Die Debatte, ob das Lockern der Corona-Maßnahmen trotz hoher Neuinfektionen sinnvoll ist, beschäftigt Politik und Gesellschaft schon lange. Saskia Weishaupt, Obfrau der Grünen im Bundestagsausschuss für Gesundheit, über Solidarität, Hotspots und Impfquoten.
Frau Weishaupt, Ist eine solche Lockerung bei der hohen Inzidenz gerechtfertigt?
Beschränkungen und ein Infektionsschutzgesetz beschließen wir nicht aus einer Laune heraus, sondern weil sie politisch notwendig sind. Über die Ergebnisse der Beratungen zum Infektionsschutzgesetz bin ich nicht zufrieden, tragen muss ich sie nun. Durch Öffnungen wird kein Kind schneller geimpft. Es werden auch nicht die vulnerablen Gruppen besser geschützt, die sich seit zwei Jahren aus Angst vor einer Infektion zurückziehen. Das ist für mich das Gegenteil von Solidarität. Deswegen müssen wir nun mit der Hotspotregelung der Länder arbeiten, um die zu schützen, die unseren Schutz besonders brauchen.
Werden Tests an den Schulen weiter notwendig bleiben?
Ja, wir sollten auf keinen Fall ab dem 20. März so tun, als ob die Pandemie vorbei ist. Denn sie ist es nicht, nur weil wir uns das wünschen. Die Inzidenzen sind besonders bei jungen Menschen extrem hoch. Deswegen hoffe ich sehr, dass die Schulen und die Länder zusammen Pläne und Regelungen entwickeln, dass in Schulen regelmäßig getestet wird.
Was ist, wenn einzelne Bundesländer alles freigeben, andere aber zögern? Es gibt ja keine echten Grenzen zwischen den Ländern.
Viele Vertreter der Bundesländer haben uns in den letzten Tagen zurückgespiegelt, dass sie die Lockerungen für zu früh halten. Deswegen ist klar, dass die Länder sehr schnell die Hotspotregelung einsetzen sollten und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch werden. Dann können Regelungen für die Maskenpflicht, 3G, Abstand und Hygiene wieder eingesetzt werden. Einrichtungen des Gesundheitssystems können Tests und Maskenpflicht vorgeben. Das haben die Länder in den letzten Jahren der Pandemie auch schon bei Bedarf gemacht und es hat funktioniert.
Ist die Impfpflicht für alle noch aktuell durchsetzbar, wenn alles darauf guckt, dass die Beschränkungen fallen?
Für mich ist die Impfpflicht ab 18 unser bestes Mittel ist, um endlich vor die Wellen zu kommen. Denn seit zwei Jahren rennen wir den hohen Infektionszahlen hinterher, sind überrascht und können als Politik nur kurzfristig handeln. Den Grundstein für einen Weg raus aus der Gesundheitskrise legt eine Impfpflicht. Des Weiteren ist eine Impfpflicht ab 18, die einzige, die sich solidarisch mit Risikopatienten und alten Menschen zeigt. Es ist die Aufgabe von Politik, diese Menschen und die Gesellschaft zu schützen. Dafür setze ich mich ein.
Wie kommt es, dass immer noch so viele über 60-Jährige nicht geimpft sind?
Es gibt unterschiedlichste Gründe. Die Impfkampagne war lange Zeit nicht niedrigschwellig genug, wir haben zu lange gewartet, bis wir direkt dorthin gegangen sind, wo wir Menschen unmittelbar erreichen: im Einkaufszentrum, an der U-Bahn, auf dem Marktplatz. Es war den Menschen, die eventuell kurz gezweifelt haben, besonders am Anfang nicht möglich, erst mal eine gute Beratung beim Hausarzt des Vertrauens zu bekommen. Mittlerweile ist das anders und trotzdem ist unsere Impfquote noch zu schlecht, um gegen aggressive Varianten anzukommen. Deswegen braucht es jetzt eine allgemeine Impfpflicht, die Menschen erst mit einem verpflichtenden Beratungstermin aufklärt und sie dann auch zur Impfung animiert.
Wie läuft es mit den Impfungen für die Flüchtlinge, also der Ukrainer?
Das wird sich in den nächsten Wochen zeigen. Zurzeit kommen Tausende Menschen über die verschiedensten Wege in unsere Städte und Kommunen. Sobald sie registriert sind, können wir ihnen in den nächsten Monaten auch ein Angebot machen. Wichtig wird es in diesem Fall sein, das Angebot niedrigschwellig und auf Ukrainisch/Russisch zu machen, denn nur so können wir die Menschen bestmöglich aufklären und mitnehmen.