Boris Becker ist nicht der erste Sportstar, der nach seiner ruhmreichen Karriere böse abgestürzt ist. Doch der ehemalige Tennis-Profi hat ein besonderes Image-Problem – und kämpft jetzt um seine Freiheit.
Wer in so viele Skandale verstrickt war und so viele Schlagzeilen produziert hat wie Boris Becker, dem sollte inzwischen eigentlich egal sein, was die Öffentlichkeit von ihm denkt. Doch weit gefehlt. Becker, der einst als Tennis-Held gefeiert wurde und heute mehr oder weniger belächelt wird, sorgt sich offenbar sehr um sein Image. „Ich könnte sagen, ich habe eine Elefantenhaut, und mich interessiert gar nichts mehr. Aber das wäre gelogen", sagte Becker einmal: „Ich bin ein sensibler Mensch."
Becker steckt in einer Schublade
Vor allem in seiner Heimat fehlt ihm der Respekt vor seiner Person. „In Deutschland hat man noch ein Bild von mir, das aus der Zeit stammt, als ich als 17-Jähriger über Nacht zum Star wurde und danach ein paar Jahre lang sämtliche Klischees erfüllte", findet der Leimener: „Seitdem stecke ich in einer Schublade, und man hat aufgehört, wahrnehmen zu wollen, dass ich mich weiterentwickelt und verändert habe." Doch Becker macht es dem gemeinen Sportfan auch nicht leicht, sich vor allem an seine famosen Leistungen auf den Tennisplätzen dieser Welt zu erinnern. Oder seine wirklich überzeugenden Auftritte als Experte für TV-Sender Eurosport in den Vordergrund zu rücken. Auch in der aktuellen Berichterstattung über den inzwischen 54-Jährigen geht es nicht um den Tennissport, den er so liebt wie nur wenige. Sondern es geht um Schlagwörter wie „Gefängnis", „Steuerhinterziehung", „Gerichtsverhandlung". Der Kampf um sein Image, um seinen guten Ruf – der muss aktuell hintenanstehen. Aktuell kämpft der sechsfache Grand-Slam-Sieger um seine Existenz. Der Titel seines 2013 erschienenen Buches, in dem er sich über den Scheidungskrimi mit seiner Ex-Frau Barbara, die skandalumwitterte Zeugung seiner Tochter Anna und andere Peinlichkeiten seines Lebens äußert, könnte die aktuell brisante Lage nicht treffender beschreiben: „Das Leben ist kein Spiel."
„Wenn alles gegen mich läuft, habe ich ein Problem", sagte Becker im Februar der „Bild am Sonntag" über den Prozess, der Mitte März begann. Diese Sorgen sah man ihm auch an, als er zu Prozessbeginn mit bedrückter Miene in den Southwark Crown Court in London am südlichen Ufer der Themse und direkt gegenüber dem Tower of London marschierte. An der einen Hand hielt er einen Pappkarton, vermutlich bis zum Rand gefüllt mit Akten, in der anderen Hand schleppte er einen Rollkoffer hinter sich her. Begleitet wurde er von seiner Freundin Lilian de Carvalho Monteiro.
Beckers gedämpfte Laune ist absolut verständlich, denn Staatsanwältin Rebecca Chalkley will ihm wirklich an den Kragen. Becker wird Insolvenzverschleppung und Verschleierung von Vermögenswerten vorgeworfen, bei einem Schuldspruch drohen ihm bis zu sieben Jahre Haft. „Schuldner, die das System in böser Absicht ausnutzen, sollten bestraft werden", sagte Chalkley zu Beginn der auf vier Wochen angesetzten Verhandlung: „Kurz gesagt: Das ist es, was Herr Becker laut Staatsanwaltschaft hier getan hat." Folgen die zwölf Geschworenen dieser Argumentation, kann es ganz böse enden für Becker. Der britische Insolvency Service hatte ihn wegen Verstößen schon 2019 mit Insolvenzauflagen belegt, die bis ins Jahr 2031 reichen.
Ehering soll verkauft werden
Er selbst bestreitet die Vorwürfe vehement. Für insolvent erklärt wurde Becker offiziell 2017, daraufhin erhoben verschiedene Gläubiger Forderungen von insgesamt 60 Millionen Euro. Von der Insolvenzmasse sollen bislang aber nur rund 3,6 Millionen Euro an die Gläubiger geflossen sein. Unter anderem durch den Verkauf von Pokalen und anderen Erinnerungsstücken seiner erfolgreichen Tenniskarriere, was laut Becker einzig und allein dazu gedient habe, „mir persönlich wehzutun, weil ich natürlich emotional an den Trophäen hänge". Zum Verkauf seines Eherings schien Becker dagegen bereit gewesen zu sein. Zumindest legte sein Anwalt Jonathan Laidlaw am Eröffnungstag des Prozesses dar, dass der Angeklagte dem Insolvenzverwalter „einen teuren Ehering" angeboten habe, um einen Teil seiner Schulden zu begleichen. Außerdem, ergänzte Laidlaw, habe Becker von sich aus vorgeschlagen, „das Haus in Wimbledon unter die Lupe zu nehmen, um zu sehen, was vorhanden ist". Die Strategie dahinter: Becker als kooperativ darzustellen, was er laut Anklage nicht gewesen sein soll. Die Gläubiger werfen ihm vor, wertvolle Trophäen wie den vergoldeten Wimbledon-Pokal oder die olympische Goldmedaille 1992 versteckt zu haben. Und noch schwerwiegender: Er soll Immobilien, Aktien und Bankguthaben nicht korrekt angegeben haben. Im Raum steht auch der Vorwurf, er habe größere Geldbeträge an seine Ex-Frauen Barbara und Lilly Becker überwiesen. Der Prozess, der eigentlich schon vor einem halben Jahr hätte stattfinden sollen, soll also klären, ob Becker eventuell nennenswerte Vermögenswerte verheimlicht und/oder Geld auf andere Konten verschoben hat. 24 Anklagepunkte sind aufgelistet.
In der Anklageschrift heißt es „The Queen v Boris Becker". Den Namen des Angeklagten kennt in London fast jeder Sportinteressierte, der Deutsche ist hier nach seinen drei Wimbledon-Siegen bekannt wie ein bunter Hund. Außerdem lebt er seit Jahren in dem Londoner Stadtteil, wo er einst seine größten Triumphe gefeiert hatte. Auf einen Promi-Bonus sollte Becker aber besser nicht hoffen. „Sie müssen die Berühmtheit des Angeklagten völlig ignorieren und ihn genau wie jemanden behandeln, den sie noch nie gesehen haben und der nicht im öffentlichen Rampenlicht steht", forderte Richterin Deborah Taylor die Jury zu Prozessbeginn auf. Die Fragen, die sich fast alle Sportfans stellen: Wie konnte es so weit kommen? Wie konnte Boris Becker, der erfolgreichste und beliebteste deutsche Tennisspieler, so tief fallen? Wie konnte ein Mann, der allein in seiner aktiven Karriere zwischen 1985 bis 1999 geschätzte 25 Millionen US-Dollar an Preisgeld verdient und darüber hinaus lukrative Ausrüster-Verträge sowie Werbedeals abgeschlossen hat, so in die Schuldenfalle tappen? Schließlich hatte er danach auch noch ein stattliches Einkommen als Trainer des serbischen Superstars Novak Djokovic und als Werbe-Zugpferd für die Onlinepoker-Plattform PokerStars. Und heute kann er auf beachtlich dotierte Jobs als TV-Kommentator für Eurosport und BBC – spekuliert wird über Einnahmen von je 100.000 Euro pro Jahr – verweisen.
„Marke Becker" beschädigt
Die Vergangenheit hat gezeigt: Becker hat sich schlichtweg finanziell verhoben, falsche Entscheidungen getroffen. Die drei Autohäuser der Marke Mercedes brachten ihm nichts außer Schulden, ein Fass ohne Boden war auch seine Luxusvilla auf Mallorca, für die ihm die britische Privatbank „Arbuthnot Latham" rund drei bis 3,5 Millionen Pfund geliehen haben soll. Die unbeglichenen Schulden türmten sich zwischendurch auf eine Summe von bis zu 50 Millionen Pfund, weshalb ihn der High Court of Justice für zahlungsunfähig erklärte. Umgangssprachlich bedeutete das: Becker war offiziell bankrott. „Ich habe mich geschämt, weil ich pleite war", sagte Becker nun vor Gericht: „Wie Sie sich vorstellen können, war ich darüber schockiert. Weil weltweit darüber berichtet wurde. Und ich bin durch das Wimbledon-Tor gegangen, und alle wussten es." Schlimmer aber noch als die Scham war der finanzielle Schaden, der mit der Insolvenz einherging. Die negative Presse habe der „Marke Becker" sehr geschadet, argumentierte der 54-Jährige. Das habe das Geldverdienen zur Zurückzahlung seiner Schulden erschwert: „Es ist sehr schwierig, wenn man pleite ist und jede Woche dafür in die Schlagzeilen kommt. Es ist sehr schwierig, mit meinem Namen viel Geld zu verdienen."
Die fünf Jahre seit der Insolvenz seien „verdammt lang" und „die härtesten meines Lebens" gewesen, sagte Becker der Bild-Zeitung: „Aber ich bin ein Mensch, der niemals aufgibt und immer bis zum Ende kämpft." Und die Medien sind immer dabei. Das größtenteils verkorkste Leben des ehemaligen Sportstars interessiert die Menschen sehr. Neben den Geldproblemen hatte Becker ja auch mit anderen Geschichten aus seinem Privatleben immer wieder für Skandale gesorgt. Vor allem die Boulevardpresse stürzte sich auf jeden Fehltritt, Becker füllte lange Zeit die Klatschblätter in Deutschland und England. Und er tut es noch heute. „Außenstehende erleben sein Schicksal als eine Art Seifenoper", sagte Sven Müller, Geschäftsführer der Testimonial-Agentur PBM in Hamburg, einmal über dieses Phänomen: „Es schafft eine große Vertrautheit und viel Sympathie." Aber wohl auch Schadenfreude.
Becker differenziert bei den Meinungen über ihn: „Ich habe einerseits die Erfahrung mit dem ganz normalen Taxifahrer, Busfahrer, dem Mann auf der Straße: Der tritt mir sehr respektvoll und sympathisch entgegen", berichtete er einmal. „Andererseits erlebe ich den Chefredakteur, den Mittelständler, den Manager, der schon was von der großen Welt gesehen hat. Und der hat ein Problem mit mir."
Und dann hat Becker scheinbar ein Problem. „Das Einzige, was ihn interessiert, ist sein Image", sagte Angela Ermakowa, mit der Becker nach einem vielbeschriebenen Techtelmechtel die gemeinsame Tochter Anna hat.
Beckers Image leidet seit Prozessbeginn weiter, auch deshalb hofft der ehemalige Weltranglisten-Erste auf ein schnelles und vor allem für ihn positives Ende.
„Ich hoffe, dass die Richterin und die zwölf Geschworenen ein gerechtes Urteil fällen", sagte er guten Mutes vor dem Auftakt. Er glaube „grundsätzlich immer an das Gute und an die englische Gerichtsbarkeit". Und außerdem: „Es gibt schlimmere Katastrophen als meinen Kontostand."