Michael Patrick Kelly war der Mädchenschwarm der Kelly Family. Nun, mit 43 Jahren, gehört der amerikanisch-irische Sänger, Songwriter und Produzent zu den erfolgreichsten Solokünstlern Europas. Hier spricht er über seine Zeit als Mönch und den Ort, an dem er einmal begraben sein möchte.
Herr Kelly, der Titel Ihres neuen Albums „B.O.A.T.S" bedeutet „Based on a true Story" („Basierend auf einer wahren Geschichte"). Ist es eine durch und durch autobiografische Platte?
Die 15 Songs basieren sowohl auf eigenen biografischen Erfahrungen als auch auf wahren Geschichten von anderen, die mich inspiriert haben. Ich wollte ein Album erschaffen, das Menschen Mut macht, tröstet und Hoffnung spendet in einer Zeit, in der wir täglich mit schlechten Nachrichten konfrontiert werden. Wir haben alle in dieser Pandemie gemerkt, dass es auch „Seeleninzidenzen" gibt. Die Feuerwehr und Polizei sind für unsere Sicherheit zuständig, die Leute in der Wirtschaft für das Fließen der Kohle und die Politiker fürs Regieren. Und wir Musiker sind für Emotionen da. Musik kann heilsam wirken. Wie eine Therapie, die hilft, Emotionen zuzulassen.
Wie wird aus einer persönlichen Begegnung ein Song?
Ich trete manchmal in Gefängnissen auf, und vor vielen Jahren hatte ich eine Begegnung mit einem Häftling. Er durfte sich ein bisschen freier bewegen als die anderen, trug einen langen Bart und wirkte friedlich und ausgeglichen. Auf dem Weg zu seiner Zelle erfuhr ich, dass er lebenslänglich bekommen und nur noch ein paar Jahre vor sich hatte. Was er verbrochen hatte, weiß ich bis heute nicht. Er kam mir aber in dem Moment nicht wie ein Mörder vor.
Wie sah seine Zelle aus?
Sie war voller Ikonen, die er gemalt hatte. Er erzählte mir, dass er im Gefängnis zu einem gläubigen Menschen geworden sei. Für eine Ikone brauchte er drei Monate. Das Ganze soll man betend und meditierend tun. Ich erfuhr von ihm, dass er sich einem griechischen Kloster angeschlossen hatte, in das er nach seiner Entlassung auch als Mönch eingezogen ist. Aus dieser Inspiration heraus ist der Song „Icon" entstanden. Selbst in einem Mörder steckt noch irgendwo ein guter Samen drin. Wenn man den erweckt, kippt der ganze Mensch. Solche „Redemption Stories" finde ich als Songwriter extrem spannend.
Sie haben selbst sechs Jahre als Mönch in einem Kloster in Frankreich gelebt und keine Musik mehr gemacht. Haben Sie das getan, weil Sie nicht wussten, wie es bei Ihnen weitergehen soll?
Teilweise ja. Ich hatte mit Anfang 20 eine persönliche Krise, mein damaliges Leben ein bisschen satt und die Leidenschaft für Musik fast verloren. Damals interessierten mich die Frage nach Gott und philosophische Themen, wie die Suche nach dem Sinn des Lebens. Wer bin ich? Wo komme ich her? Wo gehe ich hin, wenn ich sterbe? Der mönchische Lifestyle war ideal, um dem auf den Grund zu gehen.
Wer oder was hat Sie damals aus der Krise gerettet?
Ich habe die Gelben Seiten aufgeschlagen, einen Therapeuten angerufen und mich parallel für Religion und Philosophie interessiert. Heute spricht man viel offener über mental health (psychische Gesundheit; Anm.d.Red.) als früher. Wenn man vor 20 Jahren erzählte, man geht zum Therapeuten, galt das als Zeichen von Schwäche.
Dabei packte man ein Problem an der Wurzel an. Amerikaner wie Oprah Winfrey und Larry King waren uns da voraus, indem sie ständig Psychologen in ihre TV-Shows einluden. Ich habe damals eine anderthalbjährige Therapie absolviert und mich gleichzeitig in christliche Mystik und Spiritualität vertieft. Schließlich führte es dazu, dass ich fünf Jahre später im Kloster einen Reset machte.
Sie haben mal gesagt, Sie hätten durch die Zeit im Kloster den inneren Frieden gefunden. Ist heute die Musik für Sie eine Zugangsform zu Gott?
Manche meiner Texte sind zweideutig, aber nicht jeder hat eine transzendente oder spirituelle Ebene. Auf meinem Album „B.O.A.T.S" erzähle ich auch Geschichten, die das Leben schreibt. Zum Beispiel bei „Mother’s Day". Meine Mutter ist schon mit 36 Jahren an Brustkrebs gestorben, ich war damals fünf und lebte in einem kleinen Dorf in Nordspanien. Ein halbes Jahr später wollte ich ihr zum Muttertag Blumen bringen. Auf dem Weg dahin habe ich einfach das gepflückt, was ich auf den Feldern finden konnte. Als ich dann am Friedhof ankam, sah ich, dass die anderen Grabsteine schöne Blumensträuße hatten, dagegen sahen meine Wildgewächse nicht sehr cool aus. Deswegen habe ich die Blumen von allen anderen Gräbern geklaut und auf das Grab meiner Mutter gelegt.
Haben Sie das Grab Ihrer Mutter in letzter Zeit besucht?
Ich bin vor Kurzem mit einem Pick-up- Truck voller Blumensträuße in dieses Dorf gefahren, um das mit dem Klauen wieder gutzumachen. Auf jedes Grab habe ich einen Strauß gelegt. Ein paar Frauen aus dem Dorf bekamen das mit und fingen an zu weinen. Damit schloss sich für mich ein Kreis. „Mother’s Day" ist ein Happy-Sad-Song mit einem Augenzwinkern.
Hatten Sie beim Erarbeiten von „Mother’s Day" das Gefühl, dass sich da der erwachsene Michael Patrick mit seinem fünfjährigen Ich verbindet?
In gewisser Weise schon. Ich habe nicht viele Erinnerungen an meine frühe Kindheit. Für mich ist Songschreiben ein Prozess, bei dem man Dinge verarbeiten und abschließen kann, die rational nicht fassbar sind. Ich sage gern „Songwriting is Soul Mining". (Songschreiben ist Seelenschürfen; Anm.d.Red.) Es geht mir darum, unbekannte Zonen in meinem Innenleben zu erforschen und daraus Songs entstehen zu lassen. Nicht nur die Entscheidungen, die wir Menschen treffen, machen uns aus, sondern auch unsere Prägung, Kindheit und Erziehung.
In „Fake Messiah" geht es unter anderem um staatliche und kirchliche Programme in Nordamerika, die Kinder der Native Americans in Umerziehungsschulen schickten. Was ist dort mit den Kindern passiert?
Ich kann mich als gläubiger Mensch nicht mit Dingen identifizieren, die das Gegenteil von christlich sind. Das versuche ich mit „Fake Messiah" zu beleuchten. In der ersten Strophe geht es um die Umerziehungsschulen in Kanada und Nordamerika. Man wollte den Indianer im Kind töten, und so beginnt auch die erste Zeile: „You kill the Indian in the child and dare to say God is on your side". Es ist das Gegenteil von wahrer Religion, wenn man Menschen ihre Freiheit raubt und Gott als Rechtfertigung für Gräueltaten benutzt.
In der zweiten Strophe geht es um die Apartheids-Ideologie in Südafrika.
Man hat dort den biblischen Ausdruck „auserwähltes Volk" missbraucht, um die Rassentrennung zu rechtfertigen. Im dem Land lebten damals aber auch tiefgläubige Menschen wie Desmond Tutu und Nelson Mandela. Als Letzterer Präsident wurde, hätte er auch Rache predigen können, dann wäre es in Südafrika zu einem Gemetzel wie in Ruanda gekommen.
Mandela hat aber nach 27 Jahren im Gefängnis Versöhnung und die „Rainbow Nation" ausgerufen. Damit kann ich mich identifizieren.
Besitzt die Kirche für Sie nach den vielen Missbrauchsfällen noch Glaubwürdigkeit?
Ich persönlich habe im christlichen Glauben viele Schätze gefunden, aber es gibt in der Kirche auch sehr viel Schmutz, der aufgeräumt werden muss. Napoleon soll mal zu einem Kardinal gesagt haben: „Sie wissen, dass ich in der Lage bin, die Kirche zu zerstören!". Darauf bekam er vom Kardinal die Antwort: „Das haben selbst wir in all den Jahrhunderten nicht geschafft!"
Sie machen sich in dem Song „Home" bereits Gedanken über den Ort, an dem Sie einmal begraben sein möchten: Irland. Ist das nicht etwas zu früh?
Ich habe allein in diesem Jahr im nahen Umfeld vier Menschen verloren, zum Teil jung und völlig unerwartet. Niemand von uns weiß, wann es so weit ist. Ich finde, dass wir in unserer westlichen Kultur das Thema Tod zu sehr verdrängen. Wir lernen laufen und sprechen, lieben und arbeiten, aber nicht, wie man sich auf den großen Übergang vorbereitet und sich in Frieden verabschiedet. Will Smith sagte in einer Rede: „Face your fears!" (Stell dich deinen Ängsten; Anm.d.Red.) und eine unserer größten Ängste ist der Tod, weil wir nicht wirklich wissen, was danach passiert. Für manche ist dann das Spiel aus, für andere gibt es eine Seele, die weiterlebt. Ich habe mich diesem Thema gestellt und akzeptiert, dass es irgendwann mit mir auf Erden vorbei ist.
Sie haben keine Angst vor dem Tod?
Ich habe keine Angst vor dem Tod, habe aber auch keine Lust zu sterben. Denn das macht sicher keinen Spaß. Der Tod hat aber nicht das letzte Wort. Mit dem hoffnungsvollen Song „Home" habe ich vorsorglich mein musikalisches Testament gemacht. Bevor ich nichts mehr sagen kann, tue ich das lieber jetzt. Und ich hoffe, dass es auch trauernden Menschen vielleicht hilft, besser zu trauern, statt davonzulaufen. Im Universum herrschen ja ein unglaubliches Timing und eine unfassbare Harmonie. Das ist wie ein Song, der aus Tempo und Tönen besteht. Es muss einen Songwriter geben, der das ganze Universum geschrieben hat. Den nenne ich den unsichtbaren Regisseur meines Lebens, und mit ihm verbinde ich mein ewiges Zuhause, „Home".
Können Sie sich eigentlich noch an Ihren allerersten Auftritt vor Publikum erinnern?
Ich hab tatsächlich vor Kurzem ein altes Foto von meinem allerersten Auftritt geschenkt bekommen. 1977 bin ich in Dublin in einem Campingwagen geboren worden. Keine zehn Tage später fand ein Auftritt in Irlands größter Fernsehshow statt, „The Late Late Show". Meine Mutter wollte mich nicht hinter der Bühne irgendwelchen ihr unbekannten Babysittern überlassen, deswegen nahm sie mich als zehntägiges Baby einfach mit auf die Bühne. Das war mein erster Auftritt (lacht). Ich habe da auf jeden Fall nicht Vollplayback gesungen.
Ohne Musik sind Sie angeblich unausstehlich. Wie kamen Sie da mit der Pandemie zurecht?
Für mich liegt eine Hälfte der Erfüllung des Musikmachens im Songschreiben und Produzieren im Studio. Dann hat man ein Werk wie „B.O.A.T.S" geschafft, geil! Aber die zweite Hälfte der Erfüllung als Musiker ist das Live-Erlebnis mit Publikum. In dem Moment spürt man, dass Menschen deine Songs in ihr Leben integriert haben, weil sie die Texte auswendig mitsingen. Das hat mir sehr gefehlt. Ich habe letztes Jahr ein paar Autokinokonzerte gegeben, um meine Band und Crew zu unterstützen, die kaum Jobs hatten. Aber was das richtige Live-Konzerterlebnis angeht, fühle ich mich im Moment wie ein Rennpferd, das darauf wartet, dass die Schranke sich endlich öffnet.