Binnen weniger Wochen sind alle bisherigen Gewissheiten bei der Energieversorgung durch den Ukraine-Krieg über den Haufen geworfen worden. Beim Versuch, sich aus der Abhängigkeit von Russland zu lösen, gibt es derzeit nur eine Erkenntnis: Es wird nicht einfach.
Bundesweit laufen derzeit bei den Sanitär-Handwerksbetrieben die Telefone heiß, bei den E-Mail-Nachfragen kommen sie schon lange nicht mehr hinterher. Nach dem Gas- und Ölpreis-Schock im März erkundigen sich Tausende Verbraucher, ob es auch Alternativen zur Gas- oder Ölheizung gibt. Doch im Fokus der Anfragen vieler Wohnungs- oder Hausbesitzer steht der Austausch der alten Therme oder des alten Brenners im Keller. Die Rechnung der von den hohen Gas- und Ölpreisen geschockten Verbraucher ist ganz einfach. Eine neue Gastherme oder Ölheizung könnte bis zu 30 Prozent weniger des fossilen Brennstoffs verbrauchen als das bisherige Gerät, vor allem wenn es älter als 20 Jahre ist. Damit könnte man zumindest im kommenden Winter einen Teil der Heizkosten senken. Denn eines scheint in diesem Frühjahr klar zu sein: Die Preise für Brennstoff werden in absehbarer Zeit nicht sinken, mit viel Glück pendeln sie sich auf dem derzeitigen Rekord-Niveau ein. Doch selbst der Tausch der alten Anlagen gegen moderne Geräte ist derzeit nicht so einfach, räumt der Zentralverband Sanitär, Heizung, Klima auf FORUM-Anfrage ein. Dabei ist weniger der Fachkräftemangel das Problem, vielmehr sind Thermen und Brenner kaum noch zu bekommen, der Markt ist leer gefegt. Die Herstellerfirmen konnten im Winter ja nicht ahnen, dass es ausgerechnet im Frühjahr noch während der Heizperiode einen Run auf neue Heizungen geben würde. Die Installationsfirmen melden bundesweit volle Auftragsbücher, doch ob diese alle bis zum kommenden Winter abgearbeitet werden können, hängt vor allem davon ab, ob die Hersteller die Geräte tatsächlich liefern können. Unterbrochene Lieferketten und Rohstoffknappheit machen sich auch hier bemerkbar. Wer privat von Gas und Öl auf eine Wärmepumpe umsteigen will, steht vor einer ähnlichen Situation.
Deutschland fehlen Terminals für LNG
Was Verbraucher bei der Planung ihrer privaten Energieversorgung im Kleinen erleben, musste Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis90/ Die Grünen) auf der großen Weltbühne schmerzlich erfahren. Seine, vor allem bei den eigenen Parteifreunden, heftig umstrittene Gas-Einkaufstour, unter anderem im Emirat Katar, brachte nicht den gewünschten schnellen Erfolg. Der deutsche Wirtschaftsminister wurde vom katarischen Staatsoberhaupt Tamim bin Hamad Al Thani in aller Freundlichkeit empfangen, doch konkrete Sofortzusagen über zusätzliche LNG-Lieferungen nach Europa beziehungsweise Deutschland konnte der Emir dann nicht machen. Katars Energieminister Saad al-Kaabi erklärte die Hintergründe wenige Tage nach Habecks Stippvisite in einem Interview mit der belgischen Wirtschaftszeitung „L’Echo" ganz simpel mit den bestehenden Lieferverträgen Katars vor allem mit den asiatischen Kunden. Demnach ist es nicht möglich, dass Katar in großem Stil Flüssiggas ad hoc nach Europa liefert. Al-Kaabi äußerte sich gegenüber „L’Echo" für die Zukunft aber zuversichtlich. Natürlich prüfe das Emirat „alle möglichen Maßnahmen, um Europa in dieser Energiekrise zu unterstützen". Doch das sei selbstverständlich kein kurzfristiger Prozess, „niemand verfügt derzeit über ausreichende Kapazitäten, um russisches Gas zu ersetzen, und Europa verfügt nicht über die notwendige Infrastruktur um das zusätzlich gelieferte LNG ins Netz zu speisen."
Der zweite Teil der Aussage umschreibt vorsichtig das derzeitige Dilemma. Deutschland verfügt über kein einziges LNG-Terminal. Zwar sind zwei Flüssiggas-Umschlagpunkte in Wilhelmshaven und Brunsbüttel geplant, doch deren Fertigstellung ist vermutlich nicht vor 2026 zu erwarten. Die Eröffnung der beiden LNG-Terminals hängt auch vom Verlauf der Klagen der Umweltschützer gegen die beiden Anlagen ab. Eine Fertigstellung in vier Jahren käme wiederum Katar entgegen, dann laufen dessen bestehende langfristige LNG-Lieferverträge aus. Das hilft aber in der aktuellen Situation weder Wirtschaftsminister Habeck noch Verbrauchern oder der Industrie weiter.
Der Minister setzt nun alle Hoffnungen auf seinen USA-Besuch. Die amerikanischen Energieriesen haben bereits angekündigt, Deutschland mit Liquified Natural Gas im großen Stil auszuhelfen, doch das hat seinen Preis. Erstens ist das amerikanische LNG teurer, da durch Fracking gewonnen, und dann kommen auch noch Durchleitungskosten dazu, da Deutschland eben keine Terminals zum Umschlagen der kostbaren Energiefracht besitzt. Nur was soll die Bundesregierung machen, wenn es im kommenden Winter in deutschen Wohnstuben nicht flächendeckend kalt bleiben soll? Ganz abgesehen von den wirtschaftlichen Verheerungen, die fehlende Gaslieferungen im verarbeitenden Gewerbe anrichten würden.
Die Debatte um die Energiesicherheit hat längst auch andere Bereiche erreicht. Es geht nicht mehr nur um den Nachschub von fossilen Brennstoffen, sondern auch um die Sinnhaftigkeit von Biokraftstoffen. Die Deutsche Umwelthilfe wie auch die Welthungerhilfe rechnen in diesem Jahr mit Hungersnöten im Nahen Osten und vor allem auf dem afrikanischen Kontinent wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Schuld sind die drohenden Ernteausfälle durch den Ukraine-Krieg und ausbleibende Getreide-Lieferungen aus Russland.
Nicht nur für Grüne und Linke stellt sich erneut die Frage, ob weiter aus Getreide, Sonnenblumen oder Raps Bioethanol gewonnen werden soll, um diese „Lebensmittel" dann Diesel und Benzin beizumischen. Die Debatte ist altbekannt. Kritiker meinen: Essen gehört nicht in den Tank. Gegenüber FORUM rechnet der Bundesverband Biokraftstoffe vor, dass um die zehn Prozent des Kraftstoffverbrauchs in Deutschland durch Bio-Ethanol gedeckt wird. Verbietet man jetzt also E5, E10 und B7 in Deutschland, würde dies an der Welternährungsversorgung nicht viel verändern. Beim Bauernverband schüttelt man erwartungsgemäß nur den Kopf. „Die Felder sind längst bestellt, eine Umstellung geht nicht von heute auf morgen, das ist ein Prozess von mindestens zwei Jahren", so der Bauernverband. Dazu kommt, dass beispielsweise 40 Prozent der Rapsernte im Tank landet, die anderen 60 Prozent werden zu Tierfutter verarbeitet.
Weniger Biosprit heißt mehr Rohöl
Die Bauern müssten sich also ganz schnell auf andere Futtermittel umstellen, was an anderer Stelle wieder zu Versorgungsengpässen führen könnte. Der vegetarischen Community Deutschlands käme das wohl entgegen. Ohne Schlachttiere bräuchten die Bauern kein Futter, und damit wären unter anderem die derzeitigen Rapsflächen frei für den normalen Getreideanbau. „Ganz so einfach ist es dann doch nicht", so Bauernverbandschef Joachim Rukwied auf der letzten Grünen Woche in Präsenz in Berlin gegenüber FORUM: „Vegane Ernährung ist keineswegs so umwelt- und energieschonend, wie immer behauptet wird. In fast allen Nahrungsmitteln ohne tierische Fette wird vor allem Palmöl verarbeitet". Und Palmöl gilt als ein Killer des tropischen Regenwaldes weltweit, damit auch ein Treiber für die Erderwärmung.
Im Übrigen würde ein Verbot der Bio-Sprit-Beimengung die CO2-Klimabilanz Deutschland wieder nach oben treiben, da das fehlende Bio-Ethanol durch fossiles Diesel oder Benzin ersetzt werden müsste. Das Rohöl dazu würde aber wieder die Abhängigkeit Deutschlands von Lieferanten weltweit erhöhen. Doch genau diese Abhängigkeit soll ja weniger und nicht mehr werden.
Auch der verstärkte Ausbau von erneuerbaren Energiequellen hilft aktuell wenig, es ist ein Prozess über Jahre und wird Deutschland nicht über den kommenden Winter helfen. Derzeit ist guter Energie-Rat also nicht nur teuer, sondern beinahe unmöglich.