Er wird voraussichtlich neuer CDU-Vorsitzender: Friedrich Merz. Fast zwei Drittel der Parteimitglieder wollen ihn. Doch er ist in einem schwierigen Fahrwasser. Bereits in drei Monaten könnte der Lack des „Neuen" erheblich angekratzt sein.
Routinetermin in der Bundespressekonferenz: Der Kandidat für den Parteivorsitz, Friedrich Merz, stellt sich wieder einmal der Öffentlichkeit vor, obwohl er das bei seiner Vita eigentlich nicht mehr muss. Aber der Weg zum Spitzenamt bei den Christdemokraten fordert dies nun mal. Der 1,98 Meter-Mann hat da schon beim Sitzen ein Problem, die Stühle auf dem Podium sind
Auf solche Hünen nicht eingerichtet. So viele gibt es ja von ihnen auch nicht, nicht nur von der körperlichen Statur her. Merz schraubt sich den Sitzsessel auf die höchste Stufe, seine Knie stoßen an die Unterkante des Tischmobiliars. Doch Anstoßen ist für den 66-jährigen Sauerländer nichts Neues. Nicht nur mit den Knien sondern politisch mit ausgefahrenen Ellenbogen. Dabei hat er sich diese dann auch politisch zum Beispiel 2002/03 reichlich wund geschlagen, als es um den Fraktionsvorsitz der Unions-Bundestagsfraktion ging. Angela Merkel (1,65 Meter Körpergröße) hat diesen bekanntlich gewonnen und durfte schließlich 16 Jahre das Land als Kanzlerin führen.
Machtfrage um Fraktionsvorsitz
In besagter Pressekonferenz hält sich Friedrich Merz nicht lange mit diplomatischen Floskeln an den Gastgeber auf, sondern geht gleich beim Auftakt in die Vollen. „Mein Name wird nicht März, sondern Merz geschrieben, also mit E", schließlich ist er kein Frühlingskind, sondern im November geboren. Tatsächlich steht er auf dem angehängten Namensschild vor dem Podiumstisch ausgeschrieben als Gruß des Frühjahrs. Für Merz zum Einstieg in die Presserunde eine Steilvorlage, so kommt er von Null auf Hundert in Fahrt. Er, der nach eigenem Verständnis immer Missverstandene, muss nicht nur seinen Namen neu deuten, sondern sein Handeln immer wieder erklären. Sein größtes Problem ist die Geduld mit Anderen – und die der Anderen mit ihm. Als in der Bundespressekonferenz eine Journalistin nicht bemerkt, dass ihre Frage schon mehrfach beantwortet wurde, merkt man den 66-Jährigen regelrecht körperlich an, dass nun, nach fast 40 Minuten Frage/Antwort, langsam seine Geduld zu Ende geht. Er hat Mühe, nicht allzu patzig zu werden.
Merz liebt die klare Aufgabenanalyse, frei nach dem Motto: „Wir diskutieren keine Probleme, sondern müssen auf die anstehenden Herausforderungen Antworten haben", wie er noch Ende letzten Jahres gegenüber FORUM meinte. Ein klassischer Manager-Satz, doch genau das ist der Sauerländer. Nicht nur in der Politik, sondern auch als Anwalt und als Wirtschaftsberater. Und nicht nur das. Stimmt seine gern erzählte Lebensgeschichte tatsächlich so, ist er ist ein klassischer Selfmademan. Keiner aus der CDU-Partei-Retorte, obwohl er genau dieser eigentlich entstammt. Während seiner Zeit am Gymnasium trat er 1972 der Partei bei. Seine Freizeit verbrachte der Sauerländer bei der Jungen Union in seiner Heimatstadt Brilon. 1980 bekommt es als Kreisvorsitzender einen Vorgeschmack auf die Möglichkeiten der Macht. Als er 1981 seine fünf Jahre jüngere Frau Charlotte heiratet, befindet sich Merz noch mitten im Studium. Als das erste Kind da ist, musste die kleine Familie noch jede Mark zweimal umdrehen. Auch sein späteres Einkommen als Referendar ist für die spätere vierköpfige Familie eher überschaubar, große Sprünge konnten noch nicht gemacht werden. Doch schon 1989 verbessert sich die finanzielle Lage, bis 1994 ist Friedrich Merz Mitglied des Europäischen Parlaments. Von dort zieht er dann anschließend zum ersten Mal in den Deutschen Bundestag ein, wird schließlich 2000 Fraktionschef.
2002 dann ein entscheidender Schnitt. Er wird vom Fraktionsvorsitz nach nur zwei Jahren durch die eigentlich als „Übergangslösungslösung" vorgesehene Parteichefin Angela Merkel verdrängt. Das Alphatier ist sauer, bleibt aber noch bis 2009 im Bundestag. Danach kümmert er sich um seine berufliche Karriere. Höchste Weihen in der Finanzwirtschaft erfährt er 2016, Merz wird Lobbyist und Aufsichtsratsvorsitzender für den deutschen Ableger des weltweit größten Vermögensverwalters BlackRock. Doch dieser berufliche Erfolg wird für ihn zur politischen Bürde. Seine ersten zwei Anläufe zum CDU-Parteivorsitzenden scheitern. Viele in der CDU befürchten auch, dass der politische Gegner die Tätigkeit bei der gefürchteten „Finanz-Heuschrecke" gnadenlos ausschlachten könnte. Merz scheitert denkbar knapp an Annegret Kramp-Karrenbauer im Dezember 2018 auf dem letzten regulären Bundesparteitag in Hamburg. Zwei Jahre später verpasst er wieder nur knapp das Spitzenamt auf dem dann allerdings digital gehaltenen Parteitag in einer Berliner Messehalle, bei dem Armin Laschet gewinnt. Nach dem dritten und jetzt erfolgreichen Anlauf zum Parteichef, beinahe genau 20 Jahre nach seiner Niederlage im Kampf um den Fraktionssitz gegen Angela Merkel, setzt nun Friedrich Merz genau da wieder an: Er will Ralph Brinkhaus als Fraktionsvorsitzenden so schnell wie möglich ablösen. Die Neuwahl des Unions-Fraktionsvorstandes muss spätestens in der ersten Aprilwoche über die Bühne gehen. Der Unions-Fraktionschef im Bundestag ist nur für sechs Monate gewählt worden, ein Novum. In der CDU-Bundespartei ist man überzeugt, nur wenn Merz auch den Fraktionsvorsitz im Bundestag innehat, ist die Partei schlagkräftig aufgestellt.
Ralph Brinkhaus sieht das, naturgemäß, anders. Er hat den jahrelangen Fraktions-Guru der Union, Volker Kauder, in einer überraschenden Kampfkandidatur weggefegt und will nun den Posten für den Altvorderen aus dem Sauerland nicht freiwillig räumen. Die Mehrheit der Bundestagsfraktion, so die Wasserstandsmeldungen Mitte Januar, steht hinter Brinkhaus. Auch in der Unionsfraktion ist das neue Partei-Parlamentsdenken angekommen: Die Bundespartei ist das Eine, die Fraktion das Andere. „Ich halte das für eine gute Sache, wenn sich Friedrich Merz um die Bundespartei kümmert und ich die Bundestagsfraktion führe". Brinkhaus zeigte sich im FORUM-Gespräch nicht nur von sich, sondern auch von seiner Fraktion ziemlich überzeugt und zuversichtlich, dass er auch nach dem 5. April weiter Fraktionschef sein wird.
Landtagswahlen als Zustandsbarometer
Dieser interne Machtkampf kommt für die Christdemokraten zur absoluten Unzeit. Nach der Wahl der neuen Parteiführung soll jetzt Ruhe herrschen, immerhin steht am 27. März die Landtagswahl im Saarland auf der Agenda. Es sieht für Spitzenkandidat Tobias Hans laut, auch parteiinterner Umfragen, kritisch aus. Die Staatskanzlei in Saarbrücken könnte an die SPD gehen. Nach dem fast zwei Jahre währenden Machtkampf um die Führung der Bundespartei und zwischenzeitlich auch der Kanzlerkandidatur, wäre nun mitten im Saarwahlkampf ein erneuter Machtkampf um die Unions-Fraktionsspitze ein Fiasko, das dann der saarländische Ministerpräsident am Ende ausbaden darf.
Das Saarland macht den Auftakt bei insgesamt drei Landtagswahlen im ersten Halbjahr. Am 8. Mai folgt Schleswig-Holstein und dann, eine Woche später, am 15. Mai, die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. Sowohl CDU-Ministerpräsident Daniel Günther in Kiel, als auch sein Parteifreund und Amtskollege Hendrik Wüst in Düsseldorf erfreuen sich derzeit nicht gerade furioser Umfragewerte.
Und nach dem Machtverlust in Berlin können die Wahlkämpfer in den Ländern ohnehin nicht mit viel Rückenwind und auch nicht mit viel prominenter Wahlkampfunterstützung aus der Hauptstadt rechnen.
Sollten alle drei Landtagswahlen im Frühjahr für die CDU den Machtverlust bedeuten, dann wird sich der neue CDU-Chef Friedrich Merz am Montag, 16. Mai, in der Bundespressekonferenz unter dem zu niedrigen Tisch wieder seine Knie stoßen und sich die Frage anhören müssen, ob er nach verlorenen Landtagswahlen der richtige CDU-Chef ist.
Nach dem klaren vorweihnachtlichen Mitgliedervotum für Merz konnte die CDU über die Feiertage ein Stück weit durchatmen. Der Start ins neue Jahr bringt gleich neue Nervosität.