Im Januar wäre Muhammad Ali 80 Jahre alt geworden. Seine sportlichen Erfolge und sein vielschichtiges Leben faszinieren die Menschen in der ganzen Welt noch heute.
Muhammad Ali hatte gerade mal sechs Wochen Boxtraining hinter sich, er wog nur 40 Kilo und war noch ein Junge. Doch nach seinem Sieg im ersten Amateurkampf ließ Cassius Marcellus Clay jr., wie Ali mit Geburtsnamen hieß, die wenigen Zuschauer wissen: „Ich werde eines Tages der Größte aller Zeiten." Wie arrogant, wie anmaßend, wie unrealistisch. Und doch wurde seine Prophezeiung wahr. „Wenn sich Größe darin vermisst, das Herz eines jeden Menschen auf der Erde zu erfreuen", schrieb der berühmte Singer-Songwriter Bob Dylan einmal über Ali, „dann war er wirklich der Größte."
Am 18. Januar wäre Muhammad Ali 80 Jahre alt geworden, hätte ihn die tückische Krankheit Parkinson nicht das Leben gekostet. Der Spartensender Arte zeigte zu seinen Ehren eine herausragende Dokumentation über das Leben der Box-Legende. In den vier Teilen wird Alis Antrieb erklärt, seine umstrittenen Entscheidungen und der Wandel in der öffentlichen Wahrnehmung vom Schurken zum Staatshelden.
Kam nach einem Diebstahl zum Boxen
Zum Boxen kommt Ali durch einen Diebstahl, ihm wird in seiner Heimatstadt Louisville sein rotes Fahrrad gestohlen. Er meldet es dem Polizisten Joe Martin, der im Keller des Columbia Auditoriums eine Boxschule betreibt. Er sagt, er wolle den Dieb schnappen und umbringen. Martin antwortet: „Weißt du denn, wie man kämpft?" Fortan trainiert der Junge wie ein Besessener, er scheint seine Berufung gefunden zu haben. Viel Talent zeigt der schmächtige Junge nicht, aber sein Wille ist groß. Und Ali ist außergewöhnlich schnell. Mit den Füßen, den Händen, aber auch mit dem Oberkörper, den er nach hinten schnellen lässt, um Schlägen auszuweichen. Er perfektioniert diesen unkonventionellen Stil, der ihn bald nach ganz oben bringen soll.
Seine Goldmedaille im Halbschwergewicht bei den Olympischen Spielen 1960 in Rom ist der erste große Schritt dahin. Bei der Rückkehr in die Heimat wartet ein großer Empfang, der damals 18-Jährige nutzt den gestiegenen Bekanntheitsgrad und wechselt ins Profigeschäft. Eine Gruppe weißer Geschäftsmänner schließt mit ihm einen Vertrag. Die Suche nach einem passenden Trainer gestaltet sich kompliziert, weil Ali ein schwieriger Charakter ist. Dann erklärt sich Angelo Dundee bereit, den jungen Schwarzen aufzunehmen. Ein Glücksgriff. Dundee belehrt Ali nicht, er bringt ihn selbst dazu, an seinen Schwächen zu arbeiten. Und davon gab es eine Menge. Aber Dundee erkennt auch zwei Stärken: den Jab und das Selbstvertrauen.
Ali ist von sich und seinem Weg komplett überzeugt, und er lässt es alle wissen. Seine provokanten Sprüche, sein exzentrisches Verhalten, seine derben Beleidigungen für die Gegner – all das war damals neu, von einem schwarzen Mann erst recht. Zu seinem Markenzeichen wird, dass er vor Kämpfen die exakte Runde des Knock-outs vorhersagt. Oft behält er recht. Auch sein Motivationsspruch „Schwebe wie ein Schmetterling, stich wie eine Biene" macht die Runde. Ali ist inzwischen so populär und sportlich gerüstet, dass er sich seinen ersten WM-Kampf verdient.
„Ich werde die Welt auf den Kopf stellen"
Am 25. Februar 1964 tritt Ali in Miami gegen Titelträger Sonny Liston an. Den hatte er als „großen hässlichen Bären" beschimpft und nachts mit Hupkonzerten um den Schlaf gebracht. Viele sind der Meinung, Ali wolle mit diesen Aktionen nur seine Angst überdecken. Unmittelbar vor dem Kampf kommt sogar das Gerücht auf, der Herausforderer habe sich mit dem Flugzeug abgesetzt, weil er in seiner Kabine nicht aufzufinden ist. Dabei schaut sich Ali nur den Vorkampf seines Bruders Rahman am Ring an. Er ist die Ruhe selbst. Und wenig später läutet er eine neue Zeitrechnung im Boxsport ein. Ali entthront den völlig überraschten Liston, dem sogar schmutzige Tricks nicht helfen. „Ich werde die Welt auf den Kopf stellen", kündigt der neue Champion der Reporterschar am Ring an. Und er fängt sofort damit an.
Seinen muslimischen Glauben, den er schon Jahre zuvor bei geheimen Besuchen in Moscheen der Nation of Islam gefunden hatte, will er nicht länger verheimlichen. Er werde seinen „Sklavennamen" Cassius Clay ablegen und stattdessen Muhammad Ali heißen. In einer Zeit, in der sich schwarze Menschen in den USA für mehr Rechte erheben, radikalisiert er sich. Ali spricht sich gegen die Rassen-Integration aus, er fordert einen eigenen Staat für die schwarze Bevölkerung und bezeichnet das neue Bürgerrechtsgesetz als „Falschgeld". Beim einseitigen Kampf gegen Ernie Terrell brüllt Ali seinem Kontrahenten nach jedem Schlaghagel immer wieder zu: „Wie heiße ich?" Terrell hatte es gewagt, Ali bei der Pressekonferenz bei seinem Geburtsnamen zu nennen.
Die junge Generation der Afroamerikaner sieht in Ali ein Idol – viele andere Menschen eine Gefahr. Sportlich befindet sich Ali Mitte der 60er-Jahre auf dem Höhepunkt. Er schickt Liston im Rückkampf mit einem „Phantomschlag" schon in der ersten Runde auf die Bretter. Er tänzelt und siegt sich fleißig durch die größten Boxhallen der Welt. Er trifft Elvis Presley und die Beatles und genießt das Leben. Eine schier unstillbare Lust auf Sex begleitet Ali fast ein Leben lang, was auch zu zahlreichen Ehebrüchen führt. „Wenn du das Boxen im Blut hast, dann presse es raus", fordert ihn Nation-of-Islam-Führer Elijah Muhammad auf.
Doch Ali genießt den Rummel um seine Person – und er braucht das Geld. Seine Ausgaben steigen immer weiter, vor allem für Anwälte. Weil er sich weigert, in den Vietnam-Krieg zu ziehen, da dies sein muslimischer Glaube verbiete, wird er zu fünf Jahren Gefängnis wegen Wehrdienstverweigerung verurteilt. Auch seine Boxlizenz verliert er zwischenzeitlich. Aber Ali knickt nicht ein. „Selbst wenn sie mich vor ein Erschießungskommando stellen, bin ich bereit zu sterben." Erst später wird die Verurteilung wegen eines Verfahrensfehlers bei der Berufungskammer aufgehoben.
1970 erhält Ali seine Boxlizenz zurück, aber die dreijährige Pause ging nicht spurlos an ihm vorbei. Er bewegt sich langsamer, er ist schwerer und nicht mehr so reaktionsstark. Ali muss einen anderen Stil finden, um seine Kämpfe zu gewinnen. Er wird jetzt viel öfter getroffen und merkt, dass er Schläge gut wegstecken kann. Es ist die Grundlage für die epischen Kämpfe, die noch vor ihm liegen sollen. Einer davon ist der Titelkampf gegen Joe Frazier am 8. März 1971. Beide Athleten kassierten die Rekordbörse von je 2,5 Millionen US-Dollar, das erste Duell zweier ungeschlagener Champions elektrisierte die Sportwelt. Frazier, der einst als Fan Ali um ein Autogramm bat, weiß: Er muss Ali schlagen, ansonsten ist sein Gürtel nichts wert. Frazier trainiert wie ein Verrückter – Ali lässt es schleifen. Dafür bekommt er im Ring die Quittung.
In einer brutalen Schlacht schenken sich beide Kontrahenten nichts, am Ende entscheidet die Willenskraft. Und die war bei Frazier größer. Alis erste Niederlage ist aber gleichzeitig auch ein großer Sieg: Plötzlich wirkt er auch für seine vielen Kritiker menschlich. Und nichts lieben die Leute mehr, als Menschen, die sich nach einem Scheitern wieder nach oben kämpfen. Das tut Ali. Doch dafür muss er zunächst noch tiefer fallen: Bei einer zweiten Niederlage gegen den unbekannten Ken Norton bricht sich Ali den Unterkiefer, seine Karriere steht auf der Kippe. Nach der „Warnung Gottes", wie er es nennt, trainiert Ali wieder ernsthafter. Er gewinnt den Rückkampf gegen Norton, besiegt erneut Frazier – und fordert am 30. Oktober 1974 George Foreman heraus.
Kämpfte weiter trotz Gesundheitszustand
Der damals 23-Jährige war der Mann der Stunde im Schwergewicht, ihn will Ali im „Rumble in the Jungle" in Zaire zu Fall bringen. „Für mich ist das ein Heiliger Krieg, nicht nur ein Kampf gegen George Foreman", sagt Ali, der seinen Gegner „die Hoffnung des weißen Mannes" nennt. Ali fühlt sich in Afrika wohl, die Menschen lieben seine offene Art und rufen ihm zu: „Ali, bomaye" – Ali, töte ihn. Doch der hat einen anderen Plan, als sofort zu attackieren. Ali lässt sich von Foreman in die Seile drängen, wo er seinen Oberkörper nach hinten lehnt und Schläge auf seine Deckung in Kauf nimmt. Als Foreman müde wird, sticht Ali zu. Er kontert immer wieder blitzschnell und schlägt Foreman k. o. Der damalige US-Präsident Gerald Ford lädt Ali danach ins Weiße Haus ein und nennt ihn einen „Mann mit Prinzipien". Was für ein Imagewechsel!
Ali ist auf dem Zenit angekommen – doch er kann nicht aufhören. Es folgen weitere Kämpfe, unter anderem der „Triller in Manila" auf den Philippinen gegen seinen alten Widersacher Frazier. Ein barbarischer Schlagabtausch mit gesundheitlichen Folgen für beide. Ali schleppt sich nur noch von Kampf zu Kampf, gegen den ehemaligen Marine-Soldat Leon Spinks kassiert er eine sensationelle Pleite. Der Rückkampf, den er wieder überzeugend gewinnt, soll eigentlich sein letzter sein. Aber Ali macht nach einer kurzen Pause weiter. „Er hätte nicht gegen mich kämpfen sollen", sagte Larry Holmes, der einst als Alis Sparringspartner zum Boxen kam und sein Idol im Oktober 1980 verprügelte: „Aber er bekam zehn Millionen Dollar. Dafür kämpfst du gegen jeden."
Zu jener Zeit ist Alis bedenklicher Gesundheitszustand längst kein Geheimnis mehr. Er spricht deutlich langsamer, seine Hände zittern immer öfter. Doch die Ärzte geben ihm weiter grünes Licht. Nach der Niederlage gegen Trevor Berbick tritt Ali im Alter von fast 40 Jahren endgültig zurück. Doch es ist zu spät. Die Ärzte diagnostizierten bei ihm die unheilbare Krankheit Parkinson. Ali gerät mehr oder weniger in Vergessenheit. Bis zu Olympia 1996 in Atlanta, als er in einem bewegenden Moment bei der Eröffnungsfeier das Feuer entzündet. Die ganze Welt sieht seine Zerbrechlichkeit, es folgt eine Welle der Zuneigung. Am 3. Juni 2016 stirbt er, und die Sportwelt trauert um den Größten aller Zeiten.