Im Deutschen Olympischen Sportbund soll wieder mit- statt gegeneinander gearbeitet werden. Der neue Präsident Thomas Weikert will den Dachverband einen, denn es warten große Herausforderungen.
Durch seinen Hauptjob als Anwalt mit Schwerpunkt Familienrecht bringt Thomas Weikert nicht die schlechtesten Voraussetzungen mit für die Mammut-Aufgabe, die er sich freiwillig angetan hat. „Es war immer eine Stärke von mir, dass ich versuche zu befrieden, wenn es nicht ganz so rund läuft", sagt der 60-Jährige: „In Krisenzeiten, wenn es überall knarzt, ist es wichtig, mit den verschiedenen Parteien zu sprechen und auszuloten, wie man zueinanderfinden kann." Keine Frage: Der neue Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) will als Allererstes die tiefen Gräben, die sich im deutschen Sport zuletzt aufgetan haben, wieder schließen.
Versuchen, zu befrieden
Als „ein Mann des Ausgleichs" hat ihn die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" kürzlich beschrieben, und schon das unterscheidet ihn von seinem Vorgänger Alfons Hörmann. Dessen herrischer Führungsstil soll laut anonymer Beschwerden zu einem „Klima der Angst" beigetragen haben. Weikert ist die personifizierte Abkehr davon: ausgeglichen, kommunikativ, unprätentiös. Auch deshalb haben ihn die Delegierten bei der wegen der Brief-Affäre vorgezogenen DOSB-Mitgliederversammlung Anfang Dezember in Weimar zu ihrem neuen Präsidenten gewählt. Auf Weikert entfielen 361 von 417 gültigen Stimmen. Seine einzige Gegenkandidatin Claudia Bokel, die Präsidentin des Deutschen Fechter-Bundes, konnte nur 56 Stimmen auf sich vereinen.
Weikert war die richtige Wahl – findet auch Timo Boll. Der Tischtennisstar kennt den neuen DOSB-Chef seit vielen Jahren als Top-Funktionär seiner Sportart, er meint: „Thomas ist ein sehr umgänglicher Mensch. Angst muss bei ihm ganz gewiss niemand haben." Auch die ehemalige Sportausschussvorsitzende Dagmar Freitag freute sich über „das überzeugende Votum", das die SPD-Politikerin „als eine Chance für den dringend erforderlichen Neuanfang beim DOSB" ansieht.
Weikert arbeitet zunächst quasi „auf Probe". Die Amtszeit des langjährigen Präsidenten des Tischtennis-Weltverbandes ist vorerst auf ein Jahr begrenzt, bei der turnusmäßigen Mitgliederversammlung 2022 steht die Wahl für vier Jahre an. Bis dahin will und muss Weikert erste Fortschritte erzielt haben. Trotzdem möchte er seinem Führungsstil treu bleiben, Hau-Ruck-Aktionen gehören nicht dazu. Der Limburger agiert lieber diplomatisch und auf den größten gemeinsamen Nenner fokussiert. So will er auch die deutsche Sportfamilie hinter sich vereinen. „Wir gehen das behutsam, aber rasch an", sagte Weikert, der direkt nach seiner Wahl erste Gespräche mit DOSB-Mitarbeitern führte.
Schon bald muss es aber über Gespräche hinausgehen. Denn der Dachverband mit 100 Mitgliedsorganisationen und 27 Millionen Mitgliedschaften steht vor riesigen Herausforderungen, die durch die Coronakrise nochmals verstärkt werden: Der Mitgliederschwund muss gestoppt, der Leistungssport optimiert, die maroden Sportstätten modernisiert und den vielen Ausfällen im Schulsport entgegnet werden. „Wir wissen, dass wir schnell arbeiten müssen", sagte Weikert auch mit Blick auf die Olympischen Winterspiele: „Peking steht vor der Tür."
Kurz vor Beginn der Winterspiele ist es zumindest gelungen, den Vorstandsposten neu zu besetzen. Nach dem Rückzug von Veronika Rücker, die ebenso wie Hörmann in der Brief-Affäre gestolpert war, übernimmt Torsten Burmester dieses Amt. Der 58-Jährige ist seit September 2020 Generalsekretär beim Deutschen Behindertensportverband (DBS). Weikert glaubt, dass Burmester „die Voraussetzungen erfüllt, den DOSB in dieser sicherlich nicht ganz einfachen Situation zu führen und Vertrauen und Glaubwürdigkeit wiederherzustellen".
Mayer mit Karenzzeit
Dem Vorstand gehören zudem Dirk Schimmelpfennig (Leistungssport), Thomas Arnold (Finanzen) und Christina Gassner (Sportjugend) an. Die Vizepräsidenten und Vizepräsidentinnen wurden dagegen ausgetauscht. Neu dabei sind Bahnrad-Olympiasiegerin Miriam Welte, die zwölfmalige Paralympics-Siegerin Verena Bentele, Kerstin Holze (Vorstandsvorsitzende der Deutschen Kinderturn-Stiftung), Oliver Stegemann (Präsident des Sportakrobatik-Bundes) – und eigentlich auch CSU-Politiker Stephan Mayer. Doch diese Personalie ruht – und sie birgt ein großes Problem. Der ehemalige Parlamentarische Staatssekretär im für den Sport zuständigen Bundesinnenministerium erhielt von der Bundesregierung zunächst keine Freigabe für den DOSB-Posten.
Mayer muss eine sogenannte Karenzzeit von zwölf Monaten abwarten. Diese sieht das Gesetz auch für Ehrenämter vor, sollte die Arbeit „das Vertrauen der Allgemeinheit in die Integrität der Bundesregierung beeinträchtigen" können. Schon seine Ernennung hatte viel Kritik ausgelöst, sie sei „ungeschickt und unsensibel", meinte der SPD-Bundestagsabgeordnete Mahmut Özdemir, „es widerspricht dem Sinn und Zweck des Ministergesetzes, wenn sich ein geschäftsführender Staatssekretär in ein Amt wählen lässt, bevor überprüft worden ist, ob eine Interessensverquickung vorliegt". Dass es sich beim DOSB-Vizepräsidenten um ein Ehrenamt und keinen gut bezahlten Posten bei einer Aktiengesellschaft handelt, macht für Özdemir „keinen Unterschied". Es müsse immer im Vorfeld geklärt werden, „ob die Fähigkeiten, die Kenntnisse, der Nimbus der betroffenen Person eine Abkühlphase notwendig erscheinen lassen."
Solch sensible Fälle erfordern Weikerts Fingerspitzengefühl – genauso wie beim Umgang mit Olympia-Gastgeber China. Als langjähriger Chef des Tischtennis-Weltverbandes hat Weikert ausgezeichnete Kontakte nach Fernost, wo die Sportart höchst populär ist. Er kennt auch die Mentalität der Menschen und die Lebensumstände vor Ort genau. Und daher glaubt Weikert zu wissen, dass nur ein diplomatisches Vorgehen Verbesserungen auslösen können. So spricht er sich ganz klar gegen einen Olympia-Boykott aus, mit dem auch die neue Außenministerin Annalena Baerbock (Die Grünen) zuletzt gedanklich gespielt hatte.
Baerbock solle „die Kirche im Dorf lassen", sagte Weikert darauf angesprochen, ein Boykott habe „noch nie jemandem etwas gebracht". Dass die Tennisspielerinnen-Vereinigung WTA im Fall von Peng Shuai, die nach ihren öffentlichen Missbrauchs-Vorwürfen gegen den ehemaligen chinesischen Vizepremier Zhang Gaoli für ein paar Tage verschwunden war, sich vorerst mit ihren Turnieren aus China zurückzieht und damit auf viel Geld verzichtet, nannte Weikert zwar „mutig". Doch solche Aktionen müssten immer auch mit einer „Aufklärung im Hintergrund" begleitet werden – und zwar durch „diplomatische Kanäle". Der DOSB werde sich „im Rahmen unserer Möglichkeiten" positionieren, so Weikert, der trotz aller Diplomatie im Bezug auf die schwierige Menschenrechtslage in China nichts beschönigen will: „Es hat sich nichts verbessert."
Gespannt darf man sein, ob Weikert seinen guten Draht zu Thomas Bach nutzen kann. Der IOC-Boss und der neue DOSB-Präsident arbeiten als Funktionäre recht ähnlich, beide kennen und schätzen sich, ohne dass bislang eine große Kumpanei zu erkennen gewesen wäre. Mit Weikert an der Spitze dürfte sich das Verhältnis des deutschen Dachverbandes zum Ringeorden, das unter Hörmann erheblich gelitten hat, wieder normalisieren. Er werde „das persönliche Gespräch mit Thomas Bach suchen, um einige Dinge aus der Welt zu räumen", kündigte Weikert an.
„Soll die Kirche im Dorf lassen"
Bach, der Weikerts „ebenso butterweichen wie sicheren Topspin" beim Tischtennis bewundert, ist der Schlüssel für eine mögliche Olympia-Bewerbung Deutschlands. Die hat sich Weikert auf die Fahnen geschrieben, weil er Sommer- oder Winterspiele für einen dringend benötigten Katalysator im hiesigen Sport erachtet. Dafür käme auch eine Bewerbung für Olympia 2036 – also exakt 100 Jahre nach den Nazispielen von Berlin –
in Betracht. „Man wird sich mit 1936 ohnehin beschäftigen müssen, egal wo Olympische Spiele stattfinden werden", sagte er: „Von daher ist es aus meiner Sicht eine gute Gelegenheit, Werbung für Deutschland zu machen und das offensiv anzugehen."
Sein Vorgänger wünschte ihm für die mannigfaltigen Aufgaben viel Glück. Er hoffe, dass Weikert auf mehr Geschlossenheit und Rückhalt im DOSB stoße als er selbst, sagte Hörmann, denn nur so könnten „alle Beteiligten möglichst schnell, möglichst zügig und möglichst zukunftsorientiert" die großen Herausforderungen angehen. Er übergebe seinem Nachfolger einen Verband, der als „Kernorganisation bestens aufgestellt" sei, betonte der 61-Jährige. Diese Konstellation werde es dem Weikert-Team „leicht machen, in eine gute Zukunft zu gehen".
Von Selbstkritik ist bei Hörmann wenig zu spüren. Der Allgäuer kritisierte zwar eine „gewisse Entfremdung" zwischen dem DOSB und den 100 Mitgliedsorganisationen, aber ohne seinen Anteil daran darzulegen. Ganz im Gegenteil: Zum Abschied wies er noch einmal öffentlich darauf hin, dass „bis heute niemand ein ‚Klima der Angst‘ gefunden" hätte und dass der anonyme Brief Teil einer „ganz klaren Kampagne" gegen ihn gewesen sei. Weikert kündigte an, die Affäre mit externen Juristen aufklären und Gespräche mit Hörmann führen zu wollen.
Während Hörmann als Funktionär der alten Schule gilt, will Weikert das Bild ein wenig ändern. „Der dunkle Anzug muss fälschlicherweise oft als Entfremdung der Sportfunktionäre von der Basis herhalten", hatte er bei seiner Vorstellungsrede bei der Wahl gesagt. Er bat um die Chance zu beweisen, „dass wir oft Anzug tragen, aber immer Trikot denken."
Das kommt auch bei den Leistungssportlern gut an. Die Ergebnisse der letzten Olympischen Spiele haben gezeigt, dass Deutschland zunehmend den Anschluss an die Weltspitze verliert. Von Bedingungen manch anderer Nationen, sagte Boll, könnten deutsche Sportler „nur träumen". Boll und Co. können zumindest darauf setzen, dass sie von Weikert gehört werden. Denn Zuhören ist für einen Anwalt mit Schwerpunkt Familienrecht ebenfalls eine Grundvoraussetzung.