David-Ruben Thies träumte von einem komfortablen Patienten-Hotel. Filmemacherin Antje Schneider begleitete den Klinikleiter auf dem Weg zur Realisation. Protagonist und Regisseurin stellen den Dokumentarfilm „Vier Sterne plus“ in Saarbrücken vor.
Wie suchen wir unsere Klinik aus?“, fragt David-Ruben Thies, Geschäftsführer der Waldkliniken Eisenberg. Er glaubt, die Antwort zu kennen. „Ist die Schwester nett, ist es da sauber, ist das Essen lecker, ist das Zimmer schön?“ Das seien Überlegungen und Kriterien des Einzelnen, weil die Qualität der medizinischen Versorgung für den Patienten intransparent und demzufolge nicht einschätzbar sei. Ein Krankenhaus, das mit Hotelsternen zertifiziert ist – nicht nur für Privatpatienten. David-Ruben Thies will „das Krankenhaus vom Patienten her denken“. Klinik neu gedacht und gemacht …
Regisseurin Antje Schneider und Kameramann Carsten Waldbauer begleiteten den Umtriebigen über vier Jahre hinweg und dokumentieren, wie die Zukunftsvision des David-Ruben Thies Wirklichkeit wird. Dass es mehr als einer Portion Hartnäckigkeit bedarf, einen Klinikneubau mit großen Ambitionen entstehen zu lassen, ist unzweifelhaft. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow kommentiert unverblümt eine besondere Eigenschaft des Geschäftsführers Thies: „Wenn man ihn rausschmeißt, kommt er durch die Hintertür wieder rein.“
„Vom Patienten her denken“
Der Klinikneubau, der im Oktober 2020 eröffnet wurde, beeindruckt zunächst durch seine Architektur. Der italienische Stardesigner Matteo Thun entwarf luxuriöse Hotelbauten in der ganzen Welt. Selbst wer den Namen noch nie gehört hat, kennt die Illy-Espressotassen oder Swatch-Armbanduhren, die er entworfen hat. Der Bozener war an der Kunsthochschule in Salzburg Schüler des Malers Oskar Kokoschka. Matteo Thuns Maxime, dass es für einen Architekten Selbstverständlichkeit sein sollte, ökologisch und nachhaltig zu bauen, spiegelt sich in der hölzernen Fassade und dem rundem Grundriss der Waldkliniken Eisenberg wider. „Unser Neubau kostete dabei pro Quadratmeter nicht mehr als andere Krankenhäuser“, stellt Waldkliniken-Geschäftsführer David-Ruben Thies fest und die „Süddeutsche Zeitung“ berichtet vom „Thüringer Wunder“. Eine Klinik mit Aufenthaltsqualität – auch das Interieur ist sehr ansprechend – trägt wohl zur Genesung bei. Der Anspruch „Patienten als Gäste willkommen zu heißen“ kann jedoch einzig von den Mitarbeitern getragen und umgesetzt werden. Die Erfindung des thüringischen Konzeptes „Hospitecture“ dient dabei als Leitbild. Schick muss nicht a priori Ziel einer Klinik sein. Aber, wer bestimmt, dass herausragende Architektur und gutes Design der Abteilung Luxus vorbehalten sind?
Das Krankenhaus „vom Patienten her denken“, das ist es, was Thies will. Dabei ist er zudem befähigt, das Krankenhaus auch von den Pflegenden her zu denken, denn er ist nicht nur Manager, er ist auch ehemaliger Krankenpfleger. Ein authentischer Moment der Dokumentation entsteht, wenn David-Ruben Thies Mitarbeitern der Pflege die durchdachte Funktionalität in den neuen Patientenzimmern vorführt und erklärt. Er weiß, wovon er spricht, das merkt man. Stichwort: Erleichterung von Arbeitsabläufen und damit Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Pflege.
Durch Höhen und Tiefen zum Ziel
Als Geschäftsführer einer Klinik ist David-Ruben Thies mit Problemen konfrontiert, die andere seiner Kollegen auch kennen. Ärztemangel zum Beispiel. Thies reist nach Vietnam. Eine Delegation aus Vietnam reist nach Thüringen. Werden die dringend gesuchten Anästhesisten den Weg nach Deutschland finden? Thies reist nach Holland, um mehr über das dortige Gesundheitswesen zu erfahren. Die Idee großflächiger Begegnungszonen für Ärzte in Kliniken gefällt ihm, er erfährt, dank vom Staat verordnetem Großraum, habe man „keine Ärzte mehr, die schreien“. Die Kamera folgt dem Krankenhausreformer bei seinen Erkundungen und Besprechungen.
Den Krankenhaus-Ärzten in Deutschland möchte David-Ruben Thies nicht nur die Einzelbüros wegnehmen, er möchte sogar die Ärmel ihrer Kittel abschneiden. Die langen Ärmel hat er als Keimschleudern ausgemacht. Wer denkt, der Mann übertreibe oder sei ein Spinner, der sei an Ignaz Semmelweis erinnert. Der Mediziner wurde verlacht. Er hatte seine Kollegen zum Händewaschen angehalten. Hygiene galt als Zeitverschwendung. Zum selben Thema ließ kürzlich der Barmer-Krankenhausreport, der von mehr Krankenhausinfektionen während der Corona-Pandemie berichtet, aufhorchen.
„Knie-Schmerz?“, „Rücken-Schmerz?“ Die thüringische Klinik, spezialisiert auf Orthopädie, scheut nicht, mit riesiger Plakatwerbung Aufmerksamkeit zu erringen. „Vier Sterne plus“ gerät keineswegs zum Werbefilm für die Waldkliniken Eisenberg, denn das Porträt eines Mannes, der durch Höhen und Tiefen Ziele verfolgt, bleibt im Fokus. Wer Altbekanntes ändern möchte, trifft auf Widerstand, daraus bezieht auch der Film Reibung. Seine Uraufführung erlebte der Dokumentarfilm im Januar beim Filmfestival Max Ophüls Preis. Die Filmemacherin Antje Schneider tauchte nicht zuletzt deshalb ins Thema ein, weil sie wahrnimmt: „Die Missstände in unserem Gesundheitssystem stehen nicht erst seit der Pandemie im Zentrum der Aufmerksamkeit.“ Wenngleich in dem Dokumentarfilm Fallpauschalen und Chefarztboni außen vor bleiben, so leistet der Film doch einen Beitrag, das Thema weiter auf der Agenda zu halten.
Es bestehe kein Erkenntnisproblem, sondern ein Konsensproblem, sagen Experten, die seit Jahren mit den drängenden Problemen im Gesundheitswesen befasst sind und verweisen auf die politisch Verantwortlichen. Der Film erzähle „Von einem der auszog, das Gesundheitswesen auf den Kopf zu stellen“, sagen die Filmemacher. Das ist vollmundig. Sollte es stimmen und Schule machen, wäre das nicht das Schlechteste …