Bei den Corona-Maßnahmen in Deutschland reißen die Diskussionen nicht ab. Trotz Rekord-Inzidenzwerten rücken Öffnungsschritte näher. Exit-Strategen fordern, dem Beispiel von Nachbarländern zu folgen.
Seit Wochen erschrecken die Menschen zwischen Rügen und Freiburg einmal quer durch die Republik jeden Morgen bei den Nachrichten. Immer neue Inzidenzhöchststände werden verkündet. In der ersten Februarwoche überstieg dieser Wert die 1.400er-Marke. Meist in der zweiten Meldung hören oder lesen die Menschen dann von der Debatte um die anstehenden Lockerungen der Corona-Maßnahmen, und im Ergebnis bleiben einmal mehr vor allem Fragen – und wenig Antworten.
Seit dem letzten Sommer hat doch der reine Inzidenzwert die Aussagekraft für Corona-Maßnahmen weitgehend verloren. Der Bundestag hatte sich kurz vor der Sommerpause noch unter Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) von diesem Richtwert für Corona-Maßnahmen verabschiedet und als neuen Wert die Hospitalisierungsrate ausgegeben. Also die Auslastung der Krankenhäuser durch Corona-Infizierte, vor allem die der Intensivstationen. Gestaffelt nach Schwellenwerten (3, 6 oder 9) waren jeweils Verschärfungen von Maßnahmen vorgesehen. Er hat Anfang Februar bundesweit etwas über 4 gelegen. Doch ganz offensichtlich scheint das akzeptabel zu sein, die Kliniken arbeiten normal, soweit das bei dem chronischen Personalmangel möglich ist. Aber den gab es bekanntlich auch schon vor der Pandemie, auch wenn nicht ganz so ausgeprägt wie derzeit.
Allein dieses politische Hin und Her zwischen dem Wert über Neuinfektionen und Klinikauslastung verunsichert die Menschen. Dazu kommt, dass die horrenden Inzidenzzahlen nach ziemlich übereinstimmender Expertenmeinung äußerst ungenau sind und vermutlich wesentlich höher sein dürften. Der Hintergrund ist für alle an der Debatte Beteiligten wenig überraschend und vor allem nicht neu. Nichtgeimpfte gingen eine Zeit lang kaum mehr ins Testzentrum. Was sollten sie auch da? Selbst mit einem negativen Ergebnis kamen sie kaum noch irgendwo rein, außer in den Supermarkt und die Apotheke. Damit fehlte in den RKI-Statistiken zum Inzidenzwert ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung. Denn nachdem Mitte Januar Johnson-und-Johnson-, einmal Geimpfte und Genesene mehrheitlich über Nacht ihren Status verloren haben, brauchte dieser Personenkreis zumindest für einen bestimmten Zeitraum auch keinen Test mehr, musste sich vielmehr erst mal um eine weitere Impfung bemühen, um den vorherigen Status wieder zu erreichen. Damit sind die Infektionszahlen zumindest von Mitte Januar bis Februar extrem ungenau. Damit ergibt sich aber gleichzeitig, dass vor allem Doppeltgeimpfte und Geboosterte, die noch zum Testen gingen, positive Ergebnisse hatten. Auch das trug nicht gerade zu Beruhigung der nach zwei Jahren restlos verunsicherten Menschen bei. Schließlich mussten dann in zahlreichen Bundesländern die Gesundheitsämter einräumen, dass die Kontakt-Nachverfolgung aufgrund der hohen Inzidenz-Zahlen und dem wenigen Personal nicht mehr leistbar ist.
Dazu das bundesweit völlige Durcheinander bei den Tests. Kaum einer in den Landesbehörden blickt mehr durch, welcher Test denn nun zum Freitesten taugt oder eben nicht.
Lauterbach für eine Öffnungsstrategie
Gesundheitsminister Lauterbach hat nun einen Referentenentwurf zur Test-Priorisierung ausarbeiten lassen. Demnach sollen die etwas sichereren PCR-Tests nur noch für vulnerable Gruppen und medizinisches sowie pflegerisches Personal verwendet werden. Wenn die dann überhaupt an solche Tests rankommen. Dazu stand im Referentenentwurf noch die Idee, dass bundesweit die Labore eingeschickte PCR-Tests dieser Gruppen vorrangig auswerten sollten. In Anbetracht dieses völligen Durcheinanders ist es kein Wunder, dass sich Politiker quer durch alle Parteien im Bundestag und in den Landesparlamenten sehnlichst ein schnelles Ende, mindestens aber spürbare Lockerung der Corona-Maßnahmen herbeiwünschen. Vor allem die Direktkandidaten müssen in ihren Wahlkreisen die Verärgerung der Menschen aushalten und haben auf die vielen berechtigten Fragen keine nachvollziehbaren Antworten.
Während die Virologen weiter auf der Öffnungsbremse stehen, machte völlig überraschend für alle Beteiligten ausgerechnet Gesundheitsminister Karl Lauterbach Hoffnungen auf baldige Öffnungen. Allerdings nur, wenn die Bugwelle der Omikron-Neuinfektionen –
vermutlich ab Mitte Februar – wieder abnimmt. Wieder steht die Frage im Raum, was denn in diesem Fall als Messgröße nun gilt, Neuinfektionen oder Krankenhausbelegung?
Politiker interessieren sich in diesen Tagen eher weniger für solche Feinheiten, sondern greifen nach dem Lauterbach-Strohhalm und beginnen überfreudig die Öffnungsdiskussion. Eine Exit-Strategie muss her. Jüngstes Vorbild dabei ist Dänemark. Dort wurden alle Maßnahmen von jetzt auf sofort aufgehoben. Der Schleswig-Holsteinische Landeschef Daniel Günther (CDU) will spätestens Ende März in seinem Land auch die dänische Lösung umsetzen. Ganz so weit wollen andere Länderchefs auf ihrer bereits dritten Ministerpräsidentenkonferenz Mitte Februar nicht gehen. Doch dank des Vorpreschens von Bayerns Ministerpräsidenten Söder dürfen die Fußballfans bereits wieder begrenzt in die Stadien.
Wann allerdings die Impfpflicht kommt und wenn ja, in welcher Form, wird auch nach der nächsten MPK unbeantwortet bleiben. Dabei geben Frankreich oder Österreich gute Antworten darauf, wie man so etwas politisch umsetzt, wenn auch mit erheblichen Widerständen. Doch genau dies wollen die politisch Handelnden ganz offensichtlich verhindern und es am liebsten allen Recht machen. Knifflige Entscheidungen wie die Impfpflicht werden da lieber vor sich hergeschoben. Es steht zu befürchten, dass bundesweit beispiellose Durcheinander an Maßnahmen, könnte sich bei der Impfpflicht, wenn sie denn überhaupt kommt, wiederholen.