Mit Guanyu Zhou wird erstmals ein Chinese die Formel 1 aufmischen (Auftakt 20. März in Bahrain). Der 22-jährige Asiate ist bei Alfa Romeo eine Mischung aus Talent, finanzieller Mitgift und für die Königsklasse Zugpferd für den chinesischen Markt.
Ex-Formel-1-Guru Bernie Ecclestone, Godfather und fast ein halbes Jahrhundert Herrscher über die Königsklasse des Motorsports, war es in seiner diktatorischen Regentschaft nicht vergönnt, alle seine Wünsche und Träume zu verwirklichen. Immerhin aber erfüllt sich dem grauen Greis im biblischen Alter von 92 Jahren wenigstens noch eine Herzensangelegenheit: Erstmals steht in der neuen Saison ein Chinese am Start eines Formel-1-Rennens. Ein anderer Wunsch durfte der große Zampano noch in seiner aktiven Herrscherzeit erleben. Dieses Verlangen hatte ihm Lewis Hamilton erfüllt. „Ein Schwarzer muss her“, hatte Godfather immer wieder gefordert. Als siebenmaliger „schwarzer“ Weltmeister hat Hamilton Bernies Traumvorstellung noch übertroffen. Bleibt noch Ecclestones Begehren nach einem weiblichen Geschlecht in der Champions League des Motorsports. Dieses Verlangen dürfte dem alternden „Frauenheld“ vorerst aber verwehrt bleiben. Bleiben wir bei Bernies jetzt erfülltem Wunsch und befassen uns mit Zhou, der als erster Chinese in der Geschichte der Formel 1 ein Stammcockpit erhalten hat.
Wieder kein Grand Prix in China
Von seinen fahrerischen Qualitäten in der Formel 1 muss uns der Chinese noch überzeugen. Aber den Herrschern über eines der weltweit größten Sportereignisse spielt Guanyu Zhou den Machern ein Trumpf-Ass in die Hand. Ziel des kommerziellen US-Rechteinhabers Liberty Media mit der globalen Medien- und Entertainment-Marke mit Vergnügungsgarantie war es seit Übernahme des Ecclestone-Imperiums (Januar 2017) neue Märkte zu erschließen. Die F1-Besitzer von Liberty Media haben aufgrund der Verschiebungen in der Weltwirtschaft weiterhin großes Interesse, den riesigen chinesischen Markt zu erobern. Für die Formel 1 ist er von immenser Bedeutung. Und da kommt ihnen der Formel 1-Frischling aus Shanghai wie gerufen. Zhou lässt sich als Lokalmatador mit seinem Heimrennen gut verkaufen. Für die Königsklasse ist das ein Coup. „Ich weiß, dass viele Hoffnungen auf mir ruhen“, ließ er bei seiner Verpflichtung schon verlauten. Der Alfa Romeo-Pilot selbst glaubt an einen Durchbruch in der Geschichte des chinesischen Motorsports. Seit 2004 fährt die Motorsport-Königsklasse in Shanghai, 2019 feierte die Formel 1 dort ihren 1000. Grand Prix. Wegen der asiatischen Seuche Coronavirus wurden 2020 und 2021 keine Rennen im Reich der Mitte ausgefahren.
Auch in dieser Saison wirft Corona den China-Grand Prix aus dem Kalender. Dennoch wurde der Vertrag bis 2025 verlängert.
Vielleicht hat Zhou bis dahin als erster chinesischer Stammpilot der Formel 1 seinem Team und seinem Land einen Schub verliehen. Chinesisch wurde aber schon vor Zhou in der Formel 1 gesprochen. 2012 saß mit Ma Qinghua aus Shanghai bereits ein Chinese hinter einem F1-Lenkrad. Er durfte für die Teams HRT und 2013 für Caterham fünf freie Trainingssitzungen bestreiten. Für einen Renneinsatz hat es aber nie gereicht. Landsmann Ho-Pin Tung, gelernter Ökonom und Jurist, war Testfahrer bei BMW-Sauber und 2010 Ersatzfahrer im Renault-Team. Zhou hat den Sprung aus der Formel 2 in die Königsklasse geschafft. Drei Jahre, von 2019 bis 2021, fuhr er im Unterbau der Formel 1, beendete die letzte Saison mit vier Siegen als Dritter in der höchsten Nachwuchsklasse Formel 2.
„Ein Traum ist wahr geworden“
Mit 13 Jahren sagte der Teenager Mama und Papa zài jiàn (deutsch: auf Wiedersehen, Tschüs), verabschiedete sich aus Shanghai und zog nach London. In England, im Mutterland des Motorsports, wollte Zhou sich in den stärkeren europäischen Serien beweisen. Über den Kartsport setzte er seine motorsportliche Ausbildung 2015 in der italienischen Formel 4 fort, wo er mit drei Siegen Vizemeister wurde. Es folgte 2016 der Aufstieg in die Formel 3-Europameisterschaft. Dort war er zwei Jahre Teamkollege von Mick Schumacher beim Team Prema. Während Schumacher 2018 den Titel gewann, beendete der Chinese – damals Akademiemitglied bei Ferrari – seine dritte EM-3-Saison mit zwei Siegen als EM-Achter. In den nächsten drei Jahren eignete sich Zhou in der Formel 2 dann endgültig das Rüstzeug für die Königsklasse an.
„Es ist uns eine Freude, Guanyu Zhou bei Alfa Romeo willkommen zu heißen. Er ist ein talentierter Fahrer, wie seine Ergebnisse in der Formel 2 gezeigt haben. Wir freuen uns darauf, sein Talent in der Formel 1 noch besser zur Entfaltung zu bringen“, so sein Teamchef Frédéric Vasseur (53). Mit einem nahezu poetischen Einstand begrüßt die „Zürcher Zeitung“ den ersten Formel-1-Chinesen im Schweizer Sauber-Team (Alfa Romeo) mit der Überschrift „Lasst den Drachen herein.“ Der Drachen gilt als das bekannteste Fabelwesen Chinas und des gesamten ostasiatischen Kulturkreises. Er symbolisiert in China zwar Reichtum, doch vor allem steht er für Glück, für Güte und Intelligenz. Wer im Jahr des Drachen geboren wurde wie Zhou 1999 soll als besonders glücklich gelten, heißt es in bestimmten Vorhersagen und Horoskopen. Und Formel-1-Boss Stefano Domenicali, von 2007 bis April 2014 Ferrari-Teamchef, ist voll des Lobes über Vasseurs Fahrerwahl: „Millionen von leidenschaftlichen chinesischen Fans haben nun einen Nationalhelden, den sie das ganze Jahr anfeuern können“, so der Italiener. Für seinen jungen, neuen Hoffnungsträger Zhou ist „ein Traum wahr geworden. Es ist ein Privileg für mich, meine Formel-1-Karriere mit einem ikonischen (hier: weiter wachsend. Anm. d. Red.) Team zu beginnen, das in der Vergangenheit viele junge Talente in die Formel 1 gebracht hat.“ Bei Alfa Romeo, dem Schweizer Sauber-Team, hat der Chinese das Cockpit von Antonio Giovinazzi geerbt. Der Italiener ist nach 61 Grands Prix und mit Platz fünf 2019 in Brasilien als sein bestes Karriereergebnis aussortiert worden. Zhous Teamkollege ist der erfahrene Valtteri Bottas. Der Ex-Mercedes-Pilot ersetzt seinen finnischen Landsmann Kimi Räikkönen, der seine F1-Karriere nach fast 20 Jahren und der Rekordzahl von 350 Grands Prix beendet hat.
Bottas wurde 2017 Nachfolger von Nico Rosberg, der sich mit seinem WM-Titel 2016 „Knall auf Fall“ aus der Formel 1 verabschiedet hatte. Fünf Jahre bis 2021 war Bottas der „Wingman“, der „Flügelmann“, der seinem Chefpiloten Lewis Hamilton im Kampf mit seinen Gegnern unterstützt, ihn abgeschirmt hat. Doch Bottas „Tugenden“ waren Ende 2021 zu Ende. Nach 101 Rennen und zehn Siegen für Branchenprimus Mercedes hatte der Ex-Williams-Pilot (2013 bis 2016) bei den schwarzen „Silberkillern“ ausgedient. Der 32-Jährige aus dem hohen Norden musste dem Mercedes-Emporkömmling George Russell von Williams sein Cockpit überlassen. Erstmals seit 2019 wird das Team aus Hinwil (im Osten des Kantons Zürich) wieder mit zwei neuen Fahrern in der Champions League des Motorsports antreten. Damals waren Räikkönen und Giovinazzi auf Charles Leclerc und Marcus Ericsson gefolgt.
Mit der Fahrer-Kombination Bottas als unumstrittene, klare Nummer eins und Neuling Zhou beginnt für Alfa Romeo eine neue Ära der Zuversicht und des Vertrauens. Das betrifft auch die finanziellen Hintergründe. Der Chinese soll mit einer kolportierten Mitgift von 25 Millionen Dollar seiner Sponsoren bei dem Schweizer Team angeheuert haben und mit Wohlgefallen aufgenommen worden sein. Im Gegenzug sollen sich Zhous Geldgeber einen mindestens Zwei-Jahresvertrag mit einer Option für ihren Schützling erbeten haben. Mit dem Chinesen öffnet sich für Alfa Romeo auch ein attraktiver Sponsorenmarkt in Fernost.
Bei diesen pekuniären „Angeboten“ und „Modalitäten“ konnten Zhous Mitkonkurrenten für das F1-Cockpit nicht mithalten. Wie der Chinese gehörte auch der Australier Oscar Piastri zum Nachwuchsprogramm von Renault-Alpine. Beide Piloten machten unter anderem den Titel in der F2 unter sich aus. Der Australier gewann die Formel 2 wie zuvor auch die Formel 3. Piastri wurde im Januar 2020 in die Renault Sport Academy aufgenommen. Für die laufende Saison ist er immerhin zum Ersatzfahrer für das F1-Team von Alpine-Renault befördert worden. Zhous zweiter Konkurrent und Dritter im Bunde für das freie Alfa Romeo-Sauber-Cockpit war Thèo Pourchaire. Der 18 Jahre alte Franzose aus Grasse hat 2021 den Sprung in die Formel 2 geschafft. Mit zwei Siegen und Platz fünf in der Endabrechnung hat er auf sich aufmerksam gemacht. Bei Sauber ist Purchaire seit 2019 als Nachwuchsfahrer aktiv und hat 2021 erstmals für einen Test in einem F1-Auto gesessen. „Die Königsklasse ist und bleibt mein großes Ziel“, so der Franzose. Alfa Romeo plant langfristig mit seinem Eigengewächs Pourchaire. „Er soll aber mindestens noch ein Jahr in der Nachwuchsklasse Erfahrung sammeln, bevor er in ein F1-Cockpit befördert wird“, so sein eventuell künftiger Boss Vasseur.
Attraktiver Sponsorenmarkt für Alfa Romeo
Mit Piastri und Pourchaire hat Guanyu Zhou beim Aufstieg in die motorsportliche „Champions League“ schon zwei Konkurrenten überholt. Aufsteiger Zhou weiß als Rookie aber auch, wie schwer die Aufgabe für ihn in der Beletage des Motorsports sein wird. „Ich fühle mich gut auf die immense Herausforderung vorbereitet, in der Spitze des Motorsports neben einem arrivierten Weltklasse-Talent wie Valtteri Bottas anzutreten. Mein Ziel ist es, bei Alfa Romeo nun so viel wie möglich und so schnell wie möglich zu lernen“, prophezeit der Emporkömmling. Sein Ziel: Im ersten F1-Jahr in die Punkte (bis Platz zehn) fahren. Zhou eine „gelbe Gefahr?“
Mit der Startnummer 24 wird Zhou für sein Ziel unterwegs sein. Aus einem traurigen Anlass hat er diese Nummer gewählt. Sie steht für den 2020 bei einem Hubschrauberunfall ums Leben gekommene Basketball-Star Kobe Bryant. Der Spieler der L.A. Lakers trug die Nummer 24 auf seinem Shirt. „Kobe war für mich immer eine große Inspiration, als ich noch Basketball-Fan war. Außerdem ist 24 vier Mal sechs, und sechs ist in meiner Heimat eine Glückszahl.“ Zuletzt hatte der Deutsche Timo Glock 2012 die 24. Sie war nicht unbedingt ein Glücksbringer für den Hessen.