Kenneth Branaghs berührender Film „Belfast" zeigt eine Kindheit während des eskalierenden Nordirlandkonflikts. Ab 24. Februar im Kino.
Kinder spielen auf der Straße, Nachbarn stehen dicht beieinander und tratschen, der Großvater bastelt im Hinterhof: In den dicht beieinander stehenden Arbeiterhäusern eines Wohnviertels in der nordirischen Stadt Belfast scheint Ende der 1960er-Jahre die Welt in Ordnung zu sein. Buddy (Jude Hill), neun Jahre alt, ist hier geboren. Und für den Jungen, seinen älteren Bruder Will (Lewis McAskie) und die Eltern ist klar: Hier ist die Heimat der Familie. Auch wenn Buddys Vater (Jamie Dornan) in England arbeitet – und deshalb mehrere Wochen im Monat nicht zu Hause ist.
Regisseur und Drehbuchautor Kenneth Branagh ist selbst in Belfast aufgewachsen. Er hat den Film als seinen bislang persönlichsten bezeichnet. Auch wenn die Handlung – abgesehen von den historischen Ereignissen – fiktional ist.
Der Frieden ist nicht von Dauer: Der Konflikt zwischen den in Richtung Großbritannien orientierten Protestanten Nordirlands und den sich zu Irland zugehörig fühlenden Katholiken verhärtet sich. So kommt es, dass bei Unruhen im August 1969 randalierende Protestanten über die Häuser der Katholiken in Buddys Straße herfallen. Dort hat es eigentlich bislang keine große Rolle gespielt, zu welcher Gruppe man gehört. Buddys Familie selbst ist protestantisch, aber viele seiner Freunde sind Katholiken – auch das Mädchen, in das er heimlich verliebt ist.
Fast ganz in Schwarzweiß
Es empfiehlt sich, vor dem Besuch des Films das eigene Wissen über den Nordirlandkonflikt noch einmal ein bisschen aufzufrischen. Kenneth Branagh setzt hier Vorwissen voraus, das im Jahr 2022 möglicherweise nicht für jeden selbstverständlich ist.
Der Film zeigt, wie aus einer friedlichen Nachbarschaft ein Schlachtfeld wird. Direkt nach den ersten Kämpfen errichten die Bewohner am Eingang zu Buddys Straße eine Barrikade und bewachen sie. Wer hindurch will, muss Fragen beantworten. Und sich unter Umständen durchsuchen lassen. Auf einmal ist der Zugang zu anderen Nachbarschaften schwieriger. Auch für die, die den Konflikt überhaupt nicht wollen.
„Es gibt nicht unsere und deren Seite in unserer Straße", sagt Buddys Vater. „Zumindest war es bisher nicht so." Mit der Zeit wächst der Druck der Radikalen auf die normale Bevölkerung. Sie sollen Position beziehen, Geld für den Kampf geben und sich am besten gleich daran beteiligen. Wer das nicht macht, wird offen bedroht. Und so denkt Buddys Vater darüber nach, mit der Familie Belfast zu verlassen. Für die Mutter (Caitríona Balfe) wiederum ist das undenkbar: Sie kann sich nicht vorstellen, irgendwo anders zu leben. Und auch Buddy, der ein inniges Verhältnis zu seinem Großvater (Ciarán Hinds) und seiner Großmutter (Judie Dench) hat, kann sich das nicht vorstellen.
Für den Oscar nominiert
Es ist schwer verständlich, wie es im Jahr 1969 mitten in Europa zu bürgerkriegsartigen Zuständen kommen konnte. Zu einer Zeit, in der die junge Generation in der westlichen Welt sich von überholten Wert- und Moralvorstellungen ihrer Elterngeneration verabschiedete. Während in London die Swinging Sixties in vollem Gang waren, Musik, Mode und Kunst neue Höhen erreichten.
„Belfast" ist weitgehend in Schwarzweiß gedreht. Lediglich Momente, in denen die Familie aus ihrem Alltag entflieht, zeigt der Film in Farbe, etwa beim Besuch im Kino, wo der 1968 herausgekommene Musical-Film „Tschitti Tschitti Bäng Bäng" läuft. Eine gewagte Entscheidung, die aber hervorragend funktioniert. Die Aufnahmen erinnern an Fotoreportagen aus der Zeit, wie sie damals in den großen Magazinen erschienen. Es ist klar, dass jede dieser Einstellungen klar durchdacht und geplant ist. Zu verdanken ist das der Arbeit von Kameramann Haris Zambarloukos, der mit Kenneth Branagh bereits bei einer ganzen Reihe von Produktionen zusammenarbeitete. Dazu gehören so unterschiedliche Filme wie „Thor" aus dem Jahr 2011, „Jack Ryan: Shadow Recruit" (2014) und „Artemis Fowl" von 2020.
Kenneth Branaghs Film ist einer der besten Filme des Jahres 2021. Der Erfolg bei der Kritik zeigt sich auch an der bislang zweistelligen Zahl an Nominierungen bei verschiedenen Filmpreisen. Bei den British Independent Film Awards 2021 etwa waren es elf, ohne dass der Film allerdings eine der Auszeichnungen gewann. Bei den Golden Globes 2022 ging „Belfast" mit sieben Nominierungen ins Rennen. Und gewann den Preis für das Beste Drehbuch. Bei den diesjährigen Oscars, die am 27. März verliehen werden, ist der Film für insgesamt sieben der begehrten Trophäen nominiert: in den Kategorien Bester Film, Beste Regie, Bester Nebendarsteller, Beste Nebendarstellerin, Bestes Originaldrehbuch, Bester Song und Bester Ton.