Die Berichterstattung über kriegerische Handlungen war schon immer eine Herausforderung. Bilder bestimmen die Nachrichten. Die schiere Flut macht es jedoch schwer, Wahrheit, Fake und Propaganda zu unterscheiden.
Selbst die großen Nachrichtenagenturen und Sender haben kaum eigene Teams aus Deutschland in der Ukraine, ähnlich wie im Syrienkrieg. Der Grund liegt auf der Hand: Es handelt sich auch jetzt wieder um einen asymmetrischen Krieg, es gibt keinen klaren Frontverlauf auf der ukrainischen Seite. Die Gefahr für die Berichterstatter ist damit nicht zu kalkulieren. In der Ukraine sorgen auch sogenannte Separatisten dafür, die bereits in den noch nicht besetzten Gebieten operieren sollen. Sie sollen nicht nur die ukrainische Armee angreifen, sondern auch Zivilisten und gerade auch westliche Journalisten. In dieser Situation ist man auf Berichte und Bilder aus den sozialen Medien angewiesen. Genau da wird es mit der Wahrheit bekanntlich kompliziert. Die Gefahr von Fake News ist extrem hoch, bei kriegerischen Handlungen sind gefälschte Nachrichten geradezu üblich. Die großen Nachrichtensender beschäftigen vermehrt IT-Experten, die die Echtheit von Berichten vom Kriegsgeschehen in der Ukraine prüfen sollen. Wer ist der tatsächliche Absender der Berichte? Wo ist der Sitz des Providers?
Bilder prägen die Wahrnehmung
Was zu Friedenszeiten eine höchst komplexe und oft unlösbare Aufgabe ist, wird in Kriegszeiten um ein Vielfaches unübersichtlicher. Erst recht, wenn Russland beteiligt ist, das über wahre Weltmeister beim Hacken oder Verschlüsseln zum Beispiel von IP-Adressen verfügt. Dazu kommen die Fallen der Digitaltechnik. Internetverbindungen sollen zum Beispiel vor und während des Angriffs auf die Ukraine massiv gestört worden sein. Die Vermutung liegt nahe, dass dies von Russland aus geschehen ist, doch handfeste Beweise dazu kann selbst das Pentagon nicht liefern. Das ist das Problem des World Wide Web: Die Pfade sind weltweit verschlungen, und oft führen nur kleinste Hinweise auf die Spur, wer von wo aus technische Störungen gezielt gesteuert hat.
So sind zu Beginn der russischen Offensive in der Ukraine vor allem in Ostdeutschland zum Beispiel reihenweise Windräder ausgefallen. Grund: Die satellitengestützte GPS-Steuerung der Windräder funktionierte plötzlich nicht mehr. Ein zufällig zeitgleiches Ereignis – oder ein Zusammenhang mit der beginnenden russischen „Militäroperation“? Die Vermutung liegt nahe, einen hundertprozentigen Beweis gibt es nicht.
Die Eindrücke von Kriegen werden in der medialen Welt von Bildern geprägt, die oft mehr sagen als noch so intensive und eindrucksvolle Reportagen. Unvergessen zum Beispiel das Foto des sterbenden Soldaten im Spanischen Bürgerkrieg vom Kriegsfotografen Robert Capa. Allerdings bestehen Zweifel an der Echtheit des auf Zelluloid gebannten Fotos. Im Vietnamkrieg drehten Filmteams die amerikanischen Napalm-Angriffe aus der Luft. Die Filmbilder von dem kleinen vietnamesischen Mädchen, das nackt aus seinem brennenden Dorf flieht, blieben vielen bis heute im Gedächtnis. Sie haben mit dafür gesorgt, dasss weltweit Proteststürme begannen und so den Anfang vom Ende dieses Krieges markierten. Solche Bilder nachzustellen oder zu retuschieren, war in der damaligen Zeit beinahe unmöglich.
Im Zeitalter der Digitalisierung sind aber beinahe alle Bilder, egal ob Foto oder Bewegtbild, mit einigen Klicks veränderbar. Bei der Prüfung der Echtheit dieses Sichtmaterials kommt erschwerend hinzu, dass zumeist Verweise auf die Autoren fehlen oder deren Herkunft sich zweifelsfrei feststellen lässt. Aus diesem Grund ist man nun in den Nachrichtenagenturen und Sendern dazu übergegangen, die Bilder beispielsweise Menschen vorzulegen, die in der Stadt oder dem Landstrich gelebt haben. Wenn diese dann etwas in ihrer alten Heimat identifizieren konnten, dann hat man eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Bilder authentisch sind. Ein abschließender Beweis ist das allerdings auch nicht.
Dazu kommt die Menge an Bildern, die vor allem im Netz kursieren. Während es bis Anfang des neuen Jahrtausends in der Regel aus Kriegs- und Krisengebieten zu wenig Bildmaterial gab, ist es jetzt eine Flut, die niemand mehr überblicken kann.
Der Krieg in der Ukraine ist, ebenso wie Kriege in anderen Teilen der Welt, auch ein Medienkrieg, es geht vor allem um die Deutungshoheit, die mit diesen Bildern erreicht werden soll. Diese wollen vor allem die russischen Militärs nicht verlieren, oder, so wie es derzeit aussieht, wieder zurückgewinnen. Darum hat Apple entschieden, russische Nachrichten-Apps außerhalb Russlands auf ihren Geräten nicht mehr zu unterstützen. Beinahe vorausschauend die Entscheidung, dem russischen Sender RT-Deutschland die Sendelizenz nicht zu erteilen. Für einen Medienkrieg braucht man auch immer eine Plattform, um die Zuschauer zu erreichen.
Nicht alles kann überprüft werden
Wie immer bei kriegerischen Auseinandersetzungen kommen Historiker, aber auch die Medienkonsumenten, der Wahrheit erst Jahre, meist Jahrzehnte später etwas näher. Der erste moderne Medienkrieg war wohl die amerikanische Operation „Desert Storm“, der sogenannte zweite Golfkrieg nach dem Überfall des Iraks auf Kuwait. Unvergessen für Hunderte Millionen Fernsehzuschauer: der Beginn morgens um 2 Uhr am 17. Januar 1991. Weltweit sendete der amerikanische Nachrichtensender CNN in Atlanta die ersten Live-Bilder von abgeschossenen Raketen von amerikanischen Kriegsschiffen im Persischen Golf. Heute wissen wir: Die ersten Bilder waren aufgezeichnete Manöverbilder der US-Marine aus dem Golf von Mexiko. CNN-Star-Reporter Peter Arnett plauderte dieses kleine Militär-, oder besser Medien-Geheimnis Jahre später aus. Der Hintergrund: Aus militärischer Sicht wäre es nicht zu verantworten gewesen, Saddam Hussein in Echtzeit die Militäroperation frei in seinen Palast nach Bagdad zu senden.
Auch wenn CNN, was bei uns in Deutschland von beinahe allen Sendern übernommen wurde, immer „Live from Bagdad“ ins Insert stellte, liefen die Bilder zeitversetzt, mit einem Delay von bis zu zwölf Stunden. Dass die USA in diesem Krieg niemals die mediale Kontrolle verloren haben, hat noch einen weiteren Hintergrund.
CNN stellte dem US-Militär seine Satelliten, damals noch Mangelware im All, für die militärische Kommunikation zur Verfügung. Dafür bekamen sie die exklusiven Senderechte an der Operation „Desert Storm“. Das führte unter anderem zu der skurrilen Situation, dass bei Interviews mit US-Militärangehörigen in ihren Unterkünften im Operationsgebiet im Hintergrund oft ein Kühlschrank mit Coca-Cola oder auf den Tischen eine große Packung Kelloggs zu sehen war. Beides wie zufällig große Werbepartner von CNN.
Die Dominanz des US-Nachrichtensenders in diesem Konflikt war übrigens auch die Geburtsstunde des arabischen Nachrichtensenders Al Jazeera – und in der späteren Folge von Russia Today. Die Idee: Nie wieder sollte ein Sender in dieser Form weltweit die Berichterstattung dominieren.
In den letzten Jahrzehnten hat sich die Verbreitung von Nachrichten über das Internet revolutionär verändert. Vor allem die viele Social-Media-Kanäle gab es damals nicht. Dank der Millionen von Smartphone-Kameras hat sich die Berichterstattung vevielfacht. Jeder Smartphone-Besitzer ist Autor, Sender und Empfänger von Nachrichten und Bildmaterial zugleich. Und jeder hat seine eigene Erzählung – und seine eigenen Interessen. Es grenzt an Unmöglichkeit, aus dieser Flut einigermaßen verlässlich herauszufiltern, was der Wirklichkeit am nächsten kommt.
Damit gewinnt die alte Weisheit auch mit dem Krieg in der Ukraine eine neue, aktuelle Dimension: Das erste Opfer im Krieg ist die Wahrheit.