Stoffwechsel und Kalorienverbrauch verändern sich im Laufe unseres Lebens. Vier verschiedene Lebensphasen des Stoffwechsels sind bekannt. Eine Studie zeigt, dass Säuglinge 50 Prozent mehr Kalorien verbrauchen als Erwachsene.
Jeder, der sich ernsthaft mit einer Diät, dem Umschalten auf eine gesunde Ernährung oder mit sportlichen Aktivitäten zur Gewichtsabnahme beschäftigt hat, wird schon mal einen Gedanken an seinen täglichen Kalorienverbrauch verschwendet haben. Weil man diesen möglichst reduzieren möchte, an dem Ruheumsatz zu rütteln, den der Körper zum Erhalt seiner wichtigsten Lebensfunktionen wie dem Aufrechterhalten des Blutkreislaufs, des Atmens oder des Stoffwechsels benötigt. Dafür werden insgesamt zwischen 50 und 70 Prozent des gesamten menschlichen Energieverbrauchs benötigt, abhängig von Faktoren wie Alter, Geschlecht oder auch Muskelmasse.
Was die restlichen 30 bis 50 Prozent des Energieverbrauchs betrifft, die relativ stark und je nach Lebensalter und Alltagsgewohnheiten variieren, so ließ die exakte wissenschaftliche Datenlage bislang viel zu wünschen übrig. Der menschliche Energieverbrauch im Ruhezustand konnte zwar problemlos im Labor ermittelt werden. Doch der komplette Energieverbrauch mit sämtlichen zusätzlichen Alltagsaktivitäten war nur schwer zu simulieren. Allerdings hatte man dafür seit den 1980er-Jahren in der Forschung eine Methode namens „Double Labeled Water“ entwickelt. Bei dieser „doppelt markierten Wasser“-Untersuchung handelt es sich um einen Urintest. Dabei mussten die Probanden Wasser trinken, in dem die Wasserstoff- und Sauerstoffatome durch jeweils seltenere, schwerere, aber gesundheitlich unbedenkliche Isotope, nämlich Deuterium und Sauerstoff-18, ausgetauscht worden waren. Durch Messung der Zeit, die die Isotope bis zum Auftauchen im Urin benötigten, ließen sich exakte Angaben zu Zellstoffwechsel und Energieverbrauch gewinnen. Die Methode hatte allerdings einen ganz entscheidenden Haken: Sie war extrem teuer und aufwendig, weshalb sie nur in sehr kleinen, kaum aussagefähigen Probandengruppen durchgeführt wurde.
Stoffwechsel hat sein eigenes Timing
Ein Team um den evolutionären Anthropologen Prof. Herman Pontzer von der Duke University in Durham/North Carolina hat sich in einer im Fachmagazin „Science“ veröffentlichten Studie zur Ermittlung der Veränderungen des menschlichen Energieverbrauchs über die gesamte Lebenszeit alle früheren Kleingruppen-Untersuchungen vorgenommen und diese ausgewertet. Die Ausgangsbasis waren die Daten von mehr als 6.400 Frauen und Männern aus 29 Nationen im Alter von acht Tagen bis hin zu 95 Jahren. Dadurch konnten gewissermaßen die Unterschiede im Energieverbrauch von der Wiege bis zur Bahre nachvollzogen werden. „Wir wissen überraschend wenig über den Gesamtenergieverbrauch des Menschen“, so Prof. Pontzer, „oder wie er sich im Laufe der Lebenszeit verändert.“ Häufig wurde bislang angenommen, dass sich Gravierendes diesbezüglich besonders während wesentlicher Einschnitte im Lebenszyklus wie Pubertät, Schwangerschaft oder Wechseljahren abspielen müsste. Doch dem ist überhaupt nicht so: „Es gibt eine Menge physiologischer Veränderungen, wenn wir aufwachsen und älter werden: Pubertät, Wechseljahre und anderes“, so Prof. Pontzer, „Aber das Merkwürdige ist, dass das Timing unserer metabolischen Lebensphasen nicht mit diesen typischen Meilensteinen übereinstimmt“.
Tatsächlich ermöglichten die Daten den Forschenden jede Menge geradezu verblüffender wissenschaftlicher Erkenntnisse. Wobei sie vier unterschiedliche Phasen des menschlichen Energieverbrauchs und damit verbundenen unterschiedlichen Zyklen des Energiestoffwechsels über die gesamte Lebenszeit ermitteln konnten. Die größte Überraschung war, dass ausgerechnet Säuglinge mit Abstand den höchsten Kalorienverbrauch zu verzeichnen haben. Zwar nicht sofort nach der Geburt, weil ihr Stoffwechsel sich zunächst noch am Gewohnten aus dem Mutterleib orientiert. Aber schon nach vier Wochen stellt sich der Metabolismus extrem um, der Kalorienverbrauch schießt massiv in die Höhe. „Natürlich wachsen sie, aber selbst wenn man das berücksichtigt“, so Prof. Pontzer, „ist ihr Energieverbrauch viel höher, als man bei Körpergröße und Entwicklung erwarten würde. Offenbar laufen in den Zellen der Babys Prozesse ab, die wir bisher nicht kennen.“ Die Wissenschaftler haben jedoch die Vermutung geäußert, dass der hohe Energiebedarf der Säuglinge für den Aufbau des Gehirns und anderer wichtiger Organe sowie des Immunsystems erforderlich sein könnte. Von daher sei es hochproblematisch, so das Forscherteam, wenn Säuglingen in armen Regionen der Welt mit Nahrungsmangel zu wenig Energienachschub in diesem frühen Entwicklungsstadium zur Verfügung steht. Bis zum Alter von rund einem Jahr verbrauchen Säuglinge laut der Studie 50 Prozent mehr Kalorien pro fettfreier Masse als ein durchschnittlicher Erwachsener.
Zellen verlangsamen Stoffwechsel im Alter
Nach Ablauf des ersten Lebensjahres beginnt die zweite Phase des Stoffwechsels, der sich nach und nach verlangsamt. Im Schnitt nimmt der Kalorienverbrauch zwischen 2,8 und drei Prozent pro Jahr ab. Was die Forscher sehr überraschte, weil sie von den kindlich-jugendlichen Wachstumsphasen oder dem Eintritt in die Pubertät eher Gegenteiliges erwartet hatten. „Wir hatten wirklich gedacht“, so Prof. Pontzer, „dass die Pubertät anders sein würde, aber das ist sie nicht.“ Der Prozess des Absinkens des Energieverbrauchs endet mit einem Alter von etwa 20 Jahren. Danach setzt die dritte Phase des Energieverbrauch-Zyklus ein, die bis jenseits des 60. Lebensjahres reicht und für die von den Forschern das Fixdatum von rund 63 Lenzen genannt wurde. In diesem langen Zeitraum bleibt der Energieverbrauch weitestgehend stabil. Nicht mal Schwangerschaften oder der Eintritt in die Wechseljahre führen zu wesentlichen Änderungen beim Stoffwechsel-Gesamtumsatz. Auch die in diesem Abschnitt zwischen dem 40. und 60. Lebensjahr häufig einsetzende Neigung zur Fettleibigkeit hat offenbar keine direkten Auswirkungen auf die Stabilität des Energieverbrauchs.
Ab dem Alter von 63 Jahren beginnt der vierte Energieverbrauchs-Zyklus. Hier nimmt der Kalorienverbrauch jährlich um rund 0,7 Prozent ab, der Gesamtenergieumsatz ist also allmählich rückläufig. Das hängt laut den Forschern vor allem mit der Verlangsamung des Stoffwechsels zusammen, nicht aber mit dem natürlichen Abbau der Muskelmasse. „Die Abnahme liegt daran, dass die Zellen ihren Stoffwechsel verlangsamen“, so Prof. Pontzer. Ein Senior, der das 90. Lebensjahr erreicht, benötigt laut den Berechnungen des Forscherteams rund 26 Prozent weniger Kalorien als ein Erwachsener mittleren Alters. In ihren Analysen hatten die Wissenschaftler auch Faktoren wie verschiedene Lebensstile oder besondere sportliche Aktivitäten mit berücksichtigt, wodurch sich jedoch keine wesentlichen Auswirkungen auf die vier Energieverbrauch-Phasen ergeben hatten.
„All dies lässt uns zu dem Schluss kommen“, so Prof. Pontzer, „dass der Gewebestoffwechsel – die Arbeit, die die Zellen verrichten – sich im Verlauf unseres Lebens auf eine Weise verändert, die uns zuvor nicht klar war.“ Vor allem den Nachweis der vierten Phase mit der darin enthaltenen Verlangsamung des Stoffwechsels halten Kollegen für sehr bedeutsam, weil es kein Zufall sein könne, dass ausgerechnet ab diesem Lebenszyklus die Inzidenz von nicht-übertragbaren Krankheiten wie Krebs, Diabetes oder Herz-Kreislauf-Leiden deutlich anzusteigen pflege. Es sei daher naheliegend, den Verlauf von chronischen Alterserkrankungen noch einmal ganz genau mit Blick auf die Stoffwechsel-Verlangsamung zu überprüfen und womöglich neue Therapieansätze zu entwickeln.