Wie soll die EU mit China umgehen? Die Europaabgeordnete Monika Hohlmeier verlangt mehr Entschlossenheit. Die Weichen dafür sind mit dem Abgang von Angela Merkel gestellt – ihr Einfluss hatte das Auftreten der Union bislang gemäßigt.
Spätestens als 2017 der chinesische Kühlschrank-Konzern Midea den deutschen Roboterhersteller Kuka übernahm, schrillten im Berliner Politumfeld die Alarmglocken. Die Übernahmeschlacht um den Stromnetzbetreiber 50 Hertz brachte schließlich das Fass zum Überlaufen. In Wirtschaft und Politik ging die Angst um, die Chinesen würden strategisch wichtige Hightech-Unternehmen in Deutschland einfach aufkaufen und sich auf diese Weise lukrative Marktzugänge in Europa verschaffen. Im Gegenzug verwehrte China europäischen und somit auch deutschen Unternehmen den Zugang zu chinesischen Firmen, wenn es China in irgendeiner Form schaden könnte. Ein Ungleichgewicht, dem die EU und damit auch Deutschland so langsam aber sicher einen Riegel vorschob. Mit der EU-Richtlinie zum Schutz der Schlüsselindustrien vor unliebsamen Aufkäufen durch Drittstaaten außerhalb der EU gelten europäische Unternehmen als besser geschützt. „Der Fall Kuka kann sich so nicht wiederholen", sagt Monika Hohlmeier aus dem Europaparlament. Die Tochter des 1988 verstorbenen CSU-Politikers Franz Josef Strauß ist Mitglied der Delegation für die Beziehungen zur Volksrepublik China des Europäischen Parlaments. Die Bundesregierung habe nunmehr ein Mitspracherecht, wenn beispielsweise chinesische Unternehmen sich einkaufen wollen und ihre Finanzstrukturen sowie möglichen staatlichen Einfluss nicht transparent darlegen möchten. Hohlmeier war Mitte Januar digitale Gastrednerin bei der Union Stiftung in Saarbrücken.
Ein neuer Fall Kuka ist ausgeschlossen
Diese Notbremse zum Stopp des Ausverkaufs hat inzwischen Wirkung gezeigt: Nach Angaben des Statista Research Departments lag die Zahl chinesischer Aufkäufe deutscher Firmen 2019 noch bei 39, 2020 waren es nur 28. In der EU gingen die Übernahmen im gleichen Zeitraum von 182 auf 132 zurück. Die Tendenz sei weiter rückläufig, in Corona-Zeiten sowieso, betonte Hohlmeier. Gleichwohl lag das Handelsbilanzdefizit zwischen der EU und China 2020 bei rund 180 Milliarden Euro. Während die EU in erster Linie Maschinen, Anlagen, Pkw und Flugzeuge nach China exportiert, importiert Europa vor allem Industrie- und Konsumgüter. Lediglich bei Dienstleistungen sei das Handelsvolumen zugunsten der EU noch leicht positiv, was sich aber in Anbetracht der chinesischen IT-Giganten ändern dürfte.
Trotz der rückläufigen Zahl der Aufkäufe: Der Heißhunger des chinesischen Drachens auf Expansion ist längst nicht gestillt. Daran dürften auch ein paar EU-Verordnungen langfristig nicht viel ausrichten. Man müsse China auf Augenhöhe und mit Entschlossenheit begegnen, nennt Hohlmeier ein mögliches Erfolgsrezept im Umgang mit China. Dafür müsste die westliche Welt allerdings stärker zusammenrücken und mehr Selbstbewusstsein zeigen, sprich vor allem die EU, Großbritannien, USA, Kanada und Australien, um Standards für den Welthandel und den fairen Umgang miteinander zu setzen. Ein einzelner europäischer Staat könne gegen die Übermacht Chinas mit 1,4 Milliarden Menschen so gut wie nichts ausrichten. „China nimmt uns nur ernst, wenn wir selbstbewusst auftreten und gegen den Expansionsdrang etwas Substanzielles entgegensetzen."
Dieses Selbstbewusstsein wurde durch die eher mäßigend wirkende Haltung von Ex-Kanzlerin Angela Merkel gegenüber China und der EU bislang ausgebremst. Nachdem das EU-Land Litauen nun eine Vertretung Taiwans in der Hauptstadt Vilnius zuließ, reagierte Peking mit drastischen Sanktionen gegen das Land. Die EU-Außenminister wollen das künftig nicht mehr hinnehmen. Ein Gesetz soll endlich erlauben, gemeinsame Sanktionen gegen ein Drittland auszusprechen, wenn ein einzelnes EU-Land unter Repressalien leidet.
Und dennoch: Europa braucht China als lukrativen Markt. Aber China braucht auch Europa. Besonders interessiert sei das Reich der Mitte an Umwelt- und Medizintechnik, über dieses Know-how verfügen europäische Unternehmen. Dieser Stärken müsse sich die europäische Wirtschaft bewusst sein, sich in Wissenschaft und Forschung neu aufstellen und auf dem Weltmarkt führend werden. „Wir müssen einfach besser sein. Und wir können das, wie die Entwicklung der mRNA-Impfstoffe gezeigt hat", sagte Hohlmeier.
Der Umgang mit China bleibt ein zweischneidiges Schwert für die EU. Auf der einen Seite lockt China Staaten mit großzügigen Krediten und Unterstützung, auf der anderen Seite erhöht China damit die Abhängigkeiten. China tue alles mit einem staatlichen Kalkül, so Hohlmeier. „Das lehrt die Erfahrung beim Projekt Seidenstraße 2.0." Beispiel Europa: China pirscht sich bewusst an Länder wie Polen oder Ungarn heran, die mit der EU im Clinch liegen. Oder an ärmere Länder, die dringend Investitionen brauchen wie Kroatien oder Griechenland, wo der Hafen von Piräus als strategische Infrastruktur mit viel Geld einfach aufgekauft wurde. Oder an EU-Beitrittskandidaten wie Montenegro, die gezielt in die Schuldenfalle gelockt werden und damit in die Abhängigkeit Chinas. Auf der anderen Seite sehe die EU oftmals tatenlos zu, denn China mache immer nur das, was Europa auch zulässt. „Die Chinesen setzen ihrerseits klare Bedingungen, die EU zeigt sich oftmals viel zu großzügig", mahnt Hohlmeier.
„Wir müssen einfach besser sein"
Besondere Aufmerksamkeit verdient in diesem Zusammenhang der afrikanische Kontinent, der reich an Rohstoffen ist. Dort zeigt sich China als Land mit den höchsten Direktinvestitionen, um das Projekt Seidenstraße 2.0 konsequent voranzutreiben. „Es ist höchste Zeit, dass die EU direkt vor ihrer Haustür eine konsequente Afrikastrategie verfolgt ohne Wenn und Aber und vor allem befreit von der komplizierten Bürokratie Europas. Die Auswirkungen chinesischen Einflusses, Misswirtschaft oder Fehlentwicklungen bekommt Europa nämlich in Form von Migration als Erster zu spüren und nicht China", beschreibt Hohlmeier die Situation.
Neben der Entschlossenheit im Umgang mit dem Reich der Mitte plädiert Hohlmeier aber auch für einen partnerschaftlichen Umgang auf Augenhöhe. „Wir sollten kein arrogantes Auftreten an den Tag legen, denn die Zeiten der verlängerten Werkbank Chinas nach den Vorstellungen der 80er- und 90er-Jahre sind längst vorbei. China ist ein Hightech-Land und schickt sich an, in vielen Bereichen wie Sattelitenkommunikation, Mobilfunk G5, Raumfahrt oder Künstliche Intelligenz in kürzester Zeit Weltmarktführer zu werden." Chinesen seien keine Kommunisten, sondern Konfuzianisten, die Gemeinwohl über Einzelinteressen stellen. „Sie denken und empfinden völlig anders als Westeuropäer. Der Weg ist das Ziel."
Es gebe auch viele positive Beispiele im Umgang mit China. Im Saarland plant das chinesische Unternehmen SVolt den Bau einer Batteriefabrik mit allen Chancen und Risiken. Ob nun der Windenergie-Spezialist Vensys Energy aus Neunkirchen, an der Goldwind aus China seit 2008 beteiligt ist, die Automobilzulieferer Nedschroef aus Saarlouis mit dem chinesischen Konzern PMC und die Saargummi Group aus Wadern mit dem Mischkonzern CQLT oder das Saarbrücker Unternehmen für Digitaldesign Ergosign mit dem Joint-Venture Yigu aus China: Sie alle kommen mit den chinesischen Partnern zurecht. Es gibt aber auch eine Reihe von Misserfolgen: der Flughafen Hahn mit seinem insolventen chinesischen Partner und Mischkonzern HNA; das gefloppte Megaprojekt Terra Lorraine im lothringischen Thionville mit geplanten 3.000 Arbeitsplätzen für den Aufbau einer französisch-chinesischen Handelsplattform im Auftrag des chinesischen KMU-Dachverbands. Die Kunst sei es, bei chinesischen Unternehmen Transparenz und Liquidität genau zu erkennen, bevor es zu einer Zusammenarbeit komme, so der Rat Monika Hohlmeiers.
Die EU hat im Konflikt um Litauen und Taiwan nun die Welthandelsorganisation eingeschaltet. Bereits seit dem
1. Dezember sorge der chinesische Zoll dafür, dass Waren aus Litauen nicht mehr auf den chinesischen Markt kämen, so EU-Politiker. Gleichzeitig stornierten chinesische Unternehmen Bestellungen in Litauen, würden chinesische Exporte nach Litauen eingeschränkt. Schafft die Union es nun, hier mit einer Stimme zu sprechen, wäre sie ihrem Anspruch einer Weltmacht einen Schritt näher.