Adipösen Menschen hilft Bewegung zur Gewichtsreduktion nicht immer. Denn ihr Körper gleicht den erforderlichen Energiemehrverbrauch häufig durch ein Herunterfahren des Grundumsatzes im Ruhezustand aus. Das Problem dabei ist: Der Gesamtkalorienverbrauch bleibt stabil.
Wer etwas für seine Figur tun und überflüssige Pfunde verlieren möchte, braucht einfach nur Sport zu treiben. Das vermeintliche Patentrezept lautet: regelmäßige Bewegung, vorzugsweise Ausdauersport wie Laufen oder Radfahren – und schon wird sich der erhoffte Erfolg einstellen. Zwar ist wissenschaftlich bewiesen, dass man seinem Körper durch sportliche Betätigung viel Gutes tun kann, weil man sich dadurch einen Schutzschild gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Typ-2-Diabetes oder viele weitere Malaisen wie Demenz oder Krebs zulegen kann. Doch zum Abnehmen ist eine grundlegende, mit dem Verzicht auf hochkalorische Lebensmittel verbundene Ernährungsumstellung weitaus effizienter. Weil die Maxime gilt: Der Körper wird in der Küche gemacht.
Zudem wird der zusätzliche Energieverbrauch beim Sport in der Regel auch schnell überschätzt. Bei moderatem, halbstündigem Joggen werden gerade mal maximal 350 Kilokalorien verbraucht, was etwa einem Schokoriegel entspricht – den man sich zur Belohnung für die Quälerei vielleicht sogar danach umgehend einwirft. Um sein Gewicht nennenswert reduzieren zu können, muss die Laufrunde schon eine Stunde betragen. Damit kann man zumindest auf einen Kilokalorien-Verbrauch von 500 bis 600 kommen – genau jener Wert, den die Deutsche Adipositas-Gesellschaft als dauerhaftes Energiedefizit zum wirksamen Abnehmen durch eine Kombination von Ernährungsumstellung, Diätvarianten und Sport empfiehlt.
Auch Geduld und Durchhaltevermögen sind bei einem etwaigen Neueinstieg in sportliche Aktivitäten angesagt. Denn der Zeiger auf der Waage schlägt anfangs in der Regel nicht wie erhofft nach unten, sondern nach oben aus. Beim sportlichen Neuanfang, insbesondere wenn man sich für ein Krafttraining entscheidet, wird zunächst einmal Muskelmasse aufgebaut, die schwerer als das womöglich gerade etwas schmelzende Fett ist, aber dafür auch im Ruhezustand mehr Energie benötigt. Wobei auf Dauer immerhin mit einer Reduktion der Fettpölsterchen an den problematischsten Zonen wie dem Bauch gerechnet werden kann. Dabei handelt es sich um sogenanntes viszerales Fett, das im Unterschied zu dem Fett unter der Haut, dem subkutanen Fett, deutlich stoffwechselaktiver ist und daher leichter durch Sport mobilisiert und abgebaut werden kann.
Körper passt Energieverbrauch an
Dass in der Praxis für Übergewichtige, die durch Sport ihre überflüssigen Pfunde verlieren möchten, womöglich ganz andere Regeln gelten, hat nun die im Fachmagazin „Current Biology" publizierte Studie eines internationalen Wissenschaftlerteams unter wesentlicher Beteiligung der University of Ottawa und der Chinesischen Akademie der Wissenschaften unter Federführung von Prof. Vincent Careau (Ottawa) nachgewiesen. Und für Übergewichtige nach Auswertung der Untersuchungsergebnisse dabei sogar die verblüffende Frage aufgeworfen, „ob Sport für sie überhaupt eine sinnvolle Ergänzung zur Diät wäre oder sogar eher kontraproduktiv".
Bezüglich des Einflusses, den verstärkte sportliche Aktivitäten auf den für die Gesamtenergiebilanz extrem wichtigen Ruheumsatz eines Körpers womöglich haben, wurden bislang in der Wissenschaft zwei Thesen diskutiert. Die eine ging davon aus, dass sich der Ruheumsatz durch Sport erhöhen lassen könnte, allein schon wegen der einen höheren Energiebedarf benötigenden zusätzlich aufgebauten Muskelmasse. Die andere behauptete hingegen, dass der Ruheumsatz selbst bei sportlicher Bewegung nahezu unverändert gleich bleibe oder sogar absinken könne. Genau die etwaigen Veränderungen des Ruheumsatzes infolge von sportlicher Bewegung hatten die Forscher bei ihrer Studie mit 1.740 Probanden, Männern und Frauen, deren Gesamt- und Ruheumsatz regelmäßig durch Labormessungen der Atemgase und mittels isotopisch markierten Wassers überprüft wurde, im Blick.
Sie wollten herausfinden, wie stark die durch sportliche Betätigung verbrauchten Energien den Ruheumsatz und damit auch den Gesamtumsatz beeinflussen konnten. Dabei konnten sie belegen, dass sich der Gesamtenergieverbrauch nicht einfach aus einer Rechnung durch Addition von Grundumsatz und aktivem Zusatzenergieverbrauch durch Sport ermitteln lässt. Es konnte keineswegs der Nachweis erbracht werden, dass sich der durch Sport bedingte zusätzliche Energiemehrbedarf in einem mengenmäßig adäquaten Abschmelzen der körpereigenen Fettreserven niedergeschlagen hatte. Vielmehr wirkten sich die beim Sport verbrauchten Kalorien nur teilweise auf den Gesamtumsatz aus. „Im Schnitt manifestierten sich bei einem typischen Menschen nur 72 Prozent der Extrakalorien, die wir durch vermehrte Bewegung verbrauchen, auch im gesamten Energieverbrauch an diesem Tag", so Prof. Vincent Careau. Die restlichen 28 Prozent des Mehrumsatzes tauchten hingegen auf der Tagesbilanz nicht auf. Die Erklärung dafür lieferten die Messungen des Ruheumsatzes der Testpersonen. Denn es stellte sich heraus, dass mit steigender sportlicher Aktivität und einem daraus resultierenden vermehrten Kalorienverbrauch der Körper der Testpersonen, unabhängig von Alter oder Geschlecht, den Energieverbrauch im Ruhezustand gleichsam als Kompensation heruntergefahren hatte. Was nichts anderes bedeutet, als dass der Körper den erhöhten Energiebedarf beim Sport durch einen geringeren Grundumsatz auszugleichen versucht.
Sport kann kontraproduktiv sein
Dieser unschöne Effekt macht sich laut den Forschern am stärksten bei Menschen mit starkem Übergewicht bemerkbar. Bei den Testpersonen mit Adipositas zeigten sich nicht mehr 72 Prozent der beim Sport extra verbrauchten Kalorien in der Tagesbilanz, sondern nur noch rund 51 Prozent. Das bedeutet nichts anderes, als dass für jede von diesen Probanden beim Sport verbrannte Kalorie ihr Körper fast eine halbe Kalorie im Ruhezustand einspart. „Es scheint, dass der Stoffwechsel von Menschen mit mehr Körperfett entweder von vornherein den Zusatzverbrauch stärker kompensiert, oder aber", so das Forscherteam, „dass diese Kompensation stärker wird, je mehr jemand zunimmt." In Kurzform: Je höher das Übergewicht, desto geringer der Sporteffekt. Das würde laut Wissenschaftlern erklären, warum Menschen mit starkem Übergewicht trotz engagiertem Sportpensum oft nur schwer abnehmen können. „Der Körper von Menschen mit Adipositas ist offenbar besonders effektiv darin die Fettreserven festzuhalten", so Studien-Co-Autor Prof. John Speakman von den Shenzhen Institutes of Advanced Technology, „bei einigen Unglücklichen kann das sogar dazu führen, dass sie bei vermehrtem Sport zunehmen statt abzunehmen." Noch ist völlig unklar, welche Mechanismen für die erhöhte Kompensation bei Übergewichtigen verantwortlich sind und warum diese Kompensation mit einem steigenden Körperfettanteil zunimmt. „Wenn diese Energiekompensation aber eine genetische Basis haben sollte, dann könnte es in Zukunft möglich sein, Menschen daraufhin zu untersuchen", so die Forscher. „Das könnte klären, ob Sport für sie überhaupt eine sinnvolle Ergänzung zur Diät wäre oder sogar eher kontraproduktiv."
Schon einige Jahre vor der aktuellen Studie hatten der Kardiologe Dr. Aseem Malhotra, der Humanbiologe Prof. Tim Noakes und der Biochemiker Dr. Stephen Phinney 2015 in einem Kommentar im „British Journal of Sports Medicine" die Vorstellung, Sport führe zu dauerhaftem Gewichtsverlust, als „gefährlichen Mythos" abgetan. Sie erklärten, die Bewegungsgewohnheiten hätten sich im Laufe der zurückliegenden 30 Jahre nur geringfügig verändert, wohingegen sich die Fettleibigkeit geradezu epidemieartig ausgebreitet habe.