Etwa 1,8 Millionen Deutsche leiden an dieser Herzkrankheit: dem Vorhofflimmern. Was sind die Symptome? Und wie lässt sie sich behandeln? Antworten auf diese Fragen hat Professor Dr. med. Leif-Hendrik Boldt, Kardiologe an der Charité in Berlin.
Herr Prof. Boldt, was ist Vorhofflimmern?
Vorhofflimmern ist eine Form einer Herzrhythmusstörung. Davon gibt es verschiedene Formen: Man unterscheidet grob zwischen den Rhythmusstörungen, die aus den Vorkammern des Herzens kommen und welchen, die aus den Hauptkammern des Herzens kommen. Diese sind etwas gefährlicher einzuschätzen. Unter den Vorhofrhythmusstörungen, stellt das Vorhofflimmern die am häufigsten vorkommende anhaltende Herzrhythmusstörung dar.
Was passiert beim Vorhofflimmern im Herzen?
Beim Vorhofflimmern läuft in den Vorkammern des Herzens die elektrische Erregung – man könnte auch sagen die elektrischen Impulse – nicht mehr regelmäßig ab. Das Herz schlägt nicht mehr im normalen Rhythmus, also dem sogenannten Sinusrhythmus, sondern die elektrische Aktivierung der Vorhöfe läuft ganz ungeordnet und chaotisch ab. Der Puls von Patienten mit Vorhofflimmern ist ganz unregelmäßig und kann dabei zu langsam oder auch zu schnell sein. Während gesunde Menschen 60-80 Schläge pro Minute im Vorhof haben, hat ein Patient mit Vorhofflimmern etwa 400 bis 500 Schläge und diese ganz chaotisch. Das heißt eine regelmäßige elektrische Aktivität, die zum Zusammenziehen des Herzmuskels, also zu seiner vorgesehenen Funktion führt, findet hier nicht statt. Beim Vorhofflimmern gibt es also keine Kontraktion der Vorkammern, sondern sie zittern oder „flimmern" nur noch. Das führt dazu, dass das Blut in den Vorhöfen weniger gut transportiert wird, als es das im normalen Herzrhythmus tut.
Bei den möglichen Folgen gibt es zwei Aspekte. Die Krankheit kann Herzmuskelschwäche verursachen. Das Vorhofflimmern gilt aber auch als die Hauptursache für einen Schlaganfall. Warum?
Patienten haben ein erhöhtes Risiko, dass sich in den flimmernden Vorhöfen Blutgerinnsel bilden. Insbesondere tun sie das in den sogenannten Herzohren, die den beiden Vorhöfen – unser Herz hat einen linken und einen rechten Vorhof – anhängen. Besonders im linken Herzohr ist das sehr gefährlich, weil die Blutgerinnsel dann wegschwemmt werden und über die linke Herzkammer und über die Hauptschlagader den direkten Weg ins Gehirn finden, dort Gehirngefäße verstopfen und Schlaganfälle verursachen.
Heißt das auch, je länger man Vorhofflimmern unbehandelt lässt, je mehr steigt die Schlaganfallgefahr?
Ja, das kann man mit Einschränkungen so sagen. Allerdings hat Vorhofflimmern verschiedene Formen. Einmal kann es anfallsartig auftreten. Wir nennen das dann „paroxysmales Vorhofflimmern". Ein paroxysmales Vorhofflimmern hält wenige Minuten, manchmal Stunden an; seltener bis zu sieben Tage. Bei diesen Episoden ist es meistens so, dass sie von allein wieder verschwinden. Wenn das Flimmern länger als eine Woche anhält und nicht von selbst aufhört, nennen wir es „persistierendes Vorhofflimmern". Dann gibt es noch das „permanente Vorhofflimmern", das vom Patienten akzeptiert wird. Die Behandlung konzentriert sich auf die Linderung der Beschwerden.
Wie wirkt sich die Art des Vorhofflimmerns auf das Schlaganfallrisiko aus?
Es gibt wissenschaftliche Hinweise, die aber noch nicht eindeutig belegt sind, dass es eine Korrelation zwischen der Dauer des Flimmerns und einem entsprechend erhöhten Schlaganfallrisiko gibt. Die Dauer ist allerdings nicht der einzige Faktor hier, denn es gibt auch individuelle Risikofaktoren.
Was sind diese Risikofaktoren für einen Schlaganfall?
Ein wichtiger Faktor ist das Alter. Das Risiko steigt ab 65 und geht dann noch mal nach oben ab 75. Weitere Risikofaktoren sind: Bluthochdruck, Diabetes, Herzschwäche und Gefäßerkrankungen, wie zum Beispiel koronare Herzerkrankungen oder Verkalkungen der Bein- und Beckengefäße. Bei Frauen erhöht das Vorhandensein dieser Risikofaktoren das Schlaganfallrisiko mehr als bei Männern. Und es ist wichtig zu wissen, dass mit einem bereits erlittenen Schlaganfall das Risiko weiter zunimmt, einen erneuten Schlaganfall zu bekommen.
Das individuelle Schlaganfallrisiko beim Vorhofflimmern lässt sich durch die Berechnung des sogenannten CHADS-Scores einschätzen. Grundlagen sind Kriterien wie Herzschwäche, Bluthochdruck, Alter, Diabetes und vorangegangene Schlaganfälle. Inwiefern hat sich dieser Test zur Risikobewertung durchgesetzt?
Bei Patienten die mit Vorhofflimmern diagnostiziert wurden, hat sich seit 2012 der CHA2DS2-VASc-Score in Europa weitgehend etabliert. Die Berechnung erfolgt durch ein einfaches Abfragen von Parametern zu den genannten Risikofaktoren. Das Gute ist, man braucht keine teuren Tests. Auf Basis dieses CHADS-Wertes entscheide ich als Arzt dann, ob ich eine Therapie mit einem blutverdünnenden Mittel durchführe.
Es gibt ja eine nicht geringe Zahl von Patienten, die Vorhofflimmern haben und das nicht wissen. Wie kann ein Arzt diese Patienten systematisch ausfindig machen?
Ein Standard-EKG kann ein Vorhofflimmern feststellen. Das Problem ist, dass das nur passieren kann, wenn zum Zeitpunkt des EKGs das Flimmern auch auftritt. Dann ist das EKG eine einfache und preiswerte Methode. Schwierig ist es bei Patienten, die nur ein anfallsartig auftretendes Vorhofflimmern haben, aber eben kein Flimmern besteht, zum Zeitpunkt an dem das EKG aufgezeichnet wird. Dann zeigt das EKG natürlich keinen Befund. Wenn ein Patient also, sagen wir zehnmal im Jahr, Vorhofflimmern hat, braucht es schon glückliche Umstände, dass gerade während einer seiner Episoden ein EKG geschrieben wird.
Für solche Patienten brauchen Sie alternative Diagnosemethoden. Was gibt es da?
Um bei Patienten, die mit Beschwerden kommen, festzustellen, ob sie tatsächlich an Vorhofflimmern leiden, helfen uns zunehmend auch neue Technologien. Etwa Smartwatches, die ein 1-Kanal-EKG über einen langen Zeitraum hinweg aufzeichnen können. Einige Smartwatches können auch anhand von unregelmäßigen Pulswellen zumindest einen Hinweis geben, dass Vorhofflimmern vorliegt. Das reicht nicht für eine Diagnose, ist aber ein guter Indikator, der dem Patienten sagt, er soll sich genauer untersuchen lassen. Diagnosehelfer können auch EKG-Chips unter der Haut sein, sogenannte Ereignisrekorder. Die sind geeignet auch über einen langen Zeitraum von drei Jahren den Herzrhythmus zu überwachen und können mit eigenen Algorithmen gezielt suchen, ob ein Vorhofflimmern vorliegt.
Etwa 60 bis 80 Mal pro Minute schlägt das Herz bei gesunden Menschen
Was macht eine Diagnose von Vorhofflimmern grundsätzlich schwierig?
Wir haben bei dieser Krankheit eben die ganze Bandbreite: von asymptomatisch – also völlig ohne Symptome – bis hoch symptomatisch. Manche Patienten merken einzelne Episoden ganz stark und andere wiederum kaum. Unterschiedliche Patienten haben unterschiedliche Symptome und hinzukommt, dass die Symptome selbst von Episode zu Episode unterschiedlich sein können.
Welche Therapiemöglichkeiten gibt es, um bei Patienten mit Vorhofflimmern das Schlaganfallrisiko zu senken?
Die Basis der Therapie sind die CHA2DS2VASc-Werte, die uns sagen, ob bei dem einzelnen Patienten ein erhöhtes Schlaganfallrisiko besteht. Wenn ja, dann führt man eine Blutverdünnungstherapie durch. Das ist unabhängig davon, wie oft oder wie lange Vorhofflimmern aufgetreten ist. Blutverdünnungstherapien sind nicht ganz ohne Risiko, denn sie können zur Folge haben, dass die Blutungsgerinnung nicht funktioniert. Dieses Risiko besteht bei etwa zwei Prozent der Patienten. Es gibt also eine klassische Nutzen-Risiko-Abwägung und deshalb würde man Blutverdünner nur verschreiben, wenn sich aus der Berechnung des CHA2DS-2VAsc ein erhöhtes Schlaganfallrisiko ergibt.
Was können wir zur Vorbeugung gegen Vorhofflimmern tun?
Die Haupt-Risikofaktoren sind: Bluthochdruck, Zuckerkrankheit, Bewegungsmangel, Übergewicht und übermäßiger Alkoholkonsum. Keiner dieser Faktoren sollte uns überraschen, da sie alle gekoppelt sind an unseren westlichen Lebensstil. Vorbeugung besteht darin, diese Risikofaktoren zu vermeiden oder wenn sie schon da sind, bestmöglich zu behandeln. Ausdauersport, am besten dreimal die Woche, machen. Blutdruck gut einstellen, Zuckerkrankheit gut behandeln und bei der Ernährung darauf achten, möglichst wenig Zucker und tierische Fette zu sich zu nehmen.
Welche Alternativtherapien gibt es für Patienten, die ein Schlaganfallrisiko haben, aber bei denen eine Unverträglichkeit gegenüber Blutverdünnungsmitteln besteht?
Derzeit läuft eine von der Charité angestoßene Studie, die „Closure-AF-Studie". Sie ist weltweit die größte Studie, um die bestmögliche Therapie zu finden für Patienten mit Vorhofflimmern, die ein hohes Risiko für einen Schlaganfall und ein erhöhtes Blutungsrisiko haben. Die Studie vergleicht zwei Therapien: den katheterbasierten Verschluss des linken Vorhofohres mit einer medikamentösen Blutgerinnungshemmung. Wie wirkungsvoll es ist, das Herzvorhofohr mit einer Art Schirmchen zu verschließen? Wie hoch genau der Nutzen dieser relativ neuen Therapie ist, wird in der Studie derzeit überprüft.
Bei Patienten mit Vorhofflimmern geht es natürlich auch um die Behandlung der Symptome. Welche Möglichkeiten gibt es da?
Als Arzt will ich Patienten helfen, ihre Lebensqualität zu verbessern und die Heftigkeit und Häufigkeit der Anfälle zu reduzieren.
Es gibt grundsätzlich zwei Beschwerdebilder: Einmal den aus dem Takt geraten Herzrhythmus. Unter Herzrhythmus versteht man das regelmäßige Zusammenspiel der Vorhöfe und Kammern des Herzens. Zum Zweiten tritt eine erhöhte Herzfrequenz auf, also ein beschleunigtes Schlagen des Herzens. Hier ist unser Ziel, durch eine Frequenzkontrolle das durch Vorhofflimmern bedingte Herzrasen, also eine schnelle Herzschlagfolge von 100 bis 160 Schlägen pro Minute, mit Medikamenten zu normalisieren. Das Vorhofflimmern als solches aber bleibt hier bestehen. Mit dieser Frequenzkontrolle kommen viele Patienten gut zurecht.
Ziel der Rhythmuskontrolle ist es, den normalen Herzrhythmus wieder herzustellen. Das geht mit Medikamenten oder mit einer Katheterablation. Bei einer Katheterablation wird das für die Herzrhythmusstörung verantwortliche Gewebe im Herz verödet. Bei etwa jedem zweiten Patienten, der mit einer Katheterablation behandelt wurde, kehrt das Vorhofflimmern nicht zurück. Beim anfallsartigen Vorhofflimmern liegt die Erfolgsquote nach einem Jahr bei 70 bis 80 Prozent. Voraussetzung ist jedoch, dass die Therapie möglichst früh beginnt. Katheterablationen führen in der Regel zu weniger Krankenhausaufenthalten, die Patienten entwickeln seltener eine Herzschwäche und sterben seltener an Krankheiten des Herz-Kreislauf-Systems. Die Ablation ist ein Eingriff, mit stetig erhöhter Erfolgsrate, aber es bleibt ein Eingriff mit Risiko. Und eine Ablation heilt leider nicht jeden Patienten.