Bei der Hallen-WM in Belgrad ist Stabhochspringer Armand Duplantis einer der großen Stars. Das deutsche Team ist dagegen schmal besetzt, weil die großen Saison-Highlights erst noch kommen.
Noch in der Luft reckte Armand Duplantis wuchtig die Siegerfaust. Während er auf dem Rücken liegend Richtung Matte flog, sah er, wie die Latte hoch oben zwar wackelte, aber nicht fiel. Auf dem weichen Schaumstoff gelandet, wusste der Stabhochspringer nicht so recht wohin mit seiner Riesenfreude. Zuerst griff er sich ans Trikot, als wollte er es zerreißen oder es sich von seinem Oberkörper streifen. Doch dann entschied sich der Schwede für einen Luftsprung – inklusive Jubelschrei und einer zweiten Siegerfaust. All die Emotionen hatten ihren Grund, denn Duplantis ist im Stabhochsprung mal wieder in eine neue Dimension vorgestoßen: 6,19 Meter. Hallen-Weltrekord. Sein insgesamt dritter.
„Ich glaube, ich habe die 6,19 Meter 50-mal versucht", sagte Duplantis hinterher überglücklich: „Es hat lange gedauert. Ich hatte noch nie eine Höhe, die mir so viel Probleme bereitet hat, deswegen ist es ein sehr gutes Gefühl. Ich habe mir das die letzten beiden Jahre hart erkämpft." In der Tat schien dieser eine Zentimeter über seinem alten Weltrekord vom 15. Februar 2020 in Glasgow wie verhext. Zuletzt war er beim Meeting in Karlsruhe und Berlin knapp an der neuen Bestmarke gescheitert. Jetzt hat es beim Belgrad Indoor Meeting endlich geklappt – und das anderthalb Wochen vor den Hallen-Weltmeisterschaften an gleicher Stelle. Eine bessere Generalprobe für die Titelkämpfe in der serbischen Hauptstadt (18. bis 20. März) hätte sich der Olympiasieger gar nicht wünschen können.
Seine Konkurrenten um den WM-Titel schockte Duplantis nicht nur mit der spektakulären Flug-Show, sondern auch mit folgender Ansage: „Ich denke nicht, dass das schon alles war. Da wird noch viel kommen." Und zwar am besten erneut in Belgrad. „Ab jetzt werde ich die 6,20 Meter attackieren", sagte der 22-Jährige, „natürlich auch schon bei der WM". Duplantis ist im absoluten Wettkampfmodus und bereit für neue Heldentaten. „Ich freue mich sehr darauf, schon bald hierhin zurückzukommen", sagte er und strahlte das breite Lächeln eines Weltrekordlers.
Gold bei der Hallen-WM ist aber natürlich nicht das Hauptziel des Überfliegers, der längst aus dem Schatten früherer erfolgreicher Stabhochspringer wie Sergej Bubka getreten ist. Duplantis peilt in dieser Highlight-Saison das Titel-Triple in Belgrad, bei den Freiluft-Weltmeisterschaften in Eugene/Oregon (15. bis 24. Juli) und den Europameisterschaften in München (15. bis 21. August) an. Also das volle Programm, das dagegen die meisten deutschen Leichtathletikstars scheuen. Der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) wird in Belgrad nur mit einem Mini-Team vertreten sein, im Vorfeld hatte Chefbundestrainerin Annett Stein mit rund 15 Athleten und Athletinnen gerechnet.
Auch Kugelstoßer Storl nicht dabei
Zwar wurden bei der jüngsten Hallen-DM in Leipzig Mitte Februar insgesamt 86 persönliche Bestleistungen erzielt und auch zahlreiche WM-Normen erfüllt. Doch viele Plätze werden nicht besetzt, weil für einen Großteil die Vorbereitung auf die wichtigere Freiluftsaison dann bereits begonnen hat. Verlängertes Hallen-Training könnte sich kontraproduktiv auswirken und die individuellen Ziele für die WM in den USA und die Heim-EM in München womöglich gefährden, begründete Stein: „In einigen Disziplinen würden diese drei Wochen ins Kontor schlagen."
So ist es zum Beispiel auch bei Malaika Mihambo der Fall. Die Weitsprung-Olympiasiegerin verzichtet trotz einer aktuell guten Form freiwillig auf die Goldchance bei der Hallen-WM, um sich komplett auf die großen Events im Sommer zu konzentrieren. Einen Teil der Hallen-Saison hat die Weltjahresbeste aber dennoch gerne mitgenommen und dabei reichlich Selbstvertrauen gesammelt. In Leipzig überragte Deutschlands Sportlerin des Jahres mit einem Satz von 6,81 Metern – dem weitesten Sprung bei deutschen Hallenmeisterschaften seit Heike Drechsler vor 27 Jahren. „Es war so schön, wieder vor Publikum einen Titel holen zu können", sagte Mihambo nach dem fünften nationalen Titel in Serie für sie. Auch mit ihrer Technik ist sie so früh im Jahr sehr zufrieden: „Mein Anlauf ist deutlich stabiler geworden. Diese Gewissheit nehme ich jetzt mit ins Trainingslager."
Auch für Kugelstoßer David Storl heißt es: Training statt Titelkampf. Der zweimalige Weltmeister verzichtet wegen seiner langwierigen Rückenbeschwerden komplett auf die Hallen-Saison, erst im kommenden Sommer will er wieder international konkurrenzfähig sein. Die Olympischen Spiele in Tokio hatte Storl aufgrund seiner Verletzung verpasst, auch die Teilnahme an der WM ist kein Selbstläufer. „Die Norm ist nicht ohne", sagte der 31-Jährige, der zugab: „Es war nach der Verletzung schwer, überhaupt den Fokus zu finden."
Christina Schwanitz hat den Fokus auf den Leistungssport sogar überhaupt nicht mehr gefunden. Die große Dame des deutschen Kugelstoßens gab in Leipzig überraschend ihren sofortigen Rücktritt bekannt. Mit einem allerletzten Stoß holte sich die Weltmeisterin von 2015 noch einmal DM-Bronze – und dann sagte sie servus. „Das hier war heute mein letzter Wettkampf", verriet die 36-Jährige über das Hallen-Mikrofon und erntete vom Publikum zuerst Erstaunen und dann Standing Ovations. Hätte sie sechs Zentimeter weiter gestoßen, hätte Schwanitz die WM-Norm für Belgrad geknackt und noch einen letzten internationalen Wettbewerb drangehängt. „Eigentlich sollte die Hallen-WM mein letzter Auftritt werden", verriet Schwanitz, „aber Kathi war heute besser als ich." Gemeint war ihre Clubkollegin Katharina Maisch, die zusammen mit der Deutschen Meisterin Sara Gambetta (Halle) die deutschen Farben bei der Hallen-WM vertreten darf.
Klein ohne Medaillen-Chance
Ebenfalls in Belgrad aufschlagen und möglichst Bestleistungen abliefern will Tatjana Pinto. Die Neu-Wattenscheiderin ist bei der DM zurück auf den Sprint-Thron gestürmt, in starken 7,16 Sekunden ließ sie der schnellen Konkurrenz um Gina Lückenkemper (7,20) und Sophia Junk (7,22) keine Chance. Pinto ist in der Halle so schnell wie seit vier Jahren nicht mehr, „so langsam komme ich wieder ins Rollen", stellte die mehrfache Deutsche Meisterin zufrieden fest.
Gut gerüstet für die WM unter dem Dach fühlt sich auch Hanna Klein. Die Olympiastarterin lieferte in Leipzig eine „One Woman Show" ab, als sie der nationalen Konkurrenz über 3.000 Meter förmlich davongeflogen war. 8:51,18 Minuten bedeuteten Titel Nummer drei in Folge und reichlich Rückenwind für Belgrad. „Das hat Spaß gemacht", sagte Klein. Eine realistische Medaillenchance besitzt sie aber nicht. Die deutsche Hallenrekordlerin Konstanze Klosterhalfen, die in Topform in der Weltspitze mitmischen kann, tritt nicht an. Der Grund: ein Sturz mit Verletzungsfolgen. Der Oberschenkel bekam etwas ab, die Hallen-Saison war für sie somit vorzeitig beendet.
Für Oleg Zernikel war die Hallen-WM dagegen von Beginn an „ein festes Ziel". Bei der DM bewies der Stabhochspringer mit 5,51 Metern zumindest, dass er aktuell zu den besten deutschen Athleten seiner Disziplin zählt, auch wenn es für den Drittplatzierten noch reichlich Luft nach oben gibt. „In den letzten Wochen haben sich kleine technische Fehler eingeschlichen", sagte der deutsche Freiluftmeister: „Da werde ich jetzt im Training dran arbeiten." Genau wie Zernikel übersprangen auch Torben Blech und Tom Linus Humann 5,51 Meter.
Das sind 68 Zentimeter weniger als Duplantis neuer Weltrekord – was für ein Unterschied! Ist der Schwede in Belgrad überhaupt zu schlagen? Wenn, dann von Chris Nilsen. Der US-Amerikaner steigerte kürzlich in Rouen seine Bestleistung auf 6,05 Meter, womit er ein ernsthafter Konkurrent für Duplantis ist. Doch der ist eher ein Typ, den so etwas zusätzlich motiviert. Auch deshalb hat sein Vorbild Renaud Lavillenie ihn schon 2018 als „Jahrhundertspringer" bezeichnet. Damals hatte Duplantis im Berliner Olympiastadion im Alter von gerade mal 18 Jahren Gold gewonnen. Ein neuer Superstar der Leichtathletik-Szene war geboren – und der Überflieger hat die Erwartungen in den Jahren danach absolut erfüllt. Nur die Sehnsucht nach einem neuen Usain Bolt konnte und wollte Duplantis nicht stillen.
„Ich nehme ihnen nicht übel, dass sie wollen, dass ich eine verrückte Karriere wie Usain Bolt mache", sagte er einmal der britischen BBC: „Ich werde versuchen, den Sport so weit wie möglich zu tragen. Und ich weiß, der beste Weg, das zu erreichen, ist wirklich hoch zu springen." Die verrückte Show, die Bolt vor seinen Sprintrennen abzog, gibt es bei Duplantis nicht. Doch ein Langweiler ist er deswegen ganz und gar nicht. Aber der Stabhochspringer will lieber mit Leistungen Schlagzeilen machen.
Duplantis kein Show-Macher wie Bolt
Sein Ausnahmetalent liegt vor allem in seiner körperlichen Konstitution begründet, meinen Experten. Duplantis verfügt eher über eine Läufer-Figur, die ganz große Kraft beim Eintauchen des Stabes entwickelt sich bei ihm nicht. Doch seine enorme Anlaufgeschwindigkeit bringt ihm den entscheidenden Vorteil. „Sie hilft mir tatsächlich, so hoch zu springen", sagte Duplantis. Und wie hoch kann es für ihn noch hinausgehen? Das weiß er selbst nicht: „Ich kann wirklich nicht sagen, wo meine Grenzen liegen. Mein Limit ist aber definitiv höher als meine derzeitige Weltrekord-Höhe."
Auf jeden Fall ist seine Leistungsfähigkeit schon lange zu groß für die Sprunganlage, die seine Eltern ihm und den drei Geschwistern in den heimischen Garten gebaut haben. Dort zu springen wäre für Duplantis inzwischen viel zu gefährlich. Dann doch lieber in Belgrad bei der Hallen-WM. Bei der Jagd nach dem nächsten Titel und Weltrekord.