Die Scorpions kehren mit der neuen Studioplatte „Rock Believer" zum Hardrock ihrer Blütezeit zurück. 2022 ist für sie ein besonderes Jahr: 1972 veröffentlichte die Band ihr Debütalbum „Lonesome Crow", dessen 50. Geburtstag sie jetzt feiern. Mit dem Kern der Scorpions sprachen wir via Zoom über ihre Anfänge und Friedenshymnen.
Als Band will man ja einerseits erkennbar bleiben, andererseits auch Neues wagen. Wie bewältigen Sie diesen Spagat?
Rudolf Schenker: Wir brauchen keinen anderen Sound. Wir müssen das machen, was wir am besten können, nämlich gute Rockmusik.
Klaus Meine: Und trotzdem haben wir etwas ganz anders gemacht. Das Projekt hat nämlich mit Texten angefangen. Sonst habe ich immer auf die Musik von Rudolf und Matthias gewartet, um die Lyrics zu schreiben. Aber 2019 habe ich einfach mal wie ein Storyteller Texte geschrieben und sie an Rudolf geschickt, der sich damals in Thailand aufhielt. Ich sagte zu ihm: „Give me a killer riff, my friend, there’s gotta be some gas in the tank!" So wie es im ersten Song des Albums heißt. Und so haben wir unsere Komfortzone verlassen.
Eigentlich sollte der US-Starproduzent Greg Fidelman das Album betreuen. Warum ist es am Ende nicht dazu gekommen?
Meine: 2018 kam bei uns der Gedanke auf, unsere Original-DNA mit einem Producer wie Greg Fidelman wieder zu aktivieren, der mit Metallica gearbeitet hat. Der Kompass war von Anfang an auf „hard und heavy" ausgerichtet. Als wir 2020 hier in Hannover im Studio waren, gab es bereits 20 oder 30 Songs, sodass wir mit der Pre-Production anfangen konnten. Aber Fidelman meinte, er müsse bei uns oder wir bei ihm in Los Angeles sein, weshalb sich unsere Wege nach der Vorproduktion trennten. Wir wollten dann das Momentum nutzen. Wir trauten uns zu, mit unserem eigenen Team weiterzumachen. Mikkey Dee, unser Drummer, und Paweł Mąciwoda, der Bassist, mussten teilweise in Quarantäne, wenn sie aus Schweden beziehungsweise Polen anreisten. Aber wir haben all diese pandemiebedingten Stolpersteine umschifft und auf unsere eigene Stärke gesetzt.
Schließlich haben Sie das Album zusammen mit Hans-Martin Buff produziert, dem ehemaligen Toningenieur von Prince. Wie anspruchsvoll war Buff und wie hat er Sie zu Höchstleistungen angetrieben?
Matthias Jabs: Wir haben im Lauf der Jahrzehnte mit den erfolgreichsten Produzenten überhaupt gearbeitet: Dieter Dierks, Keith Olson, Bruce Fairbain, Desmond Child. Dadurch konnten wir viel Erfahrung sammeln. Hans-Martin ist in erster Linie Toningenieur, aber man braucht im Studio immer eine Bezugsperson, mit der man sich abstimmt. Für uns war es letzten Endes ein Vorteil, diesmal keinen starken außenstehenden Produzenten gehabt zu haben, die dann alle doch immer ihren speziellen Einfluss ausüben. Nach der Vorarbeit mit Greg Fidelman waren wir auf uns selbst gestellt, und so ist das entstanden, was man jetzt hören kann. Wir haben uns automatisch auf das besonnen, was wir am besten können, und das ist unser Signature-Sound von Anfang der 1980er. Das Album ist Scorpions pur.
Einer der musikalisch interessantesten Songs der Platte ist „Call Of The Wild". Wie kam es zu dieser Nummer mit spektakulären Gitarrensoli?
Jabs: „Call Of The Wild" ist ein bluesbasierter Heavy-Song mit tiefgehender Atmosphäre, der von Led Zeppelin inspiriert sein könnte. Er erfordert geradezu melodiöse Gitarren.
Der Song hat das Zeug zu einem Live-Klassiker.
Jabs: Wenn man seine Show neu strukturiert, geht man immer von zwei, drei Songs des aktuellen Albums aus. Wir sind aber schon bei sechs Titeln gelandet – und „Call Of The Wild" ist noch nicht einmal dabei. Wir werden auf der Tour sehen, wie vertraut die Fans mit den neuen Songs sind. Wir sind auf jeden Fall glücklich, ein Programm mit viel neuem Material zusammenstellen zu können. Nach zwei Jahren Pause wollen wir den letzten Rost abschütteln. Das wird auch für uns spannend.
Ist die progressive Nummer „Seventh Sun" als bewusster Versuch entstanden, die Art von Heaviness auf das Album zu bringen, die man von Scorpions-Meisterwerken wie „China White" von 1982 kennt?
Schenker: Nein, man bedient sich nicht bewusst bei sich selbst. Ich bin in Thailand durch die Gegend gefahren und habe mir dabei Klaus’ Texte durch den Kopf gehen lassen. Daraus resultierten diese Kompositionen. Früher mussten wir immer bei null mit der Komposition anfangen. Es war jetzt eine tolle Möglichkeit, den Wörtern eine kompositorische Bedeutung zu geben. Später haben wir dann zusammen die Feinarbeit gemacht. Beim Live-Spielen der Songs ist uns aufgefallen, wo man noch etwas verändern kann.
Zum ersten Mal war der ehemalige Motörhead-Schlagzeuger Mikkey Dee mit Ihnen im Studio. Wie sehr war er in den kreativen Prozess involviert?
Schenker: Mit seiner Erfahrung als Drummer bei Motörhead war er für uns inspirierend und hat mit seinem Spiel für eine gewisse Frische gesorgt. Eine sehr wichtige Sache war auch, die negative Energie der Pandemie in eine positive umzuwandeln. Nicht den Kopf in den Sand zu stecken, sondern sich die Zeit zu nehmen und sich hier in den Peppermint Park Studios eine eigene Welt aufzubauen, die mit der Welt da draußen, mit Furcht und Sorgen nichts zu tun hat.
Meine: Anfang 2019 hatte ich gedacht, dass von Rudolf irgendwann 20 Demos kommen mit Strukturen, auf die ich dann die Texte schreibe. Das habe ich ja jahrelang getan. Aber diesmal konnte ich die Geschichten komplett frei erzählen. Meine Texte hatten natürlich Strukturen wie Verse, einen Chorus oder einen C-Teil. Es war ein Experiment, zu sehen, ob Rudolf mir zu „Gas In The Tank" ein geiles Riff schicken kann. Wir wollten sehen, ob wir es nach all den Jahren noch draufhaben. Und wenn dann noch jemand sagt, es muss wie „Blackout" klingen – wie der Super-Fan, der uns den Floh ins Ohr gesetzt hatte –, ist der Anspruch riesig. Wir sind mittlerweile in einem Alter, in dem man sich fragt, ob man diese Herausforderung annehmen kann. Aber wir haben nicht lange herumgedaddelt, sondern uns einfach hineinfallen lassen. Durch die Pandemie gab es keinen Zeitdruck hier im Studio.
Wie kam es zu „Peacemaker", in dem es um Schlachtfelder, Leichenbestatter und Friedensstifter geht?
Meine: „Peacemaker bury the undertaker" ist ein Wortspiel, das mir einfiel. Der Friedensbringer (Peacemaker, Anm. d. Red.) steht dabei für das Licht und für die Freiheit und der Bestatter (Undertaker, Anm. d. Red.) für die dunkle Seite, für Tod. Ich hatte das Gefühl, der Undertaker macht in diesen wilden, düsteren Corona-Zeiten Überstunden. Jeden Abend sah man die Bilder aus New York oder Bergamo. Der Song enthält die Aufforderung an die junge Generation: „Ihr alle könnt der Peacemaker sein. Unterstützt ihn, dass er hoffentlich nach der Pandemie die Welt beherrscht!" Das war mein Grundgedanke, ohne jetzt eine große Friedenshymne schreiben zu wollen. Ich fand die Gegensätze Hell und Dunkel, Frieden und Tod anziehend.
Der Song „When I Lay My Bones To Rest" ist Zukunftsmusik. In nächster Zeit werden Sie sich jedenfalls nicht zur Ruhe setzen, sondern die Scorpions brechen mal wieder zu einer Tournee rund um den Globus auf. Es wird nicht Ihre letzte sein, oder?
Meine: Man weiß nie, was einen hinter der nächsten Ecke erwartet. Wir wissen, dass die Strecke vor uns nicht endlos ist, aber wir sehen dieser Tour nach so langer Pause mit freudiger Erwartung entgegen. In all den Jahren hatten wir noch nie einen zweijährigen Break. Ich glaube, es tut uns gut, wieder auf einer Bühne zu stehen und Konzerte zu spielen. Auch wenn wir im Sommer in Europa und in Deutschland unterwegs sind, wird es für die Band und unser Publikum sehr emotional werden. Mal zwei Stunden aus dem ganzen Wahnsinn rauszukommen und abzurocken. Wir können es nicht erwarten, die neuen Songs mit unseren Fans zu teilen. Wir machen keine großen Pläne für die Zukunft, sondern wir sind dankbar für die lange Strecke, die wir bisher gegangen sind. Mit „Rock Believer" kommen wir auf 50 Jahre als Recording Artist. Unser erstes Album ist 1972 erschienen. Es war eine lange, verrückte und aufregende Reise. Wir freuen uns, dass sie noch ein Stückchen weitergeht.
Ihr Debütalbum „Lonesome Crow" wurde von dem legendären Produzenten Conny Plank aufgenommen. Hatte er bereits das richtige Gefühl für die Scorpions?
Schenker: Ich habe nach einer günstigen Aufnahmemöglichkeit gesucht und bin beim Star Musikstudio in Hamburg gelandet, wo Conny Plank am Mischpult saß. Ich kannte ihn gar nicht. Als wir dort gerade den Titel „Lonesome Crow" aufnahmen, kamen Dicky Tarrach und Frank Dostal von den Rattles zur Tür rein. Sie hörten den Song und fingen an, auf Conny Plank mit Händen und Füßen einzureden. Anschließend bot Conny uns an, uns für das neue Label Metronome zu produzieren. Innerhalb von sechs Tagen hatten wir unsere erste Platte aufgenommen und abgemischt. Das Debüt von Led Zeppelin ist genauso schnell entstanden.
Meine: Wir haben den Rattles unser erstes Album zu verdanken.
Schenker: Conny war wirklich ein Hammer-Typ, der unser Feeling sehr gut eingefangen hat. Für unser zweites Album „Fly To The Rainbow" trieben wir dann Reinhold Mack auf, der als Produzent in den Münchener Musicland Studios arbeitete. Als wir dort hinkamen, waren die Rolling Stones gerade abgereist. Macks Erfahrung half uns, dann mit Dieter Dierks den richtigen Produzenten zu finden.
Was machte Dieter Dierks anders, mit dem Sie in den 1970er- und 1980er-Jahren Ihr erfolgreichstes Album eingespielt haben?
Schenker: Uli Jon Roth hätte gern Chas Chandler gehabt, den Bassisten der Animals. Ich hingegen hatte Dieter Dierks im Auge, weil ich seine Arbeit mit Atlantis kannte. Chandler war dann zu beschäftigt und es kam tatsächlich zu einer Zusammenarbeit mit Dieter.
Meine: Er hat das Talent der Scorpions erkannt zu einem Zeitpunkt, wo er die Band noch formen konnte. Dieter war sehr wichtig für uns. Bis zur Japan-Tour 1978 hatten wir uns sehr gesteigert vom Songwriting und der Performance her, sodass wir Ende des Jahrzehnts erstmals in die USA gegangen sind. Dieter hat uns ein gutes Rüstzeug mitgegeben. In all den Jahren mit ihm sind viele Klassiker entstanden. Wir sind um die ganze Welt getourt, aber immer wieder nach Stommeln in der Nähe von Köln zurückgekommen, um dort unsere Alben aufzunehmen. Es war eine spannende Zeit.