Da äußerliche Anwendungen von Cremes und Peelings das Hautbild nur unwesentlich verbessern können, schwören weltweit immer mehr Frauen auf Nahrungsergänzungsmittel. Supplementieren mit Nutrikosmetik boomt.
Der Glaube kann noch immer Berge versetzen – weil die Vorstellung, sich mühelos mit Zauberpülverchen und Wunderdrinks jünger und schöner schlucken zu können, ja wirklich zu verführerisch ist. Genau das nutzen die weltweite Kosmetikbranche und die Industrie der Nahrungsergänzungsmittel, um wissenschaftlich kaum oder gar nicht belegbare Anti-Aging-Versprechen für faltenfreie Haut, straffes Bindegewebe, frischen Teint, gepflegtes Haar oder gesunde Nägel zu lancieren. „Schönheit kommt von innen" lautet das Werbemotto. Und was früher einfach nur als „Functional Food" oder auch „Beauty Food" bekannt gewesen war, wurde inzwischen auf den viel vornehmer klingenden Namen „Nutrikosmetik" oder „Nutricosmetics" umgetauft.
Wobei das darin enthaltene englische Wort „Nutrition" schon einen direkten Hinweis darauf geben kann, dass es sich dabei um irgendeine Form von „Ernährung" handeln muss. Tatsächlich verbergen sich dahinter schlicht und einfach diverse Nahrungsergänzungsmittel in Gestalt von Pillen, Kapseln, Drinks oder in Sachets abgepackten Pulverkonzentraten, was sich aber unter dem Begriff „Supplements" viel besser anhört. Und was längst nicht mehr in schlichten Bio-märkten oder Drogerien verkauft, sondern zu recht stolzen Preisen als Zusatzangebot für anspruchsvolle Kundinnen in Nobelboutiquen, Concept-Stores oder online bei Luxus-Fashion-Versandhäusern offeriert wird. Natürlich war mit diesem Locationwechsel auch ein Lifting im Design der Produkte-Verpackungen verbunden, damit diese auf Instagram-Postings ins rechte Licht gerückt werden können. Und neue, verheißungsvolle Markennamen mit dem erforderlichen Glamourfaktor mussten natürlich auch her, so werden die Ladys inzwischen mit „Super Elixir, „Love your gut", „Mind your vitality" oder „Time Block" zum Konsumieren angelockt.
Hautpflege im Mittelpunkt
Supplementieren soll nach den Vorstellungen der Nutrikosmetik-Firmen künftig zum normalen Lifestyle-Alltag ebenso selbstverständlich dazu gehören wie die Yogastunde oder ein gesunder Ernährungsplan. Klar, dass auch die Zielgruppe längst recht genau definiert worden ist: „Konsumenten, die mit Saft detoxen, Kokosnusswasser trinken, Meditations-Apps verwenden, schicke Sportkleidung (Athleisure) tragen, Yoga-Spinning-, Box- oder Pilates-Stunden nehmen", so das von der „Süddeutschen Zeitung" zitierte US-Mode- und Beauty-Branchenmagazin „Business of Fashion". Überraschenderweise reißen sich derzeit auch schon die Millennials um die vermeintlichen Anti-Aging-Wundermittel, obwohl sich bei ihnen die ersten Zeichen des Alters wohl erst in einem guten Jahrzehnt einstellen werden. Aber rechtzeitiges Vorbeugen ist aus ihrer Sicht offenbar besser als der spätere Gang zum Schönheitschirurgen. Und die Optimierung des eigenen Ichs steht ja ohnehin auf der persönlichen Wishlist auch dieser Klientel ganz oben.
Wobei vor allem die Hautpflege im Mittelpunkt des Interesses rund um die Nutrikosmetik steht. Weil diese größere Erfolgschancen für den erhofften Anti-Aging-Effekt verspricht als Cremes, Lotionen oder Tinkturen, deren Effizienz wegen der natürlichen Hautbarriere doch sehr beschränkt ist und daher das Vordringen der Mittelchen in tiefere Schichten gleichsam unmöglich macht. Oral eingenommen, versprechen die zu den Nahrungsergänzungsmitteln zählenden Nutrikosmetik-Wirkstoffe mit Hyaluronsäure und Kollagen an der Spitze, ergänzt durch Vitamine wie Biotin oder Mineralien wie Zink sowie diverse Antioxidantien, deutlich bessere Erfolge, auch wenn es darüber keinerlei fundierte wissenschaftliche Belege gibt. Die Studienlage ist wenig aussagekräftig, weil die meisten Publikationen von den Herstellerfirmen in Auftrag gegeben und meist nicht einmal komplett zur Verifikation veröffentlicht werden.
Immerhin tut sich aktuell einiges Neues in Sachen Wirkstoffkomposition, wie die „Neue Zürcher Zeitung" unlängst vermeldet hatte: „Der Trend geht weg von den herkömmlichen Vitamin- und Mineralstoffpräparaten hin zu probiotischen Pillen, kollagenreichen Pülverchen sowie Tinkturen, angereichert mit Vitalpilzen. Sie sollen je nachdem anregend oder entspannend wirken, aber in jedem Fall die Haut schöner machen und dem Alter ein Schnippchen schlagen." Das grundsätzliche Problem beim Versuch eines Nachweises der behaupteten Wirksamkeit von Supplements – das letztlich auch unabhängige Studien mit einem möglichst großen Teilnehmerkreis nicht lösen könnten – besteht letztlich darin, dass in unserem Körper die verschiedensten Stoffe aufeinandertreffen und es daher zu einer Vermischung von normalen Lebensmitteln mit Nahrungsergänzungsmitteln kommt. Das schließt die Überprüfung einer möglichen Einflussnahme einzelner Substanzen nahezu aus.
Supplements sind sehr umstritten
Zudem können andere Faktoren wie ein ungesunder Lebenswandel, Stress in Beruf oder im Privatleben oder eine falsche Ernährung etwaige, von Supplements ausgehende, positive Effekte auf die Gesundheit der Haut nachdrücklich schmälern. Auch wenn gegen die Inhaltsstoffe grundsätzlich nichts einzuwenden ist, sofern eine Überdosierung einzelner Substanzen vermieden wird. Dennoch ist laut „Süddeutscher Zeitung" der Nutzen der Supplements aus medizinischer Sicht „mindestens umstritten". Was schon allein damit zusammenhängt, dass die Nutrikosmetik-Produkte trotz ihrer arzneiähnlichen Gestalt als Nahrungsergänzungsmittel zu den Lebensmitteln gezählt werden und damit keine Medikamente sind. Es findet bei ihnen keine staatliche Kontrolle hinsichtlich der Sicherheit oder Wirksamkeit statt, es gibt von daher auch keine gesetzlichen Vorgaben bezüglich der Inhaltsstoffe oder für deren Konzentration.
Die ist häufig viel zu niedrig, als dass damit überhaupt eine positive Auswirkung auf die Haut erzielt werden könnte, weil die Hersteller bei der Zusammenstellung ihrer Produkte überaus vorsichtig sein müssen und mit diesen möglichst nur rein physiologische Erfolge erzielen dürfen. Könnte tatsächlich mit einem Mittel ein grundlegender Durchbruch erzielt werden, würden im Idealfall beispielsweise alle Falten verschwinden, würde der Effekt auf den Körper als signifikant und pharmakologisch eingestuft werden, was die sofortige Deklarierung des Mittels als Medikament samt Zulassungsantrag und millionenschwerer klinischer Studien durch den Gesetzgeber zur Folge haben müsste. Was die Hersteller zu einem heiklen Balanceakt zwingt. „Man will fantastische Effekte anpreisen, die aber nicht zu fantastisch sein dürfen", wie es die „Zeit" mal trefflich formuliert hatte. „Zudem müssen sich die Produkte", so die „Zeit" weiter, „mit einem ehernen Prinzip der Schulmedizin herumschlagen, das besagt: keine Wirkung ohne Nebenwirkung. Nutrikosmetika wirken also entweder nicht besonders und haben dann auch keine Nebenwirkung – oder sie haben sowohl leicht positive Effekte als auch unerwünschte."
Ganz neu ist der Spruch „Natürliche Schönheit kommt von innen" übrigens keineswegs. Der Hersteller Merz wirbt für seine „Spezial Dragées", die Haut, Haare und Nägel zugutekommen sollen, schon seit Jahrzehnten. Substanzen wie Biotin oder Kieselerde wurden auch schon vor zwei Dekaden zur Schönheitssteigerung geschluckt. Doch inzwischen ist das Angebot an Supplements für die Hautpflege schier unerschöpflich geworden. „Etablierte Unternehmen ebenso wie ambitionierte Start-ups werben mit den Vorzügen der Supplements und versprechen maximale Ergebnisse mit minimalem Aufwand", so „Harper’s Bazaar" als eines der wenigen Frauen-Magazine, das sich im Unterschied zu den meisten Beauty-Onlineportalen kritisch mit dem Thema Nutrikosmetik auseinandergesetzt und nicht nur Hersteller-PR-Texte nachgeplappert hat. Und weiter: „Damit treffen sie den Nerv der Zeit. Eine Pille, die kleine Sünden des Alltags oder die letzte Partynacht ungeschehen macht, passt zum modernen Lebensgefühl. Wir sind körper- und gesundheitsbewusst, wollen aber dennoch aus dem Vollen schöpfen. Doch was zu schön klingt, um wahr zu sein, ist es dann meist auch."
Zellerneuerung positiv beeinflussen
Im Klartext: Dass gewisse Inhaltsstoffe von Nahrungsergänzungsmitteln wie Vitamin A und C die Zellerneuerung positiv beeinflussen können und die zusätzliche Bereitstellung von Zink oder Omega-3-Fettsäuren für schönere Haut und Haare sorgen kann, gilt als gesichert. Auch wenn jeder Körper eine unterschiedlich stark ausgeprägte Aufnahmefähigkeit für diese Substanzen hat und Dosierung sowie Dauer der Anwendung dabei eine wesentliche Rolle spielen. Was die zentralen Bestandteile der Nutrikosmetik angeht, nämlich Hyaluronsäure und Kollagen, Erstere als Feuchtigkeitsspender für die Elastizität der Haut, Zweitere für die Straffheit von Haut und Bindegewebe verantwortlich, ist der erhoffte Erfolg eines Aufpeppens der natürlichen Speicher durch die orale Einnahme von entsprechenden Supplements aber mehr als ungewiss. Weil es relativ unwahrscheinlich sein dürfte, dass die beiden Substanzen die Passage durch den Magen unbeschadet überstehen können und dann auch noch mithilfe des Blutes punktgenau zu den Hautzellen gelangen können. Und ob sie dort dann tatsächlich die Produktion von Hyaluronsäure und Kollagen in signifikantem Umfang stimulieren können, sei mal dahingestellt. „Aufschriften wie ‚Eine regelmäßige Einnahme reduziert nachweislich die Faltentiefe‘", so die „Süddeutsche Zeitung", „unter Verweis auf Studien, ist also so belastbar wie eine Preisangabe auf dem Basar von Marrakesch."
Da aber Hyaluronsäure und vor allem Kollagen im Unterschied zu den übrigen Inhaltsstoffen der Nutrikosmetik-Produkte dem Körper nicht über eine noch so ausgewogen-gesunde Ernährung zugeführt werden können (nur in wenigen Lebensmitteln wie Gelatine oder Knochenbrühe sind sie enthalten), macht der aus der Medizinforschung übernommene Ansatz einer Zufuhr von außen, ähnlich den minimalinvasiven Injektionen der beiden Substanzen beim Facelifting in den heiklen Gesichtsregionen, durchaus Sinn. Aber ob und in welchem Umfang sie vom Körper tatsächlich zur Hautregeneration verarbeitet werden können, müsste erst noch genauestens erforscht werden. „Harper’s Bazaar" oder der Bayerische Rundfunk haben unlängst hausintern kleine, natürlich nicht repräsentative Selbstversuche unter Verwendung angesagter Produkte von Mitarbeiterinnen machen lassen. Bei „Harper’s Bazaar" konnten nach vier Wochen Tablettenschlucken so gut wie keine Veränderungen des Hautbildes festgestellt werden. Beim Bayerischen Rundfunk, bei dem drei Damen unterschiedliche Supplements, eine Kollagen-Ampulle, eine Hyaluronsäure-Ampulle und ein Kombi-Präparat der beiden Substanzen, über sechs Wochen getestet hatten, ließen sich immerhin marginale Verbesserungen der Faltentiefen per Messung durch Dermatologen des Klinikums München nachweisen. Ein für das investierte Geld recht überschaubares Ergebnis. Denn für die Kollagen-Ampullen mussten insgesamt 64 Euro, für das Hyaluronsäure-Produkt 158 Euro und für das Kombi-Präparat 131 Euro ausgegeben werden.