Eine automobile Ikone feiert Jubiläum: Der Renault 4 ist 60 geworden. Er stand 30 Baujahre lang für das, was man heute vermisst: klassenlose Mobilität zu überschaubaren Kosten.
Ohne dieses Auto wäre Renault nicht Renault, der R4 hat die DNA des französischen Herstellers nachhaltig geprägt. Er war einst das Gesicht der Marke, heute ist er so etwas wie ihre Seele. Vor 60 Jahren begann die Karriere des in Frankreich „Quattrelle“ (für 4 L) genannten Jahrhundertautos, nach Deutschland kamen die ersten Exemplare 1962. Knapp eine Million R4 sollte Renault in den folgenden drei Jahrzehnten hierzulande verkaufen. Achtmal mehr wurden es sogar weltweit, damit ist der R4 bis heute Frankreichs automobiler Exportschlager Nummer eins.
Nicht der einzige Superlativ: Er war das erste Serienauto mit umklappbarer Rückbank, zudem der erste Pkw von Renault mit Frontantrieb. Und: Als erster Kleinwagen seiner Klasse verzichtete er auf arbeitsintensive Abschmierpunkte und bot ein wartungsfreies, geschlossenes Kühlsystem. „Kein Wasser, kein Fett, nur ein bisschen Sprit“, versprach die Werbung. Die Kunden hielten sich dankbar an den Aufruf zur Nonchalance. Einen R4 pflegte man nicht, man nutzte ihn.
Kinderkrankheiten im Vorfeld beseitigt
Die Waschmaschine der Freundin, eine Ladung Kindergeburtstag oder die ersten Billy-Regale vom Schweden: Es gab quasi nichts, wofür sich ein R4 nicht eignete. Gendarmerien, Kommunalbetriebe und selbst Feuerwehren hatten den R4 im Einsatz. Ja, er war sogar mal Motorsportler bei der Rallye Monte Carlo. Die Generation der heutigen Ü50er fuhr ihn meist als von Aufklebern übersätes Gebrauchtvehikel in Vierthand. Auf seiner Heckklappe ließ sich Atomkraft dankend ablehnen oder mit der Pril-Blume eine heile Welt propagieren. Ein R4 war immer auch Statement.
Begonnen hat alles damit, dass Pierre Dreyfus, damals Generaldirektor des Staatsbetriebs Renault, seinem Dienstherrn Ende der 50er-Jahre das Projekt eines „kleinen vielseitigen Autos mit großer Hecktür und einem frei zugänglichen Laderaum, gutem Federungskomfort und guter Handlichkeit“ vorschlug. Dreyfus bekam grünes Licht. Seinen Ingenieuren gab er den bis heute legendären Auftrag, nichts anderes zu bauen, als „eine Blue Jeans auf Rädern“. Kurz: immer passend, robust, praktisch und sehr lässig.
Das Ergebnis geradezu genialer Kreativität wurde zunächst geheim gehalten wie sonst nur eine Liebschaft im Élyséepalast. Fast drei Millionen Testkilometer durch menschenleere Gegenden in Skandinavien, Afrika und die USA absolvierte das kleine Auto, ehe Renault es auf die Kunden losließ. Autohistoriker sehen genau darin seinen Erfolg begründet. Der R4 kam ohne Kinderkrankheiten auf den Markt und schlug ein wie eine Bombe. Renault war sich seiner Sache dermaßen sicher, dass man sich in die Höhle des Löwen – pardon – des Käfers traute: Der R4 debütierte offiziell am 21. September 1961 auf der Frankfurter IAA, noch vor seiner Präsentation zwei Wochen später auf dem Pariser Salon.
Zur Markteinführung in Deutschland Anfang 1962 kostete das Auto genau 3.830 Mark, damit war er günstiger als der VW Käfer. Hierzulande wurde er zunächst mit einem 26 PS starken und 845 ccm kleinen Motor angeboten. Im Herbst folgt der Marktstart der Transportervariante. Ein Jahr später kreierten Renault-Designer zusammen mit der Modezeitschrift „Elle“ den R4 Parisienne. Auflackierte, topmodische Rohgeflechtmuster zierten die Flanken des Autos, das kurz darauf noch einmal dank Frauenpower brillierte. Vier junge Damen sorgten 1965 für Furore, als sie eine 40.000-Kilometer-Odyssee von Feuerland nach Alaska mit zwei R4 durchfuhren. Die Autos waren voll gepackt mit Ersatzrädern, Benzinkanistern, Kameras und Filmmaterial. So ziemlich alles wurde auf dem Trip gebraucht – bis auf das mitgeführte Werkzeug für größere Reparaturen. Die Autos hielten den Strapazen ohne Schwierigkeiten stand.
Atemberaubende 34 PS bei Endmodell
Optische Änderungen waren stets nur Retuschen, im Wesentlichen blieb der R4 immer er selbst. 1967 gab es neue Stoßstangen. Im gleichen Jahr ersetzte die „Alubrille“ den bisherigen Grill. Sie wurde 1974 selbst abgelöst durch einen zunächst schwarzen, später grau eingefärbten Kunststoffgrill. Die Lüftungsklappe vor der Frontscheibe entfiel ab 1977. Bislang außen liegende Türscharniere wanderten 1982 nach innen, im gleichen Jahr hielt das Cockpit des Konzernbruders R5 Einzug. Auch technisch hielt sich Renault drei Jahrzehnte lang an das puristische Credo dieses Autos. Immerhin: 1967 ersetzte eine Viergangbox das bis dato werkelnde Dreiganggetriebe. In Erinnerung geblieben ist den meisten Ex-Besitzern die Revolverschaltung, mittig platziert unter der Frontscheibe. Auch sie blieb bauzeitlebens unangetastet. Der Hubraum wuchs auf zuletzt 1.108 ccm, die PS-Zahl lag am Schluss bei atemberaubenden 34 PS.
Nie verändert wurde das Fahrwerkprinzip der vorderen Einzelradaufhängung mit Querlenkern und längs liegenden Drehstabfedern. Hinten fuhr der R4 auf ebenfalls einzeln aufgehängten Rädern mit Längslenkern und quer liegenden Drehstabfedern. Vorne half zudem ein Querstabilisator. Eine bauliche Besonderheit hatte das Fahrwerk aber doch: Jede der beiden Hinterachsschwingen hatte einen eigenen Drehstab, um nochmals den Federweg zu erhöhen. Dieser Komfort-Trick verursachte einbaubedingt zwei geringfügig unterschiedliche Radstände rechts und links. 48 Millimeter Unterschied, über die sich vor allem die deutsche Autopresse jahrelang mokierte.
Mon Dieu, den meisten Besitzern des kleinen Franzosen war das vollkommen schnurz. Sie freuten sich einfach am Alltagsnutzen ihres Autos, seiner Handlichkeit und dem günstigen Unterhalt. So wie letztlich exakt 8.135.424 Käufer weltweit. Die Produktion endete 1992, vier Jahre zuvor schon hieß es in Deutschland Abschied nehmen. Renault entschied, den R4 nicht mehr an die künftigen Abgasbestimmungen hierzulande anzupassen.
Produktion endete endgültig 1992
Als finaler Preis waren im Händlerprospekt 12.590 D-Mark für das extra aufgelegte Abschiedsmodell „Salü“ aufgerufen, als das Jahrhundertauto noch einmal kurz im Rampenlicht stand.
Ein neuer Star am damaligen TV-Himmel hatte den letzten in Deutschland verkauften R4 erworben: Günther Jauch, Baujahr 56, ist bis heute stolzer Erstbesitzer und Fahrer eines roten Renault 4 GTL, Baujahr 88. Jung geblieben sind beide.