Nach fast 20 Jahren hat es Friedrich Merz geschafft: Er ist nicht nur CDU-Chef, sondern auch wieder Fraktionschef im Bundestag. Als Oppositionsführer setzt er ganz auf Attacke.
Im Herzen lehnt Friedrich Merz die Impfpflicht als einen Angriff auf die freiheitlichen Bürgerrechte rigoros ab. Als neuer starker Mann der Union im Bundestag kann er der Debatte darüber viel abgewinnen. Darum hat er auch gleich mal eine Gesetzesinitiative zum Impf-Vorsorge-Gesetz ausarbeiten und während der zweiten „Orientierungsdebatte" im Bundestag zur Impfpflicht präsentieren lassen.
Impfpflicht nur bei Überlastung
Damit gibt es nun vier Modelle: Einmal gegen eine Impfpflicht, einmal für eine Impfpflicht nur für die über 50-Jährigen, beide werden vor allem von der FDP getragen. Dann eine Impfpflicht für alle ab dem 18. Lebensjahr – und nun noch den von der Union eingebrachten Vorsorge-Gesetzentwurf. Wie der Name schon andeutet, soll es dabei vorerst keine Impfpflicht geben, sondern das Parlament soll nur alles für eine mögliche Impfpflicht vorbereiten. Damit soll der Bundestag möglicherweise im kommenden Herbst bei einer neuen drohenden Pandemie durch eine neue Corona-Variante vorbereitet sein. „Dann", so Merz, „würde nicht wieder viel wertvolle Zeit vergeudet und der Bundestag könnte binnen Wochenfrist schnell reagieren", beispielsweise auf eine mögliche neue Corona-Variante. Eine Impfpflicht soll aber nur kommen, wenn dem Gesundheitssystem bei einer möglichen fünften Welle eine existenzielle Überlastung droht. Damit soll die Hospitalisierungs-Inzidenz der einzig gültige Parameter für eine Impfpflicht sein. Dafür müsste dann aber eine ganze Reihe gesicherter Erkenntnisse vorliegen. Daran aber hapert es massiv. Bis heute, zwei Jahre nach dem Ausbruch der Pandemie, werden zum Beispiel an den Wochenenden die Belegungszahlen der mit oder an Corona-Erkrankten in den Kliniken nicht oder unvollständig gemeldet, da sehr viele Gesundheitsämter an den Wochenenden und über die Feiertage nicht arbeiten. Doch damit das Vorsorge-Gesetz überhaupt greifen kann, sind solche Zahlen die Grundlage. In dem Gesetzentwurf der Union heißt es: „Diese umfassen insbesondere die voraussichtliche Schwere einer Virusvariante, deren Übertragbarkeit, die Wirksamkeit des dann verfügbaren Impfstoffes, die Erforderlichkeit und den Umfang der Immunität in der Bevölkerung ist die Grundlage".
Das klingt selbst für Teile der SPD im Bundestag vernünftig, auch wenn dies offiziell von den sozialdemokratischen Bundestagsabgeordneten nicht gern eingestanden wird. Aber mit dem Impf-Vorsorge-Gesetz hätte man die lästige Debatte über das in der gesamten Gesellschaft hoch umstrittene Thema Impfpflicht vom Tisch. Auch in der FDP steht man der Unionsvariante offen gegenüber. Damit könnte der frisch gewählte Unions-Fraktionschef tatsächlich einen ersten parlamentarischen Sieg als Oppositionsführer einsammeln. Denn dass einer der drei Vorschläge aus der FDP und von der Ampel eine Mehrheit im Plenum findet, ist nach Stand der Dinge eher unwahrscheinlich.
Vor allem in der FDP ist man darüber weitgehend uneins und hat sich unterdessen auch noch auf den Bundesgesundheitsminister eingeschossen. Karl Lauterbach wird von den Liberalen wegen der Verordnungs-Ermächtigung des RKI scharf kritisiert. Unter anderem geht es um die Nacht- und Nebelaktion, wonach das Johnson & Johnson Impfstatut aufgehoben und der Genesenen-Status auf drei Monate halbiert wurde. Dazu noch der Ärger in der Ampel wegen der allgemeinen Impfpflicht ab 18 Jahren. Da könnte der Unions-Vorschlag zu einem Vorsorge-Gesetz der FDP bestens ins Konzept passen.
Allerdings hat der Unionsvorschlag nicht nur aus Sicht der FDP einen erheblichen Webfehler. Das Impf-Vorsorge-Gesetz hat zur Grundlage, dass bis zum Herbst ein deutsches Impfregister aufgebaut wird. In diesem sollen alle Bundesbürger erfasst werden, damit man einen Überblick über den Fortgang einer möglichen Impfkampagne im Herbst hat. Damit würde man das Durcheinander wie in den letzten Monaten bei der Booster-Kampagne verhindern.
Bundesjustizminister Marco Buschmann lehnt allerdings so ein Impfregister bislang als „zu aufwendig und bürokratisch" ab. In der Union weist man darauf hin, dass ohne gesicherte Datengrundlage zukünftig eine Pandemie nicht gezielt bekämpft werden kann. Darum sei es unerlässlich, dass eine „sofort zu schaffende, zuverlässige, sichere und zugleich einfach zu errichtende Datengrundlage über den Impfstatus der verschiedenen Altersgruppen in Form eines Impfregisters" beschlossen wird, so die Gesetzvorlage.
Impfregister soll beschlossen werden
Hintergrund der Kritik am Impfregister sind datenschutzrechtliche Bedenken. Denn die Basisdaten für das Register, also Name, Geburtsdaten und Anschrift in dem Impfregister könnten vom Bundeszentralamt für Steuern kommen. Dort wird bundesweit für jeden Bundesbürger eine Steuer-Identifikationsnummer vergeben, die Mann und Frau ihr Leben lang behalten. Dort sind alle erfasst, und mit diesen Daten könnte man im Handumdrehen ein Impfregister anlegen, ohne viel recherchieren zu müssen. Die Daten liegen vor und wecken immer wieder Begehrlichkeiten. Der unterdessen aus dem Amt geschiedene Innenminister Horst Seehofer (CSU) hat, sozusagen als seine letzte Amtshandlung, schon mal den datenschutzmäßigen Weg geebnet und das „Registermodernisierungsgesetz" im Parlament durchgesetzt. Aus der Steuer-ID wurde nach dem Beschluss von Bundestag und Bundesrat im letzten Jahr nun die „Bürgeridentifikationsnummer" und kann damit für diverse andere Register genutzt werden. Etwa von Einwohnermeldeämtern oder von Krankenkassen. Warum also nicht zukünftig auch für das Impfregister, fragt die Union. Für Datenschützer aller im Bundestag vertretenen Parteien eine höchst zweifelhafte Idee. Doch nachdem die Union ihren Entwurf im Bundestag vorgestellt hat, war bereits auf den Fluren von CDU- und CSU-Abgeordneten zu vernehmen, das Impfregister sei nicht in Stein gemeißelt und man könnte sich das „Impf-Vorsorge-Gesetz auch ohne das Register vorstellen". Für die Union geht es jetzt vor allem darum, im Bundestag ihre oppositionelle Stärke unter Beweis zu stellen.
Klar scheint, keiner der vier Vorschläge für beziehungsweise gegen eine Impfpflicht hat derzeit eine Aussicht auf Erfolg, aber das Vorsorgegesetz der Union genießt unter den Parlamentariern durchaus große Sympathien. Womöglich vor allem deshalb, weil es aktuell für die Bürger überhaupt keine Auswirkungen hätte, und darauf kommt es offensichtlich vielen Parlamentariern an. In den kommenden zwölf Wochen stehen drei Landtagswahlen ins Haus, und da will man die Impfpflicht so schnell wie möglich aus der politischen Diskussion haben, weil es wichtige Wählerstimmen kosten könnte. Unions-Fraktionschef Friedrich Merz spekuliert daher im parlamentarischen Rund nicht nur auf viele Stimmen von der FDP, auch bei den Grünen ist man dem Vorhaben „Vorsorge-Gesetz" nicht abgeneigt, ganz zu schweigen von der SPD. Es könnte ein politischer Sieg der Union im Bundestag werden. Da war es von Bundeskanzler Olaf Scholz offensichtlich vorausschauend, ausdrücklich als Regierung keinen Gesetzentwurf zur allgemeinen Impfpflicht vorzulegen, sondern dies über Gruppenanträge im Parlament abhandeln zu lassen. Setzt sich die Union mit ihrem Antrag durch, gönnt Scholz dem Oppositionsführer den Erfolg, ohne dass seine eigene Ampelkoalition das als Niederlage verbuchen müsste. Frei nach dem Motto, die Vernunft hat gesiegt. Hauptsache das leidige Thema Impfpflicht ist vom Tisch.