Wahlgesetze, schließen Wahllokale in vor allem von Schwarzen bewohnten Gegenden, verbieten das Aushändigen von Wasser und Essen an Wartende vor Wahllokalen, verkürzen Fristen, so geschehen in bislang 19 Bundesstaaten.
Offene Feindschaft der Parteien
Auf Bundesebene versuchen die Demokraten, dies zu verhindern – bislang erfolglos. Im Senat kann die unterlegene Partei mit dem sogenannten Filibuster, das Aufschieben von Senatsentscheidungen durch überlange Reden, Gesetzesabstimmungen verhindern. Die größten politischen Änderungen der vergangenen Jahre, „Obamacare" und Donald Trumps massive Steuererleichterungen, kamen nur zustande, weil die regierende Partei den Filibuster umgangen hat. Jetzt wollen einige Demokraten ihn ganz abschaffen, um die Rechte der Wähler gegen den Einfluss der republikanischen Gesetzesvorhaben zu schützen. Dafür benötigen sie eine einfache Mehrheit – aber selbst die kommt wegen interner Querelen nicht zustande, die konservativen Senatoren Manchin und Kyrsten Sinema (Arizona) sind dagegen.
Verlieren die Demokraten ihre Mehrheit im Repräsentantenhaus im Herbst 2022, schließt sich das knappe Zeitfenster zum Durchsetzen progressiver Gesetze. Idealerweise zwänge dies Demokraten und Republikaner an einen Tisch, um diese neu auszuhandeln. Weil aber die Republikanische Partei weiterhin einen Eiertanz um die Deutungshoheit der Kapitol-Erstürmung am 6. Januar aufführt und die Betrugsvorwürfe von Ex-Präsident Trump als „Ausdruck von Sorge um die Integrität von Wahlen" abtut, um die eigene Basis nicht zu verschrecken, ist eine Zusammenarbeit zwischen beiden Parteien eher nicht zu erwarten. Im Gegenteil: der Polit-Blog „Daily Beast" schreibt mittlerweile von offener Feindschaft.
Und dann ist da noch das Corona-Virus. Die Omikronvariante breitet sich in den USA rasch aus. Nicht nur, dass nach einer Medienumfrage 29 Prozent der Wähler nicht geimpft sind und ein Großteil davon es auch nicht plant. Mittlerweile gerät das Center for Disease Control, die amerikanische Gesundheitsbehörde, selbst bei Geimpften unter Beschuss. Ständig werden Quarantäneregelungen geändert, das CDC verteidigt sich damit, dass dies mit der sich schnell verändernden wissenschaftlichen Datengrundlage zusammenhänge.
Biden steht Anfang 2022 unter massivem Druck. Er, der wegen seiner jahrzehntelangen Senatserfahrung als gewiefter „Dealmaker" gilt, muss vor den Kongresswahlen einen Achtungserfolg erzielen. Die Umfragewerte sind seit dem überstürzten Truppenabzug aus Afghanistan im Keller, Vizepräsidentin Kamala Harris kämpft mit schlechten Imagewerten wegen bürointerner Streitigkeiten, die Inflation ist hoch, Misskommunikation untergräbt das Vertrauen von geimpften Amerikanern in die Regierung. Und kaum eines seiner Versprechen konnte Joe Biden bislang einhalten. Bis jetzt keine gute Ausgangslage für Harris, um ihren 79-jährigen Boss im Präsidentschaftswahlkampf 2024 zu beerben. Und während die Republikaner Wahlgesetze zu ihren Gunsten ändern, Linientreue in verantwortliche Positionen für kommende Wahlen heben und sich weiterhin nicht von Donald Trump lossagen, wartet dieser mit gelegentlichen schriftlichen Einwürfen an der Außenlinie. 2024 will er wieder zurück aufs Spielfeld – als 47. Präsident. Noch im Januar trafen sich 15 Ex-Angestellte der Regierung Trump, um einen Plan zu erörtern, ihren Ex-Chef 2024 zu verhindern, darunter seine Ex-Pressesprecherin Stephanie Grisham, so das US-Magazin „Politico". Ob sie damit Erfolg haben, ist derzeit fraglich. Laut Umfragen glauben mehr als die Hälfte aller republikanischen Wähler, die Wahl 2020 sei Trump gestohlen worden. Die „große Lüge" bleibt weiterhin ein Menetekel für die größte Demokratie der Welt. Und manche behaupten, der nächste Coup hätte längst begonnen.