Die Staatsoper Unter den Linden zeigt drei Meisterwerke von Mozart. Sie sind mithilfe des Librettisten Lorenzo Da Ponte entstanden. Zu sehen ist die von Vincent Huguet inszenierte und von Daniel Barenboim dirigierte Trilogie noch bis zum 17. April.
Für Wolfgang Amadeus Mozart beginnt 1785 eine Phase großer Erfolge. Der alte Joseph Haydn, europaweit berühmt, feiert den jüngeren Kollegen als „größten Komponisten, den ich von Person und Namen nach kenne". Das Wiener Publikum und sogar der Kaiser bejubeln Mozart in zahlreichen Konzerten und Gesellschaften. Auch die Uraufführung seiner Oper „Le nozze di Figaro" am 1. Mai 1786 wird ein Riesenerfolg.
Nicht nur die geistreiche Musik, sondern auch die humorvolle, überraschende Handlung der „Hochzeit des Figaro" sorgte für Begeisterung: Sie spielt im Schloss des Grafen Almaviva, wo die Zofe Susanna dient. An ihr will der Edelmann das antiquierte „Recht der ersten Nacht" wiederbeleben. Um der Entjungferung durch ihren adligen Herrn zu entgehen, zettelt die schlaue Susanna ein Verwirrspiel an. „Figaro" ist bis heute ein unverzichtbarer Bestandteil der Spielpläne in aller Welt – wie auch Mozarts Opern „Don Giovanni" und „Così fan tutte", die in den zwei darauffolgenden Jahren entstanden. Diese drei Opern, allesamt in italienischer Sprache, haben eine Gemeinsamkeit: Mozart arbeitete hier mit dem Librettisten Lorenzo Da Ponte zusammen, der in Wien als Hoftheaterdichter angestellt war.
Der Venezianer Da Ponte, sieben Jahre älter als Mozart, war ein Freigeist: Die Ausbildung zum Priester hatte er abgebrochen, weil er sich verliebte. Eine Stelle als Lehrer für klassische Literatur verlor er wegen ketzerischer Ansichten über die Naturgesetze. Schließlich wurde er aus Venedig verbannt, da er mit einer verheirateten Frau anbändelte. Ein Landsmann verhalf ihm zur Anstellung am Wiener Hof.
Barenboims dritte Da-Ponte-Version
Mozart schlug Da Ponte vor, das skandalumwitterte, in Wien verbotene Schauspiel des Franzosen Pierre Augustin Caron de Beaumarchais „Le mariage de Figaro" zu einem Operntextbuch umzuarbeiten. Das Theaterstück, fünf Jahre vor Ausbruch der Französischen Revolution uraufgeführt, galt als hochbrisant, weil hier althergebrachte Privilegien des Adels infrage gestellt werden.
Die drei Da-Ponte-Opern sind Einzelstücke. Doch ab und zu führen Opernhäuser die drei Werke als Zyklus auf –
obwohl die beiden Schöpfer etwas Derartiges nie im Sinn hatten. Eine zusammenhängende Trilogie bringen nun auch Dirigent Daniel Barenboim und Vincent Huguet, ein Schüler des großen französischen Regisseurs Patrice Chéreau, auf die Bühne der Berliner Staatsoper.
Roter Faden ihres Konzepts ist das Thema Liebe und Sexualität, das Verhältnis zwischen Mann und Frau, das allen drei Opern innewohnt. Vincent Huguet erzählt die Lebensgeschichte eines Mannes: von der Jugend („Così") über die Ehekrise („Figaro") bis zum reifen Liebhaber („Don Giovanni"). Dem steht allerdings die Reihenfolge der Entstehung entgegen, begannen doch Mozart und Da Ponte ihre Zusammenarbeit mit dem „Figaro".
Auch Unter den Linden ist aufgrund der Corona-Einschränkungen die Reihenfolge durcheinandergeraten. Huguets „Figaro"-Inszenierung konnte im April 2021 nur als Stream an den Start gehen. Der französische Regisseur verlegt die Handlung in die 1980er-Jahre: Wir sehen viel Violett und ausgebleichte Jeans, übergroße Blazer und Cowboystiefel. Bei der Inszenierung habe er an Pedro Almodóvar gedacht, erklärt Huguet im Programmbuch.
Nach der Wiener Uraufführung geht die Oper nach Prag. Dort erhält Mozart einen Auftrag für eine weitere Oper. Nun greift Da Ponte zu der alten Geschichte um den Frauenhelden Don Juan. Die neue Oper „Don Giovanni" startet mit einem hochdramatischen Paukenschlag, einem Mord: Der spanische Edelmann Don Giovanni ersticht den Vater von Donna Anna, der er zuvor nachgestellt hat. Damit gerät der Womanizer auf die abschüssige Bahn. Seine Leidenschaft und sein zügelloser Eroberungsdrang bringen ihm das Verderben.
Die Prager Uraufführung am 29. Oktober 1787 wird ein sensationeller Erfolg. Mitte November kehrt Mozart nach Wien zurück, wo die Aufführung im Burgtheater ebenfalls für Jubel sorgt. Mozarts Melodien, etwa das Duett „Reich mir die Hand, mein Leben", werden als Schlager in den Gassen gepfiffen. Nach zwei Gemeinschaftsarbeiten suchen Mozart und Da Ponte nach einem originellen, neuen Konzept. Kaiser Joseph II. soll die beiden auf die Idee gebracht haben, eine wahre Begebenheit aus der Wiener Gesellschaft zu verarbeiten. Ob das stimmt, ist fraglich, geistert doch die Handlung von „Cosí fan tutte" in abgewandelten Formen schon seit Jahrhunderten durch die Literatur. Es geht um zwei Paare. Die beiden Männer müssen plötzlich in den Krieg und kehren verkleidet zurück. Die Frauen, die ihre Verlobten nicht erkennen, lassen sich schnell verführen und treten mit den „neuen" Partnern sogar vor den Traualtar.
Eine bittersüße, turbulente Geschichte von Täuschungen, Verwechslungen, Verkleidungen ist das. „Cosí fan tutte" – „So machen sie es alle". Soll heißen: Alle Frauen betrügen ihre Männer. Jedoch unterfüttern Mozart und Da Ponte den Klamauk mit Tiefgang, schaffen eine philosophische Fabel über die Liebe, eine romantische Tragikomödie. Dabei standen die Anfänge dieser heute als Meisterwerk geltenden Oper unter keinem guten Stern. Der erste Erfolg des am 26. Januar 1790 im Burgtheater uraufgeführten Stücks kommt zu einem jähen Ende, als der Kaiser sechs Wochen später stirbt. In der Zeit der Hoftrauer bleiben die Theater geschlossen. Auch sonst läuft es für Mozart zu Beginn seines vorletzten Lebensjahres nicht gut. Der Niedergang des Wiener Konzertlebens aufgrund der Türkenkriege, aber auch sein verschwenderisches Naturell treiben den Komponisten in die roten Zahlen. Mozart macht Schulden; seine Frau Constanze flieht aus der bedrückenden Situation zur Kur nach Baden bei Wien.
Inspiriert durch Pedro Almodóvar
An der Berliner Staatsoper wird „Così fan tutte" nun zum ersten Teil der Da-Ponte-Trilogie. Regisseur Huguet versetzt die Handlung in die Welt der Blumenkinder um 1968. Die beiden Paare machen Strandurlaub in Italien unter Hippies und Oben-ohne-Schönheiten. Im Hintergrund ragt der Vesuv auf.
Dieser erste Teil der Trilogie von Barenboim und Huguet hatte coronabedingt erst im Oktober 2021 Premiere, also nach dem „Figaro". Mit der am 2. April anstehenden Premiere von „Don Giovanni" wird der Zyklus komplett. Während der österlichen Festtage, die vom 6. bis zum 17. April dauern, ist die Mozart-Da-Ponte-Trilogie zweimal als zusammenhängender Zyklus zu erleben.
Über den Sinn eines solchen Unterfangens lässt sich streiten. An Mozartinszenierungen herrscht kein Mangel. Für Barenboim ist es bereits die dritte Version der Mozartschen Da-Ponte-Opern. Kritiker haben schon angemerkt, dass Barenboims Mozart-Interpretationen allzu routiniert abschnurren.
Was aber wurde nach Mozarts frühem Tod aus Da Ponte? Der hochverschuldete Lebenskünstler floh vor seinen Gläubigern nach New York City, wo er sich vielfältig ausprobierte: Er wurde Tabak- und Branntweinhändler, führte einen Laden für Obst und Gemüse, unterrichtete Italienisch und wurde schließlich Professor für italienische Literatur am Columbia College. Seine Erlebnisse veröffentlichte er in mehrbändigen Memoiren. 1832 bringt Da Ponte eine italienische Operntruppe nach New York. Deren Gastspiel ruiniert ihn zwar finanziell, aber kurz darauf erfüllt sich – auch dank seines Engagements – ein lang gehegter Traum: 1833 eröffnet das erste Opernhaus in New York. Es ist der Vorläufer der heute weltberühmten Metropolitan Opera.