Das Homeoffice ist keine Erfindung der Neuzeit
Das Coronavirus und seine pandemischen Schrecken und Folgen haben viele Innovationen hervorgebracht, nicht nur in der Medizin und im Handel, sondern auch im sozialen Zusammenleben der Menschen und vor allem in der Organisation von Berufstätigkeit und Geldverdienen im Arbeitsprozess. Als Nebenerscheinung der Moderne taucht plötzlich auch das Homeoffice auf. Kein Ereignis außer der Pandemie selbst und ihrer länderspezifischen Wellen und Verläufen und den politischen Reaktionsmustern darauf wurde so debattiert wie diese neue Form des Arbeitsplatzes in den eigenen vier Wänden. Jedem Werktätigen sind inzwischen Zoom, Videokonferenzen, Slack, Facetime und Teams bekannt.
Inzwischen wurde die erzwungene Ausnahmelösung der Arbeit zu Hause oder von zu Hause für viele Werktätige zur angenehmen Gewohnheit. Für die betroffenen Arbeitnehmer vielfach ein Akt der Selbstbefreiung von starren Arbeitszeiten und -regeln, ein Akt der Selbstverwirklichung. Mehr freie Zeit für sich selbst und die Familie durch Entfall täglicher teils quälend langer Pendelei zwischen Wohnung und Arbeitsplatz. Und dazu noch die Kostenersparnis für die entfallenden Fahrten. Für die betroffenen Arbeitgeber hingegen überwiegend ein Quell des Unbehagens über den Verlust der unmittelbaren Kontrolle über Arbeitseinsatz und -tätigkeit und der Produktivität ihrer Mitarbeiter.
Plötzlich steht die Frage im Raum, ob der Heimarbeitsplatz die Arbeitsform der Zukunft sein könnte. Ist der ständige Arbeitsplatz im Homeoffice in einer Gesellschaft, in der Mobilität in jeglicher Ausprägung zum Standardmerkmal geworden ist, überhaupt durchhaltbar? Ist das die Zukunft? Scheinbar ja, denn nach Umfragen will nur ein Drittel zurück ins Büro. Also Bürohaus und Groß-Kanzlei ade? In der Öffentlichkeit wird heftig diskutiert.
Vor lauter Debatten über die Verlagerung des Arbeitsplatzes vom Büro nach Hause in die eigenen vier Wände drängte sich der Eindruck auf, der Arbeitsplatz zu Hause sei eine Erfindung des 21. Jahrhunderts. Weit gefehlt! Über Jahrhunderte war es die Norm, seinen Lebensunterhalt in Heimarbeit zu Hause am Küchentisch, als Handwerker in der Werkstatt im Hause oder auf dem Hof in engem Kontakt zum lieben Vieh zu verdienen. Das Vieh im Stall, die Wohnräume der Wärme wegen, nebenan oder darüber. Das tägliche Pendeln für das Gros der „Werktätigen“ ist eine Erfindung der Industrialisierung und der zunehmenden Arbeitsteilung in der gesamten Wertschöpfungskette.
Das Arbeiten von zu Hause aus, das Geldverdienen am Küchentisch und in der Wohnstube, ist also keineswegs eine Erfindung der Neuzeit, sondern Teil der Zivilisationsgeschichte. Ein Blick in die Geschichte lehrt, dass seit der Antike bis zum Beginn der Industrialisierung das Arbeiten zu Hause das Normale war, dass es zum Heim-Arbeitsplatz überhaupt keine Alternative gab. Jeder Handwerker und Bauer hatte seine Werkstatt und seinen Stall im Haus, jeder Händler bot seine Waren in Haus oder auf dem nahe gelegenen Markt an. Das war so üblich.
Natürlich gab es auch früher schon Menschen, die mit ihren Berufen durchs Land zogen und diesen Beruf als Mixtum von Handwerk, Handel und Dienstleistung dann ausübten, wenn es Bedarfe gab. Zu diesen im modernen Sinne Ich-AGs gehörten Söldner und Schäfer, Gaukler und Salbader sowie Hausierer. Sie zogen damals mit angehängtem Arbeitsplatz durch die Lande. Werkzeuge und Waren und zum Teil auch das Dach über dem Kopf wurden in Kraxen, Körben und Bauchläden auf Leiter- und Pferdewagen mitgeführt.
Sie alle waren zwar im bürgerlichen Sinne nicht im Hause, sie alle hatten aber ein Zuhause. Damit ist im Grunde die Frage, ob Homeoffice oder nicht, also sehr einfach und seit Jahrhunderten auch schon beantwortet: Zuhause ist da, wo Arbeit ist. Und wo man seine Arbeit hat, da ist also das Zuhause.
Das kann außerhalb oder innerhalb der eignen vier Wände stattfinden, draußen oder im Home-Office. Mit Heimat sollte man das aber nicht verwechseln. Man kann also überall auf der Welt der Arbeit wegen zu Hause sein, „daheim“ wird das deswegen aber noch lange nicht.