Urban Priol spricht im Interview mit FORUM über sein aktuelles Programm: „Tilt! – Der satirische Jahresrückblick". Ältere werden sich erinnern: Tilt ist ein Mechanismus beim Flipperautomat. Wenn man den anhebt, um die Kugel im Spiel zu halten, schaltet er ab.
Bedauern Sie, dass Ihre Lieblingspolitiker, über die Sie so gern gespottet haben, weg sind, also Andreas Scheuer, Angela Merkel oder Horst Seehofer?
Was haben viele Menschen Tränen in den Augen gehabt, von wegen: „Oh, je, wir werden diese Frau noch sehr vermissen!" – und? Nun ist sie weg und niemand trägt Trauerflor. Horst Seehofer soll bei seiner Amtsübergabe gesagt haben: „Machen Sie es besser als ich!" – was für seine Nachfolgerin keine allzu große Herausforderung darstellen sollte. Und, mal ehrlich – wer einen Andi Scheuer vermisst, sollte einen Arzt aufsuchen. Ich vermisse alle drei nicht. Sie waren ja lange genug da.
Demnächst haben wir die Wahl zum Bundespräsidenten. Man kann sich ja von einem Landtagsabgeordneten zum Beispiel dazu delegieren lassen. Wählen Sie ihn mit?
Gerne würde ich einen Bundespräsidenten wählen, der zu verstehen gibt, wie überflüssig dieses Amt im Grunde geworden ist und somit für seine Abschaffung plädiert. Nach den Kostenposten Köhler, Wulff und dem selbstverliebten Gauck ahnt man allmählich: Den Grüßaugust geben, das ist nicht allzu schwer. Aber Trinken und Winken, das macht halt auch Spaß. Und lecker Essen vom Leibkoch täglich, das ist ja auch nicht zu verachten.
Könnten Sie sich vorstellen, selbst ein politisches Amt auszuüben?
Gewährte man mir die nötige Beinfreiheit, dann schon. Am liebsten im Abklingbecken zu Brüssel, da ist man öfter im Parlament zu Straßburg, wenn man dort im richtigen Restaurant einen Tisch reserviert – formidable!
Uns ist aufgefallen, dass in Ihrem Jahresrückblick Annalena Baerbock oder der neue Bundeskanzler Scholz relativ glimpflich wegkamen. Haben die noch eine Schonfrist?
Annalena Baerbock wurde ob ihres vergeigten Wahlkampfs zur Genüge gebasht. Nun macht sie als erste Außenministerin gar keine so schlechte Figur: Findet deutliche Worte zur chinesischen Diktatur und rüffelt die Europa-Verächter der polnischen PiS und Orbán, den Gulasch-Putin. Das hätte Angela Merkel niemals geduldet. Scholz reist ihr deshalb ja immer nach, um katzbuckelnd zu beschwichtigen, die außenpolitische Richtlinienkompetenz läge ja schließlich immer noch im Kanzleramt. Eine Schonfrist haben beide nicht, aber nun laßt sie doch erst mal machen.
Gibt es Themen, die Sie meiden?
Kommt selten vor, aber es gibt natürlich Dinge, dazu fällt einem wirklich nichts ein. Generell halte ich es mit meiner Herangehensweise sportlich: Ein Stürmer muß auch immer dorthin gehen, wo es wehtut.
Was halten Sie vom Gendern?
Ich hatte mich schon der Rechtschreibreform in Teilen verweigert, da kann mein Klapprechner heute unterkringeln, wie er will. „Daß" schreibe ich immer noch mit sz. Sieht für mich einfach schöner aus. Mit Gender-Sternchen oder Doppelpunkten tue ich mich auch schwer. Ich sage gerne weiterhin sperrig: „Liebe Zuschauerinnen, liebe Zuschauer." – im Zweifelsfall kann sich jede und jeder aussuchen, was er oder sie sein möchte.
Satire darf alles – ist der Satz richtig? Oder muss es Beschränkungen geben?
Natürlich darf Satire alles – nur sollte sie auf keinen Fall etwas auf Kosten der Schwächeren meinen dürfen zu können sollen.
Wir stehen Sie zur Cancel Culture, also Personen auszugrenzen, die etwas gesagt haben, das als beleidigend oder diskriminierend aufgefasst werden kann? Wir denken da an das Beispiel Ihrer Kollegin Lisa Eckhart, deren Äußerungen antisemitisch rüberkamen.
Von einem gesunden Spott sollte niemand ausgegrenzt werden, das wäre für die Betroffenen ja auch wieder irgendwie diskriminierend, so etwas wollen wir ja nicht. Ansonsten sollte man schon überlegen, ob eine Äußerung nur so „rüberkommt" oder vielleicht doch so gemeint ist. Das muß man dann aber schon mit sich selbst ausmachen.
Sie kommen manchmal sehr kumpelhaft rüber, man spürt, dass Sie sich um Volksnähe bemühen. Wie ist Ihr Verhältnis zum Publikum?
Ich bemühe mich nicht um Volksnähe, ich bin ja sehr nah beim Volk, da ich auch ein Teil dessen bin. Ich fühle mich im Festzelt oder im Fußballstadion genauso wohl wie in der Oper. Wenngleich ich da nicht immer verstehe, warum sich Menschen gegenseitig ansingen. Das machen sie im richtigen Leben ja auch nicht. Mein Verhältnis zum Publikum ist ein sehr treues. Da gehe ich nicht fremd.
Sie haben einmal „Neues aus der Anstalt" erfunden und jahrelang gemacht. Was halten Sie von der Sendung heute?
Georg Schramm und ich hatten uns zu „Neues aus der Anstalt" gefunden und das Konzept entwickelt, das war ein Glücksfall. Es war eine sehr schöne Zeit, auch in der zweiten Staffel mit Frank-Markus Barwasser. Nach sieben Jahren war es toll, auf dem Höhepunkt zu gehen. Wir wollten ja keine Endlos-Kanzler oder Endlos-Kanzlerinnen werden, die den Absprung nicht rechtzeitig schaffen. Schön, daß heute noch viele Leute sagen: „Schade!" – und nicht: „War auch Zeit."
Glauben Sie, dass Sie auch von den Leuten zur Kenntnis genommen werden, die nicht zu den sogenannten Eliten gehören?
Da ich nicht nur in den Theatern und Kleinkunstbühnen gastiere, sondern mir ein paar mal im Jahr auch den Spaß gönne, in dampfenden Festzelten aufzutreten – möge das Ende von Corona es baldmöglichst wieder erlauben – denke ich schon, daß ich viele, auch nicht hochkulturaffine Menschen erreiche. Zumal ich auch das Publikum in den Bühnen nicht als elitär betrachten würde. Die selbsternannte Elite lauscht dann, glaube ich, doch lieber einer hippen Cello-Jam-Session in der ‚Sansibar‘ auf Sylt mit synchroner Austernverkostung, deren Schalenknackung dabei so klingt wie eine Symphonie von Mahler. Oder vielleicht doch Beethoven? Ich weiß es nicht. Da muß ich mal das Feuilleton fragen. Aber für das spiele ich ja auch nicht.
Es wird viel über den Riss gesprochen, der wegen der Pandemie durch die Gesellschaft geht. Spielt das in Ihrem Programm eine Rolle? Oder ist das übertrieben?
Es ist ein Risschen, das man nicht größer machen sollte, als es ist. Die Spaltung der Gesellschaft hat in anderen Bereichen schon weit vor Corona begonnen. Ich fände es schön, wenn wir die gesellschaftliche Unwucht im gesellschaftlich-sozialen Bereich mit der gleichen Aufmerksamkeit betrachten würden. Das wäre doch einen Spaziergang wert.
Von wem geht die Spaltung aus, den Corona-Leugnern oder den sogenannten Normalen?
Von der Fixierung auf die täglichen Inzidenzzahlen, zu dem jeder eine andere Meinung hat, weil die Malen-nach-Zahlen-Methode Panik und Angst generiert. Da kann sich leider jeder genau das aussuchen, was zu seiner Meinung paßt.
Wie sind Sie selbst durch die Pandemie gekommen, als keine öffentlichen Auftritte mehr möglich waren?
Durchgekommen halt, irgendwie. Mit täglichem Zorn und kopfschüttelnder Verwunderung über manch Absurdes, was ich abends leider nicht loswerden konnte. Da ich in Bayern lebe, war es natürlich doppelt schwer. Das bipolare Wesen und Gewese eines Markus Söder war und ist schon schwer auszuhalten, wenn man täglich vor Augen geführt bekommt, daß die von ihm ausgerufene, „systemrelevante" Kultur weit weniger relevant ist als die Wirtshauskultur. Vielleicht hätten wir öfter in Gasthöfen auftreten sollen, bei 2G und voller Belegung. Ohne 2G+ und beschränkten Sitzplätzen. Ansonsten habe ich in der Pandemie viel aufgeräumt zuhause. Aber irgendwie wächst alles wieder nach.
Was steht in Ihrem nächsten „Tilt!" Auftritt über das Jahr 2022?
Es ist rum. Wir haben es geschafft. Omikron isch over. Und keine neue Mutante in Sicht. Sonst wird 2023 ja wieder genauso bescheuert.