Beim Erwachen am Mittwoch der vorletzten Märzwoche erfuhren die Fans, dass ausgerechnet Australian-Open-Siegerin Ashleigh Barty leise „Servus" sagt. Ein australisches „Role Model", erst 25 Jahre alt, seit 114 Wochen auf Platz eins und in Traumform.
Mit vielen Rücktritten rechnet die Tennis-Gemeinschaft dieser Tage: Rafael Nadal ist schon wieder heftig verletzt – Ermüdungsbruch, die Teilnahme des Sandplatzkönigs an den French Open ist gefährdet. Roger Federer und Serena Williams zeigen sich an anderen Orten als den Courts der Welt um den gelben Ball. Wie es überhaupt bei so manchen etablierten Spielern und Spielerinnen nicht mehr so richtig läuft, seit zum üblichen Tour- und Trainingsstress auch noch die speziellen Corona-Belastungen gekommen sind.
Ganz anders bei Ash Barty, die trotz ihrer langen Auszeit, in der sie Australien nicht verlassen durfte, nach ihrer Rückkehr locker und lässig alle anderen Damen vom Platz spielte. Als gäbe es keine andere Option für sie, als zu gewinnen. Als kenne sie keinen Druck. Als wäre das alles einfach nur Spaß, dessen sportlicher Herausforderung die 25-jährige mit allem gebotenen Ernst, sprich hartem Training und Disziplin, begegnete. Als wäre sie nun im Serena-Williams-Modus, die aus dem Gefühl heraus, alle bezwingen zu können, einst von einem Turnier zum nächsten zog.
Barty ist auf dem Höhepunkt ihrer Karriere angekommen. Dabei hatte sie 2017 schon einmal alles hingeschmissen. In den Frühzeiten ihres Profidaseins, in denen sie außer der ehemaligen deutschen Top-Ten-Spielerin Julia Görges kaum jemand grüßte. In denen sich die freundliche Nachfahrin der Ureinwohner Australiens auch von den Plätzen mit Sand-, Gras- oder Kunststoff-Belag nicht wirklich angenommen fühlte. Als sie einen Wechsel in die Profiliga des Crickets vorzog. Im Profitennis war die Championesse im Teenager-Alter zu früh erfolgreich gewesen.
Ash kam zurück, nach zwei Jahren Auszeit. Gewann die French Open. Bei jenem ganz speziellen Australian-Open-Event des Jahres 2020, als in Ashleighs Heimat die Buschfeuer fast bis ins Stadion reichten und die Sportler zum Husten reizten, kurz bevor ein Virus aus China alle zum Stillstehen zwang, damals, in einer anderen Zeit, erreichte Ash erstmals das Halbfinale in ihrer Heimat. Gegen alle Widerstände und Emotionen.
2022, zum Jahresbeginn, endlich verewigt in Wimbledon als Siegerin der Saison 2021, schien das sportliche Mehrfachtalent aus Queensland im manchmal zickigen Tour-Zirkus zu Hause zu sein. Auf ihre ganz eigene Barty-Art. Sie wurde immer unbezwingbarer, mit ihren speziellen Überraschungseffekten. „Ash Barty ist eine Schachspielerin auf dem Tennisplatz", beschrieb Eurosport-Expertin Barbara Rittner ihre variable Spielweise. Vor den Australian Open war Barty überredet worden, sich für eine Vogue-Fotostrecke fotografieren zu lassen. Tennislegende Boris Becker lobte die Bilder und Barty: „Sie ist eine wunderbare, hübsche Frau, die man sonst nur in Tennisklamotten sieht."
Kein Weg führt noch einmal zurück
Mit 25 Jahren die Nummer eins der Welt, die geradlinig ihr Spiel durchzieht, die voll entspannt erstmals ins Finale der Australian Open einzieht: So etwa beschrieb „Jule" den Status ihrer Freundin Ashleigh bei Eurosport nach deren gewonnenem Halbfinale gegen die US-Amerikanerin Madison Keys. „Du kommst wieder", hatte Görges zu Barty bei deren erstem Rücktritt gesagt. Damals hatte die Australierin ihre Mission eines kompletten Tennis-Erfolgs, so wie sie ihn sieht, noch nicht erfüllt. Die ehemalige deutsche Nummer zwei behielt recht. Jetzt ist die Situation anders. Kein Weg führt zurück.
Sie habe „diesem absolut wundervollen Sport" alles gegeben. „Mehr kann ich ihm nicht geben und das ist für mich Erfolg. Ich bin sehr glücklich damit", hakte die Australierin den Einzelsport von ihrer To-do-Liste bartymäßig souverän ab. „Ich weiß, dass Leute das womöglich nicht verstehen. Das ist okay."
„Verbraucht" fühle sie sich, sprudelte Barty in ihrem Abschiedsstatement heraus. Physisch, mental. Ihrem Team habe sie erklärt, was sie alles investieren musste in diesen Sport. Der ihr so viel Glück geschenkt habe. „Ich habe das nicht mehr in mir. Den physischen Antrieb, dieses emotionale Verlangen und alles, was es braucht, um dich selbst der absoluten Spitze zu stellen", teilte die Nummer eins der WTA-Zählung einen Monat vor ihrem 26. Geburtstag ihre Selbstbeobachtung mit dem Tenniskosmos.
Eine Frau, die mit sich im Reinen ist. Die in diesem Sport alles erreicht hat, was sie wollte. Ohne dass ihr die einzelnen Ergebnisse wichtig gewesen wären. Wahrscheinlich nicht einmal ihre insgesamt 121 Wochen an der Weltrangspitze, 114 davon zuletzt am Stück. Mit dem viertlängsten Lauf nach Steffi Graf (186), Serena Williams (186) und Martina Navratilova (156). Und das hätte noch lange so weiter und nach vorne gehen können, mit den Wochen ganz oben: Barty ging in 25 ihrer letzten 26 Matches als Profi siegreich vom Platz. So wie am 26. Januar im Finale der Australian Open, als sie mit ihrem Triumph über Danielle Collins einen ganzen Kontinent in Ekstase versetzte.
Die Premierministerin von Ashleighs Geburtsstaat Queensland, Annastacia Palaszczuk, bedankte sich bei dem „großen Vorbild" in den sozialen Netzwerken, schrieb, dass Barty „uns alle" inspiriert habe, „unser Bestes zu geben". Anthony Albanese, Vize-Chef der Labour-Party, twitterte über das Idol vieler junger Tennisspielerinnen: „Eine Inspiration, eine Zauberin auf dem Platz, ein Champion von Wimbledon und der Australian Open – die Nummer eins der Welt."
Casey Dellacqua holte die Australian-Open-Siegerin von 2022 im Jahr 2019 zurück ins Tennis. Diese Freundin umarmte Ashleigh nach ihrem Mega-Triumph im Januar als erste. Dellacqua, ihrer ehemaligen Doppelpartnerin, mit der Barty in den Finals aller vier Grand Slams stand, gab sie ein Interview, um darin ihren Rücktritt zu erklären. Die Botschaft: „Ich trenne mich vom Tennis." Es sei hart. Und doch sei sie glücklich. „Für mich als Person ist es richtig." Sie wisse, dass sie sich nicht das erste Mal trenne: „Aber es fühlt sich ganz anders an."
Wimbledon im vergangenen Jahr sei der entscheidende Wendepunkt gewesen. „Darauf habe ich immer hingelebt, davon habe ich geträumt. Dann hat sich mein Traum erfüllt." Dennoch habe sie danach gespürt, dass sie noch nicht ganz zufrieden sei. Vollendet, mit ihrem Leben als Tennisspielerin, fühlt sich die 25-Jährige erst seit ihrem Grand-Slam-Sieg in Melbourne, dem ersten für die stolze Tennisnation seit 1978. Jetzt wolle sie, für sich, für Ash Barty, weitere persönliche Ziele verfolgen. Andere Träume, für die sie nicht ständig auf der ganzen Welt herumreisen und weg von zu Hause sein müsse.
„Du warst anders und besonders"
Gönnen wir uns zum Schluss einen Rückblick auf die Barty-Party bei ihrem persönlichen Happy-Slam Down Under. Als Ash mit zwei Breaks zurücklag im zweiten Satz, dennoch den Titel holte. Dabei kämpfte die 25-Jährige entschlossen gegen eine aggressiv agierende Collins, die ihr erstes Grand-Slam-Finale sehr stark spielte. In ihrer Rede bei der Siegerehrung schaute die junge Australierin in ihre Box und sagte: „Ich habe nie etwas an meinem Team geändert. Es ist so viel Liebe, die mir aus der Box entgegenstrahlt, da kann ich mich nur bedanken". Und an die Zuschauer gerichtet: „Wir sehen uns dann im nächsten Jahr." Dazu wird es nun nicht mehr kommen. Das Finale in Melbourne 2022 war Bartys letztes Match als Profi. Kurz nachdem sie ihre Arme hochgerissen hatte, muss ihr innerlicher Abschied aus dem Gefühl ihres vollendeten Tennistraums heraus begonnen haben.
Zu ihrem Instagram-Rücktrittsvideo postete die Australian-Open-Siegerin: „Ich bin so dankbar für alles, was mir dieser Sport gegeben hat, und gehe mit einem Gefühl von Stolz und Erfüllung. Vielen Dank an alle, die mich auf meinem Weg unterstützt haben. Ich werde immer dankbar sein für die lebenslangen Erinnerungen, die wir gemeinsam geschaffen haben." Angelique Kerber, Deutschlands Nummer eins, die mit Barty das Glück von drei Grand-Slam-Titeln und zwei davon in Melbourne und Wimbledon teilt, lobte die Kollegin dafür, dass sie mit ihrem Abgang vom Profitennis ihren eigenen Weg verfolge: „wie Du es immer getan hast. Verfolge Deine Träume weiter, ich weiß, das wirst Du!"
Das Leben als Tennisprofi ist nicht leicht. Davon erzählen die Profis immer häufiger. Die US-Amerikanerin und Melbourne-Halbfinalistin Madison Keys, sagte bei den Australian Open heuer: „Im vergangenen Jahr habe ich mir zu viel Druck gemacht. Aufs Ranking gestarrt. Es bedeutete zu viel, wie auf Leben und Tod. Jetzt genieße ich es einfach, mein Tennis zu spielen." Wie es auch Barty künftig in ihrer Freizeit kann, die den Sport nach wie vor liebt. Keys gab Barty zu deren Rücktritt ein treffendes „Take-out" mit: Sie charakterisierte Ashleigh als „eine unglaubliche Tennisspielerin, aber noch wichtiger: Einer der nettesten Menschen auf der Tour". Die rumänische Top-Spielerin Simona Halep schrieb auf Twitter, sie werde ihre Freundin vermissen, und sprach aus, was so viele, vor allem in ihrer australischen Heimat, angesichts von Bartys „schockierender" Ankündigung dachten: „Du warst anders und besonders."