Eine gebürtige Pforzheimerin, die in New York ein Label gegründet und jüngst auf der Pariser Fashion Week wieder für Furore gesorgt hat, wird längst zu den weltweit größten Talenten gezählt. Und doch ist Melitta Baumeister in Deutschland noch weitgehend unbekannt.
Beim Sichten der ersten Berichterstattungen über die Highlights der Pariser Fashion Week für den Sommer 2022 war plötzlich gehäuft ein hierzulande bislang kaum bekanntes Label aufgetaucht: Melitta Baumeister. Die Vermutung, dass sich dahinter womöglich eine Designerin aus dem deutschsprachigen Raum verbergen könnte, sollte sich nach ersten Recherchen schnell bestätigen. Wobei recht verblüffend war, dass in so gut wie keiner Veröffentlichung Biografisches oder Hintergründiges zur Person der Marken-Gründerin zu finden war. Vielmehr wurde offenbar vorausgesetzt, dass Melitta Baumeister schon hinlänglich bekannt und es daher völlig ausreichend sein müsste, einfach ihre neueste, von ungewöhnlichem Design geprägte Kollektion in langen Bilderfolgen vorzustellen.
Rihannas Auftritt sorgte für Furore
Tatsächlich hatte Melitta Baumeister in englischsprachigen „People"-Magazinen bereits im Frühjahr 2013 für Furore gesorgt. Weil sich ausgerechnet „Bad Girl" Rihanna, die auch anderen Fashion-Newcomern wie Vetements oder Marquez’Almeida zum Durchbruch verholfen hatte, beim Besuch der Show des Avantgarde-Labels Comme des Garçons auf der Pariser Fashion Week publikumswirksam in einem außergewöhnlichen Teil des von Melitta Baumeister gerade erst in New York gegründeten Start-up-Labels präsentiert hatte. Wobei es sich um eine voluminöse, wie aufgepumpt wirkende Kunstlederjacke im Oversize-Bikerstyle gehandelt hatte. Fraglos schon ein sehr spezielles, raumgreifendes Piece, das von Rihannas Stylisten Mel Ottenberg entdeckt worden war, als dieser Baumeisters Debütausstellung im Rahmen der New Yorker Fashion Week im Februar 2013 unter die Lupe genommen hatte. Obwohl sich zuvor auch schon Lady Gaga aus dem Baumeister-Outerwear-Fundus bedient hatte, sollte doch Rihannas Auftritt für das größte Aufsehen sorgen. Zumal Mel Ottenberg die Baumeister-Jacke gleich zum „Mantel der Saison" gekürt und als bestes Outfit des Megastars während der gesamten Pariser Modewoche deklariert hatte.
Das war so etwas wie ein Ritterschlag für die Newcomerin, schließlich war Rihanna auch in edlen Klamotten von Prada, Chanel oder Dior zu bestaunen gewesen.
Grund genug für die „Welt", im Herbst 2014 in ihrer Stilbeilage „Icon" erstmals über das junge Label zu berichten und Melitta Baumeister sogar als „eine aussichtsreiche Kandidatin für zukünftige Aufgaben in einem der großen Pariser Modehäuser" ins Spiel zu bringen. Vielleicht doch etwas verfrühte Vorschusslorbeeren, schließlich war Baumeister gerade mal eineinhalb Jahre mit ihrem Brand am Markt präsent gewesen. Der berufliche Werdegang von ihr war ziemlich bemerkenswert. Da Vater und Mutter im Schneiderbusiness tätig waren, hatte sie das handwerkliche Hantieren mit Faden und Nadel zur Herstellung von Kleidung schon von Kindheit an erlernt und besuchte zur Perfektionierung ihrer Fähigkeiten zunächst eine Schneiderschule. Danach schloss sie ein Studium an der Pforzheimer Hochschule für Gestaltung an, wo ihr nach eigenen Angaben „die künstlerische Herangehensweise an Mode" am meisten imponiert hatte. Vor ihrem Bachelor-Abschluss 2010 konnte sie im Rahmen eines Praxissemesters bei Viktor & Rolf in Amsterdam Erfahrung im Führen eines eigenen Labels sammeln. „Es war eine sehr besondere Zeit und Erfahrung, für mich", so Baumeister, „zu sehen, wie ein etabliertes Modeunternehmen aufgebaut ist. Ich lernte, was es heißt, Mode auf einem High-End-Level zu bespielen."
Skulpturaler Design-Ansatz
Dass sie auch schon im Alter von 24 Jahren verstanden hatte, wie wichtig zusätzlich Marketing oder PR in eigener Sache sein können, demonstrierte sie im Sommer 2010 im heimischen Pforzheim in einem ganz bewusst wenig repräsentativen Umfeld mit einem fiktiven „Prada-Shop", in dem sie acht Outfits ihrer Abschlusskollektion präsentiert hatte.
Auf Anraten von Shelley Fox, der Direktorin der renommierten Parsons School of Design in Manhattan, wagte Baumeister 2011 den Sprung über den großen Teich, um in New York ein Fashion-Masterstudium aufzunehmen. „Natürlich war der Kontrast Pforzheim – New York extrem", so Baumeister, „aber genau richtig. Nach etwas Gewohntem oder Bequemem hatte ich ja nicht gesucht. Ich fand vielmehr das Neue, das Überraschende und das Andere gut." Gleich nach ihrem Master-Abschluss gründete sie ihr eigenes Label, das nach erster Teilnahme an der New Yorker Fashion Week gleich Paris als besseren Standort zur Präsentation der Kollektionen erwählt hatte. Baumeisters unkonventioneller Stil wurde schnell mit zukunftsweisenden Großen der Szene wie Martin Margiela oder Rei Kawakubo verglichen, die Melitta Baumeister zudem den Verkauf ihrer Klamotten in dem exklusiven Avantgarde-Nobelshop Dover Street Market ermöglichen sollte. Und immer wieder wurde in diesem Zusammenhang der skulpturale Design-Ansatz bei Baumeister hervorgehoben. Ergänzt durch Minimalismus, Oversize-Vorlieben und ein gehöriges Maß an Androgynität. Was letztlich impliziert, dass Melitta Baumeister all das abgeht, was ein typisches Celebrity- oder Hype-Label eigentlich besitzen müsste. Fehlanzeige auch bezüglich eines markanten Logos, eines charakteristischen Musters oder eines wiedererkennbaren It-Pieces. „Melitta Baumeisters modisches Talent liegt gerade darin", so das Magazin „Blonde", „dass sie sich keiner der üblichen Modevokabeln bedient, keine gängigen Trends aufgreift, Bekanntes zitiert oder sich einer bestimmten modischen Kategorie zuordnen lässt. Sie hat offensichtlich Spaß daran, Silhouetten und Schnitte zu erforschen, mit den Grenzen des Tragbaren zu experimentieren und in ihre schwarz-weißen Welten, wann immer ihr danach ist, leuchtende Farbe zu werfen." Baumeister selbst ist es durchaus bewusst, dass viele ihrer ungewöhnlichsten, allesamt in New York gearbeiteten Kreationen nichts für den Alltag sind. Oder wie die „Vogue" es jüngst mit Blick auf die Sommerkollektion 2022 auf den Punkt gebracht hatte: „Man kann sich leicht vorstellen, dass Baumeisters Kleider einen Platz auf dem roten Teppich haben und noch einfacher, sie in einem Museum ausgestellt zu haben." Doch daneben gibt es natürlich inzwischen auch tragbare Ready-to-wear-Teile, beispielsweise Hemdjacken, Loop-Leggins, Lounge-Hosen oder Hoodies, die aber allesamt einen gewissen Twist haben. Neben dem skulptural-bildhauerischen Aspekt liebt Baumeister auch das Experimentieren mit ungewöhnlichen (teils anfangs flüssigen, danach häufig starren) Materialien, von Silikon über Schaumstoff bis hin zu Neopren. Klassische Vorgaben der textilen Konstruktion oder Silhouetten-Optik interessieren sie nicht, sie macht einfach ihr persönliches Ding und scheut auch nicht davor zurück, die traditionellen Fertigungsprozesse der Mode zu hinterfragen, beispielsweise durch Verwendung von abgewandelten Spritzgusstechniken.
Kleid enthüllt mehr als es verbirgt
„Baumeisters Verwendung von geschwungenen Schnitten, um skulpturale Formen zu schaffen, inspiriert immer wieder", so das Resümee der „Vogue" bezüglich der Sommerkollektion. Selbst die geschnitzten Holzabsätze der Schuhe erinnerten die „Vogue" ein wenig an den rumänisch-französischen Bildhauer Brancusi. Für ihre ungewöhnlichen Banana Bunch Bags oder Bananen-Clutches war es allerdings scheinbar aussichtslos, außerhalb der Natur ein Vorbild zu finden. Nachdem Baumeister ihre Winterkollektion 2021 unter das Motto „Home" gestellt hatte, geht es im Sommer 2022 um die Selbstheilung, die Achtsamkeit und die Reflexion über den weiblichen Körper, der wahlweise nahezu vollständig bedeckt oder auch beinahe nackt präsentiert wird. Kreativer Ausgangspunkt war ein Instagram-Filter namens „wacky mirror" (= verrückter Spiegel), mit dessen Hilfe die Optik eines Bodys extrem verzerrt werden kann. Ihr persönlicher Stil lasse sich, so Baumeister, nur schwer in Worte fassen, weil alles letztlich vom Visuellen lebe, aber „skulptural" vermischt mit einer gewissen „zeitgenössischen Verrücktheit" treffe es ganz gut. Ein gutes Beispiel dafür aus der Sommerkollektion ist beispielsweise ein hauchzartes, dekonstruiertes Kleid aus funkelndem, transparentem Netzstoff, der mehr enthüllt als verbirgt und, so Baumeister, „eine verschwommene Sicht auf den Körper" ermöglicht. Das genaue Gegenteil ist ein bodenlanger, antikisch-plastisch anmutender, das Haupt komplett verhüllender Seidenchiffon, der allerdings in leuchtendem Grün daherkommt. Ein Faltenkleid fällt mit skulpturalen Minnie-Mouse-Schultern aus dem Rahmen. Röcke oder Blusen sind teilweise weit ausgestellt. Aber es gibt auch Tragbares wie Sweatsuits, Shirts oder Bodys mit raffinierten Cutouts, gewaschenes Denim sowie einige ungewöhnliche Hosen. „Die geschwungenen Schnitte von Baumeister formen die Luft um sie herum", so die „Vogue", „während sie den Körper freilegen oder schützen."