Sir Alex Ferguson feierte vor Kurzem seinen 80. Geburtstag. Seine außergewöhnliche Art hat ihn zu einem der besten, vielleicht sogar dem besten Trainer der Welt werden lassen. Das war ein Segen und ist mittlerweile Fluch für Manchester United.
Sir Alex Ferguson hat alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt. Die große Frage, die sich einige Menschen jahrelang gestellt haben, war: Wie hat er das geschafft? Was hat er so Besonderes gemacht, dass seine Spieler eine solche Siegermentalität entwickelten? Mittlerweile gibt es genügend Bücher, Interviews oder Dokumentationen, um ein schlüssiges Bild über den Trainer Ferguson zu zeichnen. Alex Ferguson gilt als Genie, das durchaus gerne auch in den Wahnsinn abrutschen konnte. Er beschäftigte sich fast schon besessen mit sämtlichen Aspekten des Fußballs und bedient sich seines außerordentlichen, Freunden zufolge „fotografischen" Gedächtnisses, um Informationen über Spieler, Systeme und dergleichen zu speichern. Doch hinter seinen Erfolgen steckt noch mehr. Seine grimmige Entschlossenheit geht mit einer Persönlichkeit einher, die als die unerbittlichste im britischen Fußball gilt – was er selbst keineswegs leugnet. Im Gegenteil: Er nennt „Macht und Kontrolle" als seine wichtigsten Werkzeuge. Alles begann 1974 bei seiner ersten Station East Stirlingshire, wo er für 50 Pfund die Woche anheuerte. Auch da durften die Spieler schon die „Hairdryer-Methode" kennenlernen. Mittelfeldspieler Billy Stark, den Ferguson zu St. Mirren holte und später nach Aberdeen mitnahm, erinnerte sich: „Er baute sich direkt vor einem Spieler auf und stauchte ihn richtig zusammen. Niemand hat es jemals gewagt, ihm Widerworte zu geben." Stark, der heute die schottische U 21 betreut, ergänzt: „Das konnte einen schon ziemlich mitnehmen, aber mich machte es zu einem besseren Spieler. Ich glaube nicht, dass Ferguson so etwas ohne Kalkül machte. Da steckte mehr dahinter als nur Wut. Das war seine Art, Spieler auf die Probe zu stellen und zu schauen, ob sie den Mumm hatten, die Herausforderung anzunehmen. Ich beschloss, es ihm zu zeigen. Ich habe nie wieder dem Ball den Rücken zugekehrt."
Ferguson setzte auf totale Überwachung
Seine Wutausbrüche waren also eine Möglichkeit, seiner Macht Ausdruck zu verleihen. Ein weiterer wichtiger Teil seiner Führung, die Kontrolle über seine Spieler, zeigte er ihnen damit, sie ständig zu beobachten. „Er war allgegenwärtig", erinnert sich Billy Stark. „Man spürte förmlich, dass er einen nie aus den Augen ließ. In Aberdeen überließ er die Leitung der Trainingseinheiten seinem Assistenten Archie Knox. Dann tauchte irgendwann sein schwarzer Mercedes auf und bog auf den Parkplatz ein. Manchmal sah er einfach von dort aus zu. Das hatte Methode: Wir wussten, dass er da war, und genau das wollte er. Wir sollten das Gefühl haben, dass ihm nichts entgeht. Dieser Kontrollwahn war ihm schon immer zu eigen." Zudem versuchte er, die Schiedsrichter einzuschüchtern und den Spielern einzubläuen, die ganze Welt wäre gegen sie. In Schottland war es angesichts der Übermacht von Celtic und den Rangers noch relativ einfach, seinen Spielern den Status des ewigen Underdogs zu vermitteln.
Um den gleichen Effekt bei Manchester United zu erzielen, war allerdings eine regelrechte Gehirnwäsche nötig – und trotzdem gelang es Ferguson Jahr für Jahr. Und hier übte er seine Kontrolle im gleichen Maße aus, wie vorher. Anfang 2010 hatte er bei einem Vortrag vor Philosophiestudenten im Dubliner Trinity College gesagt: „Die beiden entscheidenden Faktoren in meiner Karriere waren Macht und Kontrolle. Kontrolle ist das Wichtigste. Sobald ich über die Multimillionäre bei Manchester United die Kontrolle verliere, kann ich einpacken. Sobald jemand versucht, sich meiner Kontrolle zu entziehen, kann er einpacken." So kam es, dass auch diese Spieler immer wussten, wer der Chef war. So erging es auch Roy Keane. Als Führungsspieler und Kapitän war er der verlängerte Arm von Ferguson. Als er älter und ersetzbar wurde und sich mit einem Interview ins Abseits schoss, transferierte er ihn zu Celtic Glasgow. Als Wayne Rooney 2010 Wechselabsichten hegte, brachte Ferguson die Medien gegen ihn auf, und Rooney unterschrieb einen Fünfjahresvertrag. Der einzige Spieler, der eine gewisse Freiheit genoss, war Eric Cantona. „Ich wusste, dass Eric ein besonderer Kopf war, also musste ich ihn auch besonders behandeln", so Ferguson. Doch damit war auch Schluss, als Cantona einen Fan mit seinem legendären Tritt attackierte. „Ich wusste, er war fertig", gestand Ferguson. Auf die Frage, welches die drei wichtigsten Elemente seines Führungsstils waren, sagte Ferguson: „Kontrolle, Beobachtung und der Umgang mit Veränderungen."
Ferguson war all das in einer Person, wofür heutige Profivereine unzählige Spezialisten beschäftigen. Als er gefragt wurde, warum kein Psychologe seinem Team angehörte, sondern nur Co- und Torwarttrainer, erwiderte er: „Das mache ich selbst." Und so wird bei genauerer Betrachtung klar, warum es nach Sir Alex Ferguson keinen Trainer mehr gab, der Manchester United tatsächlich seinen Stempel aufdrücken konnte und warum jeder früher oder später scheiterte. Die Fußstapfen dieses einzigartigen Trainers und Menschen waren bisher einfach immer zu groß.
Mourinho blieb etwas mehr als zwei Jahre
Seit Ferguson Manchester United im Jahr 2013 verließ, gewannen die Red Devils nur noch vier Titel – davon sind einzig der FA Cup 2016 und die Europa League 2017 eine Erwähnung wert. David Moyes, mit Fergusons Segen erster Erbfolger, scheiterte 2014 bereits nach zehn Monaten. Louis van Gaal blieb eine Saison, José Mourinho zweieinhalb Spielzeiten. Ole Gunnar Solskjaer wurde am 20. November nach knapp drei erfolglosen Jahren entlassen. Gerade die letzten Wochen unter Solskjaer zeigten, wie mächtig der Schatten von Ferguson noch immer ist. Solskjaer war acht Jahre lang Stürmer unter Ferguson und Siegtorschütze beim legendären 2:1 gegen Bayern München im Finale der Champions League 1999. Solskjaer versuchte als Trainer, Fergusons Methoden zu reaktivieren. Er holte Fergusons Assistenten Mike Phelan zurück, die Spieler mussten am Spieltag wie früher Anzug tragen, er führte Fergusons legendäre Quiz-Abende wieder ein. Den Parkplatz, auf dem Ferguson seinen Wagen abstellte, benutzte Solskjaer aber nie. «Es würde sich falsch anfühlen», soll er seinen Mitarbeitern erklärt haben. So war der Parkplatz wie gewohnt frei, als Ferguson vor Kurzem beim Trainingsgelände in Carrington vorfuhr für einen Termin mit dem Club-TV.
Solskjaer sagte, Ferguson habe Geschäftliches zu besprechen gehabt, und schien nichts zu wissen vom Gespräch mit Cristiano Ronaldo. Ferguson kritisierte daraufhin Solskjaer, weil er Ronaldo gegen Everton nicht spielen ließ – wenig später wurde er entlassen. Nun soll es Ralf Rangnick richten, dessen Verpflichtung durchaus Sinn macht. Rangnick ist ein eigener Kopf und hat genaue Vorstellungen davon, wie ein Fußballverein zu funktionieren hat. Ohne dem jetzigen Trainer Unrecht zu tun – ein Vergleich mit Ferguson wäre lächerlich. Ferguson hat den englischen Fußball dominiert und die internationale Bühne mehrmals beherrscht. Ob seine Methoden bei der heutigen Spielergeneration noch fruchten würden, steht in den Sternen. Klar ist, seine alten Schützlinge nennen ihn heute noch „Boss", Cristiano Ronaldo bezeichnet den Schotten als seinen Fußball-Vater. Eine solche Persönlichkeit wird einmalig bleiben.