Gehen oder bleiben? Frankreich will seine Truppen im afrikanischen Staat abziehen. Sollen auch die deutschen Soldaten Mali verlassen? Die Meinungen sind geteilt. Einige Experten befürchten ein zweites Afghanistan, wenn die deutschen Truppen auch noch abziehen.
Seit 2013 ist die Bundeswehr in dem westafrikanischen Land mit mehr als 1.300 Männern und Frauen an zwei Missionen beteiligt: der EU Ausbildungsmission EUTM sowie der UN-Mission MINUSMA, die auf Stabilisierung und Aufklärung ausgerichtet ist. Im Mai 2022 sollen beide Missionen auslaufen. Frankreich ist gerade dabei, seine Truppen aus Mali abzuziehen. In Deutschland sind die Verteidigungspolitiker noch unentschieden, ob die Soldaten ebenfalls gehen oder bleiben sollen.
Die Mission wurde eingerichtet, um die Dschihadisten aus dem Norden zu vertreiben. Sie terrorisieren bis heute den bevölkerungsreichen Süden des Landes. Rund zwei Drittel des Territoriums des Binnenstaates befinden sich praktisch außerhalb der Kontrolle der Regierung. Die Dschihadisten versuchen mittlerweile, mit den Nachbarländern Niger und Burkina Faso parallele Strukturen aufzubauen. Die Regierung zieht sich mehr und mehr aus der Fläche zurück. Nach einem Militärputsch schieben die neuen Herrscher demokratische Wahlen auf die lange Bank. Und die Korruption ist weit verbreitet. Jetzt haben die Militärs auch noch russische Söldner ins Land geholt, um gegen die Terroristen zu kämpfen.
Wahlen werden geschoben
Die Franzosen, denen von den Maliern immer wieder Versagen vorgeworfen wird, haben jetzt genug und wollen aus dem Land abziehen. Der koordinierte Abzug solle bis zum Sommer erfolgen, der Anti-Terror-Kampf aber in angrenzenden Ländern in der Sahelzone fortgesetzt werden. Es geht um zwei Militäroperationen, an denen mehrere europäische Länder – aber nicht die Bundeswehr – beteiligt sind. Damit wird eine empfindliche Lücke gerissen und Deutschland gerät unter Druck.
Der erste Impuls auf allen Kommentarseiten in Deutschland war, ebenfalls abzuziehen. Doch Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) vermied, sich festzulegen und sprach nur davon, den Einsatz intensiv zu überprüfen. Die Sicherheit der Soldaten habe für sie Priorität. Wenn die Franzosen weg seien, müssten zum Beispiel die fehlenden französischen Kampfhubschrauber kompensiert werden. Außerdem haben die Franzosen ein Lazarett in Betrieb und verfügen über mehr schwere Waffen als die Bundeswehr.
Dabei macht Lambrecht einen klaren Unterschied zwischen der Ausbildungsmission EUTM und der Aufklärung im Auftrag der Vereinten Nationen. Sollte die malische Regierung mit Söldnern zusammenarbeiten, habe das direkte Konsequenzen, meinte die Verteidigungsministerin. „Die Vorstellung, dass malische Soldaten durch unsere Frauen und Männer bei EUTM ausgebildet werden und im Anschluss mit russischen Söldnern kooperieren sollen, ist undenkbar", so Lambrecht auf ihrer Webseite.
Bei der anderen Mission – MINUSMA –
handelt es sich um einen der größten Blauhelm-Einsätze der Vereinten Nationen, an dem die Franzosen auch weiter beteiligt sein sollen. Es geht dabei um die Stabilität der südlichen Sahelzone, die durch die Ausbreitung dschihadistischer Gruppen gefährdet ist. In der Region, die sich südlich der Sahara vom Atlantik bis zum Roten Meer erstreckt, sind etliche davon aktiv. Einige haben den Terrorgruppen Islamischer Staat (IS) oder Al-Kaida die Treue geschworen. Die Gruppen benutzen die Räume zum Rückzug, bilden in den endlosen Weiten aber auch neue Basislager, um bis zum Atlantik hin zu operieren.
In Sachen MINUSMA sind die Verteidigungsexperten eher für Verlängern. Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), erinnerte daran, dass die Europäer in Mali keine Besatzer seien, sondern gebeten worden seien, die malische Armee zu unterstützen und die Region stabilisieren zu helfen. Der Unions-Europa-Experte Günther Kriechbaum warnte vor einem unkoordinierten Abzug aus dem westafrikanischen Land. „Das Beispiel Afghanistan hat uns allen vor Augen geführt, wozu ein überhasteter und nicht abgesprochener Alleingang führen kann", gab Kriechbaum zu bedenken. Eine Wiederholung in Mali müsse unbedingt verhindert werden."
Ein abrupter Abzug wäre der falsche Reflex, so auch Ulf Laessing, der für die Konrad-Adenauer-Stiftung in Malis Hauptstadt Bamako arbeitet. „Deutschland wird weiter in Mali gebraucht. Es geht darum, einen Flächenbrand in Westafrika zu verhindern. Ohne den Einsatz der Bundeswehr und der Blauhelmtruppe wäre die Situation in Mali noch dramatischer." Auch der Generalsekretär der Welthungerhilfe, Mathias Mogge, meint, Deutschland dürfe sich nicht abwenden. „Wenn ein Land durch Sanktionen isoliert und die Arbeitsbedingungen für Hilfsorganisationen massiv eingeschränkt werden, leiden die Menschen, die ohnehin ums Überleben kämpfen", erklärte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Mogge forderte die Bundesregierung dazu auf, eine „aktive Rolle" bei internationalen Verhandlungen zu übernehmen und die Entwicklung des Landes in den kommenden Jahren „stärker zu begleiten". Deutschland habe keine koloniale Vergangenheit in Mali und solle „seinen guten Ruf im Land für eine ehrliche Vermittlerrolle nutzen".
„Ehrliche Vermittlerrolle"
Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Michael Roth (SPD), sagte der „Osnabrücker Zeitung", man müsse „verantwortungsvoll abwägen, welche Folgen ein mögliches Ende der deutschen Einsätze für die eh schon von Instabilität geprägte Sahelregion hätte. Denn dann werden möglicherweise andere Mächte wie Russland oder China in dieses Vakuum stoßen." Agnieszka Brugger (Grüne) hat die Fortsetzung des Bundeswehreinsatzes in Mali an Bedingungen geknüpft. „Grundsätzlich ist es richtig, dass Deutschland sich angesichts der großen Probleme in der Sahel-Region von der katastrophalen Sicherheitslage bis zu den dramatischen Konsequenzen der Klimakrise engagiert und insbesondere auch die Vereinten Nationen bei der schwierigen Umsetzung des Friedensprozesses stärkt", sagte sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
Dass Deutschland seine Entscheidung nicht allein trifft, ist auch klar. Schließlich gilt es ja, die französische Lücke zu füllen: Man werde jetzt mit den Partnern darüber sprechen, sagt Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP): „Davon werden wir abhängig machen, ob wir uns dort weiter engagieren." Die Bundesregierung hält sich also vorerst alle Türen offen. Selbst ein Herunterfahren der Ausbildungs- und eine Aufstockung der UN-Mission scheint nicht ausgeschlossen. Dem allerdings müsste im Mai – wenn die Mandate auslaufen – der Bundestag zustimmen. Einfach wird das nicht. Denn die Ampelkoalition ist entschlossen, alle Auslandseinsätze der Bundeswehr kritisch zu überprüfen.