Die 94. Oscar-Verleihung im Dolby Theatre in Hollywood wird in der Nacht vom Sonntag, 27. März, auf Montag, 28. März, live auf Pro Sieben übertragen. Wir werfen einen Blick auf die Favoriten dieses Events.
Dieses Mal gilt’s! Denn die Glamour- und Entertainment-Verheißungen wurden im letzten Jahr durch die pandemiebedingten Einschränkungen empfindlich gekappt. Superstars, die sonst eine gefühlte Ewigkeit über den roten Teppich flanieren und für mehr oder weniger intelligente Interviews zur Verfügung stehen, waren da eher dünn gesät. Es gab keinen Moderator, und die Verleihung selbst war recht uninspiriert. So verlor die Gala – very shocking! – über die Hälfte ihrer Zuschauer: Nur knapp zehn Millionen Amerikaner saßen damals vor der Glotze. Dieses Jahr darf sich solch ein Desaster natürlich auf keinen Fall wiederholen. Denn sonst wäre nicht nur die Academy of Motion Pictures Arts and Science mitsamt ihrer gigantischen Oscar-Party obsolet, sogar der helle Stern von Hollywood würde langsam verglimmen.
Es gilt also zu punkten. Und die Ausbeute des letzten Kinojahres gibt Anlass zur Hoffnung. Es könnte so spannend werden wie noch nie. Die Academy hat jedenfalls viel getan, um für mehr Vielfalt bei den Oscarpreisträgern zu sorgen. Die Zahl der Mitglieder, die zur Preisverleihung abstimmen, wurde stark erhöht. Mittlerweile gibt es mehr Frauen, mehr Angehörige von Minderheiten und mehr Filmschaffende aus Ländern außerhalb der USA als früher.
Die Oscars zurück in Bestform
Und der „Oscar-Effekt" ist nach wie vor enorm, das sollte man nicht vergessen. Jeder Film, der Oscarnominierungen vorweisen kann oder sogar als Gewinner ausgezeichnet wird, hat meist eine kräftige Wertsteigerung zu verbuchen, gelegentlich sogar von bis zu 200 Prozent! Dieser Image-Boost gilt auch für Schauspieler, Regisseure und Drehbuchautoren bis hin zu Maskenbildnern und Soundtrack-Komponisten. Mit einem Oscar im Regal können alle ihren Marktwert extrem steigern. Den Oscar als „Erfolgs-Viagra", wie ihn ein großer PR-Agent einmal beschrieb, wollen sich die Hollywood-Produzenten und Stars natürlich nicht entgehen lassen. Oft setzen sie wirklich alles daran, so viele Trophäen wie nur möglich einzuheimsen. Dass die meisten Filmstudios im Vorfeld Spione in die Oscar-Filmvorführungen einschleusen, um die Reaktionen der Akademie-Mitglieder zu beobachten und maßgeschneiderte Werbefeldzüge zu inszenieren, ist längst üblich. Die Studios leisten sich kostspielige Werbekampagnen und kaufen seitenweise Anzeigen in der Fachpresse, um für ihre Filme zu werben. Für die stimmberechtigten Academy-Mitglieder schmeißt man luxuriöse Prä-Oscar-Partys und verteilt dabei großzügig „kleine" Präsente, zum Beispiel von Cartier, Bulgari, Rolex und Co. Jeder Mode- und Schmuck-Designer vom Rodeo Drive abwärts buhlt schon Monate vorher um Filmstars, die dann beim Schaulaufen auf dem roten Teppich einem weltweiten Publikum diese exklusiven Produkte vorführen. Nichts dagegen, wenn der Jahrmarkt der Eitelkeiten gut gemacht und für uns Zuschauer unterhaltsam ist. Übrigens wird die Verleihung diesmal auch wieder moderiert, nämlich von gleich drei Schauspielerinnen: Regina Hall, Amy Schumer und Wanda Sykes.
Für einen besseren Überblick über die diesjährige Oscarverleihung stellt die FORUM-Redaktion jeweils drei nominierte Filme und Darsteller in den wichtigsten Kategorien vor – Gewinner-Prognose inklusive. Zusätzlich findet sich im Heft ein Porträt über die nominierte Penélope Cruz und der Filmtipp zu „The Power of the Dog".
Bester Film
„The Power of the Dog" – Zwölf Jahre nach ihrem letzten Spielfilm kehrt die neuseeländische Regisseurin Jane Campion mit dem besten Film ihrer Karriere zurück. „The Power of the Dog" (Netflix), ein psychologisches Western-Drama, hat bereits viele Auszeichnungen bekommen und gilt als haushoher Oscarfavorit.
„Belfast" – Mit dieser einfühlsamen Hommage an seine Kindheit in Belfast zur Zeit des Nordirlandkonflikts Ende der 60er-Jahre ist Kenneth Branagh ein Meisterwerk gelungen. Es ist sein persönlichster Film geworden. Bisher nur im Kino.
„CODA" – Die 17-jährige Ruby ist das einzige hörende Mitglied einer sonst gehörlosen Familie in New England. Von ihr wird erwartet, dass sie bald den elterlichen Fischereibetrieb übernimmt. Doch Ruby will viel lieber Sängerin werden. „CODA" (AppleTV+) ist eine sehr gefühlvolle und völlig kitschfreie Coming-of-Age-Story der amerikanischen Filmemacherin Siân Heder.
Wird gewinnen: „The Power of the Dog"
Sollte gewinnen: „Belfast"
Bester Regisseur
Jane Campion „The Power of the Dog" – 1993 gewann Jane Campion für „Das Piano" bei den Filmfestspielen in Cannes die Goldene Palme, 1994 den Oscar in der Kategorie Bestes Originaldrehbuch. „The Power of the Dog" ist ihr neunter Spielfilm und erhielt zahlreiche Preise, darunter den Silbernen Löwen bei den Filmfestspielen in Venedig.
Kenneth Branagh „Belfast" – Schon einmal wurde Kenneth Branagh für den Oscar als bester Regisseur nominiert: Das war 1989 für seine Shakespeare-Adaption „Henry V." Damals war er 29 Jahre alt.
Die Chancen stehen gut, dass sich Branagh dieses Jahr mit „Belfast" den Oscar holen könnte. Er ist in Hollywood ein gern gesehener Gast.
Paul Thomas Anderson „Licorice Pizza" – Paul Thomas Anderson gehört zu den besten Arthouse-Filmemachern in Amerika. Er wurde bisher für elf Oscars nominiert. Zu seinen herausragenden Filmen gehören „Boogie Nights" (1997), „Magnolia" (1999) und „There Will Be Blood" (2007). „Licorice Pizza" ist eine meisterlich inszenierte Lovestory, eingebettet in das 70er-Jahre-Flair von Los Angeles. „Once Upon A Time in Hollywood" lässt grüßen …
Wird gewinnen: Jane Campion
Sollte gewinnen: Kenneth Branagh
Bester Hauptdarsteller
Benedict Cumberbatch „The Power of the Dog" – Benedict Cumberbatch auf der Höhe seiner Schauspielkunst. Er spielt einen knallharten Cowboy, der in Montana in den 1920er-Jahren zusammen mit seinem Bruder eine Ranch führt. Sein ausgestelltes Macho-Gehabe schlägt im Laufe des Films immer mehr in eine melancholisch-sanfte Stimmung um. Cumberbatch spielt den von unterdrückter Homosexualität gepeinigten Mann mit einfühlsamer Intensität.
Will Smith „King Richard" – In diesem Biopic (bisher nur im Kino) über Richard Williams, den Vater der Tennis-Legenden Serena und Venus Williams, liefert Will Smith ein facettenreiches Psychogramm des Übervaters. Er dominiert in jeder Einstellung das Geschehen. Er ist willensstark und sensibel. Er inspiriert Menschen und stößt sie vor den Kopf. Hollywood liebt Will Smith. Der Oscar ist ihm dieses Jahr kaum zu nehmen.
Denzel Washington „The Tragedy of Macbeth" – Denzel Washington ist die Wildcard im Oscar-Rennen. In der minimalistischen und hochstilisierten Schwarz-Weiß-Verfilmung (AppleTV+) von Joel Coen (diesmal ohne seinen Bruder Ethan) spielt Denzel Washington den Macbeth, diesen vielleicht faszinierendsten Protagonisten aller Shakespeare-Stücke, introspektiv, gequält, virtuos.
Wird gewinnen: Will Smith
Sollte gewinnen: Benedict Cumberbatch
Beste Hauptdarstellerin
Penélope Cruz „Parallele Mütter" – Nie war Pedro Almodóvars Lieblingsschauspielerin Penélope Cruz besser als in „Parallele Mütter" (zurzeit im Kino). Mit bewundernswerter Lebenslust und Herzenswärme spielt sie Janis, die vor lauter Karriere und politischem Engagement erst mit 40 Jahren Mutter wird. Ihre Schönheit und ihr Talent tragen den Film, berühren und bezaubern uns. Für Woody Allens „Vicky, Cristina, Barcelona" hat sie 2009 schon den Oscar als beste Nebendarstellerin bekommen. Diesmal ist der Hauptpreis fällig.
Nicole Kidman „Being the Ricardos" – In den USA ist Lucille Ball („I love Lucy"), der größte Comedystar der 50er- und 60er-Jahre, längst Kult. Ziemlich große Schuhe, die sich Nicole Kidman da anzieht. Aber in diesem Biopic (Amazon) meistert sie die Mischung aus Slapstick-Humor und augenzwinkernder Grandezza mit Bravour. 20 Jahre nach ihrem Oscar für die Rolle als Virginia Woolf in „The Hours" könnte sie ihn nun zum zweiten Mal gewinnen.
Olivia Colman „Frau im Dunkeln" – Für ihre Rolle als Queen Anne in „The Favourite – Intrigen und Irrsinn" bekam sie 2019 die begehrte Auszeichnung bereits. 2021 war sie für „The Father" nominiert, für die Titelrolle bekam Anthony Hopkins den Oscar. Die britische Schauspielerin ist ein absoluter Hochkaräter. Maggie Gyllenhaal hat sich für ihr Regiedebüt „Frau im Dunkeln" (Netflix) also die absolut richtige Schauspielerin ausgesucht. Die spröde und schmerzverschleierte Englischprofessorin verkörpert Coleman souverän mit geheimnisvoller, nonchalanter Lebensfreude.
Wird gewinnen: Nicole Kidman
Sollte gewinnen: Penélope Cruz
Bester Nebendarsteller
Troy Kotsur „CODA" – Der gehörlose US-Schauspieler Troy Kotsur bringt in „CODA" als bärbeißiger und sexuell äußerst aktiver Familienvater und Oberhaupt des Fischereibetriebes den nötigen Humor in die Geschichte und erlaubt uns, auch in den tragischen Momenten zu lachen. Die Auszeichnung für diese Meisterleistung als bester Nebendarsteller hat er sich bei der Verleihung der British Film Academy schon gesichert.
Jesse Plemons „The Power of the Dog" – Der US-Schauspieler wurde durch seine Rolle als Todd in der Kultserie „Breaking Bad" bekannt. In „The Power of the Dog" spielt er den etwas phlegmatischen Gegenpart zu Benedict Cumberbatch. Und ist im Film, wie auch im richtigen Leben, mit der Schauspielerin Kirsten Dunst (siehe Beste Nebendarstellerin) verheiratet.
Kodi Smit-McPhee „The Power of the Dog" – Der australische Schauspieler ist die Entdeckung des Jahres. Er spielt den Sohn von Kirsten Dunst, einen flamboyant-femininen Jüngling, der durch sein Verhalten als Katalysator für Benedict Cumberbatchs unterdrückte Homosexualität fungiert. Seine komplexe und trügerisch-unberechenbare Darstellung hat ihm schon den Golden Globe als bester Nebendarsteller eingebracht.
Wird gewinnen: Kodi Smit-McPhee
Sollte gewinnen: Troy Kotsur
Beste Nebendarstellerin
Judi Dench „Belfast" – Sie ist die liebevolle und lebenskluge Großmutter in „Belfast". Und macht aus ihrer eher bescheidenen Rolle ein wahres Fest. Ganz nach Judi Denchs Mantra: „Es gibt keine kleinen Rollen, nur kleine Schauspieler!" Sie ist die hoch geschätzte Grande Dame des britischen Theaters und Films. Siebenmal war sie bereits für den Oscar nominiert, darunter fünfmal als beste Hauptdarstellerin. Jetzt ist der goldene Glatzkopf für sie eigentlich fällig.
Kirsten Dunst „The Power of the Dog" – Ein weiter Weg von „Interview mit einem Vampir", in dem sie sich als Zwölfjährige von Tom Cruise das Blut aussaugen lässt, bis zu hin zu „The Power of the Dog", wo sie in einer sehr zurückgenommen Rolle ihre ganze Verletzbarkeit, Melancholie und Lebensklugheit ausspielen darf. Heute ist sie 40, mit Jesse Plemons (siehe Bester Nebendarsteller) verheiratet, Mutter von zwei Kindern und nach wie vor sehr gefragt in Hollywood.
Aunjanue Ellis „King Richard" – Aunjanue Ellis ist zu sehen in der Rolle der Mutter, Brandi Williams, das Powerhouse in „King Richard". Sie ist die Einzige, die Will Smith Paroli bieten kann. Es müsste wirklich mit dem Teufel zugehen, wenn diese fabelhafte US-Schauspielerin dafür nicht den Oscar bekäme. Und nicht etwa weil sie Afroamerikanerin ist und somit als Quoten-Feigenblatt dienen könnte, sondern wegen ihrer phänomenalen Leinwandpräsenz!
Wird gewinnen: Aunjanue Ellis
Sollte gewinnen: Aunjanue Ellis