Schon vor seinem Wechsel von Alba Berlin in die USA galt Franz Wagner als größtes deutsches Basketball-Talent. Die hohen Erwartungen hat er schon in seiner ersten NBA-Saison weit übertroffen.
US-amerikanische Sportmedien neigen gerne zu Superlativen. Von daher war es eigentlich nicht weiter verwunderlich, dass ein noch nicht einmal 18-jähriger, hoffnungsvoller deutscher Jung-Basketballer bei seinem Eintreffen in den Staaten, genauer gesagt in der Stadt Ann Arbor, mit Vorschusslorbeeren geradezu überhäuft wurde. In Michigan wollte Franz Wagner, der schon im zarten Alter von 16 Jahren erstmals Bundesliga-Luft geschnuppert hatte und damit zum jüngsten Spieler aller Zeiten im Dress von Alba Berlin in der höchsten deutschen Liga geworden war, den nächsten Karriereschritt beschreiten. Und damit in die Fußstapfen seines älteren Bruders Moritz treten, der auch schon erfolgreich den Weg über ein Basketball-Stipendium an der University of Michigan verbunden mit dem Einsatz für die Michigan Wolverines in der US-Hochschulliga NCAA als ideales Sprungbrett für eine Laufbahn in der NBA genutzt hatte.
Mit 16 Jahren schon in der Bundesliga
Verblüffend war allerdings, dass der gut 2,05 Meter große Schlaks gleich mit Super-Attributen wie „Five-Star-Talent" oder noch bombastischer als „Savant" bezeichnet wurde. Letzteres steht bekanntlich für eine seltene und herausragende Inselbegabung, eine besondere Fähigkeit auf einem ganz speziellen Gebiet, in Wagners Fall also für Basketball. Mehr als merkwürdig war, dass dem vom Prenzlauer Berg stammenden Jungspund dieses ehrenvolle Etikett bereits vor seinem allerersten Match mit seinem College-Team in der Saison 2019/2020 übergestülpt worden war, deren Beginn er wegen einer Handgelenkverletzung sogar verpasst hatte. Was dafür zu sprechen scheint, dass sich einige US-Basketball-Experten die Entwicklung Wagners in Deutschland in der Saison 2018/2919 schon ziemlich genau angeschaut haben dürften, als der Berliner zum besten deutschen Nachwuchsspieler U22 gekürt worden war und mit Alba die Vizemeisterschaft errungen hatte.
Wagner avancierte schnell zum Leistungsträger der Michigan Wolverines. Vor allem nach seinem mit 22 Punkten, darunter drei Dreiern, gekrönten Auftritt beim Sieg gegen die Perdue Boilermarkers Anfang 2020 fühlten sich die Insider in ihrer Prognose über den aufstrebenden Spieler bestätigt. Der seine Formkurve in der NCAA-Saison 2020/2021 mit im Schnitt 12,5 Punkten pro Match noch weiter nach oben schrauben konnte und sich daher im Mai 2021 dazu entschlossen hatte, am Ende Juli 2021 stattfindenden Draft-Verfahren der NBA teilzunehmen. Wonach er schließlich bei den Orlando Magic, wo auch sein Bruder Moritz als Korbjäger angestellt ist, mit einem umgerechnet zehn Millionen Euro schweren Drei-Jahresvertrag gelandet war und schon nach wenigen Monaten als fester Part der Startformation von seinem Chef-Coach Jamahl Mosley gewissermaßen geadelt werden sollte: „Er hat einen hohen Basketball-IQ." Womit ihm erneut eine besondere Begabung zum Lesen des Spiels, eine angeborene Spielintelligenz, bescheinigt wurde. Eine Einschätzung, die übrigens jüngst auch der neue deutsche Basketball-Bundestrainer Gordon Herbert ausdrücklich bestätigt hatte.
Die überraschend frühe Ziehung Franz Wagners beim Draft an achter Stelle gleich in der ersten Auswahlrunde führte zwangsläufig zu einem Vergleich mit legendären deutschen NBA-Spielern wie Detlef Schrempf oder Dirk Nowitzki. Wobei nur Schrempf ebenfalls an achter Stelle gepickt wurde, während Nowitzki seinerzeit von den Milwaukee Bucks erst an neunter Stelle ausgewählt worden war. Nach Nowitzki hatte es kein Deutscher mehr in die Top-10 eines NBA-Drafts geschafft. Dennis Schröder war 2013 von den Atlanta Hawks erst an 17. Stelle gezogen worden. Das Engagement gerade bei den Orlando Magics sollte für Franz Wagner ein großer Vorteil werden. Weil der Club sich in einem Umbruch und einem kompletten Neuaufbau befindet, daher in der aktuellen Saison 2021/2022 keinerlei Ambitionen Richtung Meisterschaft oder Playoff-Teilnahme anmelden konnte. Und daher jungen Spielern oder vielversprechenden Talenten wie Franz Wagner von Anfang an reichlich Spielzeiten einräumen konnte.
„Seine Mitspieler lieben ihn"
Fast zwangsläufig rangieren die Orlando Magic Mitte Februar 2022 mit gerade mal 13 Siegen und 45 Niederlagen nur auf dem vorletzten Platz der Eastern Conference. Franz Wagner konnte auf seiner Position als Small Forward mit der Rückennummer 22 von Saisonbeginn an jede Einsatzchance nutzen und sich schnell zu einem Leistungsträger mit hohen Spielanteilen von derzeit gut 31 Minuten entwickeln. Sein Punkteschnitt lag Mitte Februar 2022 bei 15,5, seine Dreier-Quote lag bei 36 Prozent, dazu hatte er eine Reboundquote von 4,6 Prozent und konnte pro Match drei Assists verbuchen. „Ich versuche, ihn so oft es geht in verschiedene Situationen zu werfen", so Trainer Jamahl Mosley, „damit er das Spiel lesen kann. Seine Mitspieler lieben ihn, sie stehen gerne mit ihm auf dem Feld, weil er immer das richtige Play macht. Er wächst mit seinen Aufgaben und lernt jedes Spiel etwas dazu." In seinem erst achten NBA-Match Anfang November 2021 kam es bei Wagner zu einer Leistungsexplosion. Beim 115:97-Sieg gegen die Minnesota Timberwolves gelangen ihm 28 Punkte, darunter fünf Dreier-Würfe sowie ein spektakulärer Dunk. „Ich habe schon mal gedunkt", so Wagner, „Aber so gedunkt habe ich noch nie in meinem Leben. Es ist so ein bisschen eine ‚Out of Body-Experience‘." Bei NBA-Twitter wurde der Dunk-Clip rauf und runter gefeiert. Es war in Windeseile vom „German Hammer" die Rede. Coach Mosley: „Er ist ein selbstloser Spieler und wird immer versuchen, die richtige Entscheidung zu treffen. Wenn die Abwehr ihn in die Falle lockt, wird er den Ball abspielen. Er ist überhaupt kein egoistischer Spieler, er will den Ball bewegen."
Auch Niederlagen konnte er problemlos wegstecken: „Ich denke, ich sollte jedes Spiel als Chance sehen, auch wenn wir 20 Punkte zurückliegen. Denn ich denke, dass diese Minuten für uns als Team und als einzelne Spieler sehr wichtig sein können. Ich versuche einfach, meinen Job zu machen und die Chancen zu nutzen, die sich mir bieten, und ich denke, dass sich das langfristig auszahlen wird."
Beeindruckende Konstanz
Besonders beeindruckend war die Konstanz der Leistung, die eigentlich von einem solch jungen Spieler nicht erwartet werden konnte. Zumal er sein Level sogar ganz kurzfristig noch steigern konnte, weil er im Zuge von Coronainfektionen in seinem Team noch größere Verantwortung übernehmen musste. Lag sein Punkteschnitt im Oktober 2021 noch bei 13,9, so konnte er diesen im Dezember 2021 auf 19,5 hochschrauben. Überhaupt war der Dezember 2021 der erste Höhepunkt seiner Karriere. Beim 100:93-Sieg gegen die Brooklyn Nets gelang ihm das erste Double-Double seiner NBA-Karriere (14 Punkte, elf Rebounds und sechs Assists). Noch herausragender wenig später seine persönliche Performance bei der 110:127-Niederlage gegen die Milwaukee Bucks. Als Wagner mit 38 Punkten (zwölf von 20 Versuchen fanden dabei ihr Ziel) der beste Werfer auf dem Feld war und damit das beste Ergebnis aller aktuellen NBA-Neulinge aufstellen konnte.
Womit er den bisher von Dirk Nowitzki gehaltenen Rekord deutscher Rookies in der NBA ausgelöscht hatte. Nowitzki waren im April 1999 in seiner ersten Spielzeit für die Dallas Mavericks einmal 29 Punkte gegen die Phoenix Suns gelungen. Die Liga-Verantwortlichen honorierten Wagners Dezember-Klassevorstellungen (neben den 19,5 Punkten waren ihm 5,1 Rebounds und 3,1 Assists sowie eine Top-Dreier-Quote von 40,4 Prozent gelungen) denn auch durch seine Wahl zum „Rookie of the Month" der Eastern Conference. Nur ein einziger früherer Magic-Rookie hatte bei der Auszeichnung noch bessere Werte (20,6 Punkte) vorweisen können: Shaquille O’Neal. Aber ein Vergleich mit dieser Legende, immerhin einem der besten Basketball-Spieler aller Zeiten, dürfte zumindest als arg verfrüht angesehen werden.
In den letzten zehn Spielen zwischen Ende Januar 2021 und Mitte Februar 2022 schwankte Wagners Punktezahl zwischen acht und 24. Das Zwischenfazit der „ARD-Sportschau" lautet: „Kein Deutscher ist je besser in die NBA gestartet als Wagner. Ja, auch nicht Dirk Nowitzki." Weshalb die ARD-Sportexperten Wagner auch als ernsthaften Kandidaten für die NBA-Wahl zum „Rookie of the Year" ansehen. Was auch schon durch die Nominierung Wagners als einer von zwölf Liganeulingen für die Rising Stars Challenge am All-Star-Wochenende im Februar 2022 bestätigt wurde. Einige Schwächen muss der inzwischen 20-Jährige allerdings noch ausmerzen. Vor allem fehlt ihm noch die körperliche Robustheit in Sachen Muskelmasse. Doch diese wird er bald im Kraftraum zulegen können. Auch im Dribbling hat er allein schon wegen seiner Größe noch Aufholbedarf. Aber seine größten Trümpfe – dazu gehören reife Spielanlage, das perfekte Pass-Spiel, die hohe Dreier-Treffsicherheit, seine Beweglichkeit und die Stärken auch im Defensivverhalten – dürften für eine große NBA-Karriere für Franz Wagner sprechen.