Etwa zwei Millionen Betroffene leben in Deutschland mit der Diagnose Endometriose, einer chronischen Erkrankung, die regelmäßig heftige Schmerzen verursacht. Anja Moritz klärt über das häufig unbekannte Krankheitsbild auf.
Frau Moritz, Sie sind Geschäftsführerin der Endometriose-Vereinigung Deutschland e.V. Seit wann gibt es die Vereinigung und welche Aufgaben erfüllen Sie?
Die Endometriose-Vereinigung gibt es seit 26 Jahren. Sie wurde 1996 in Leipzig gegründet von sieben Endometriose-betroffenen Frauen und hat bis heute ihren Sitz dort. Wir arbeiten allerdings deutschlandweit. Von Betroffenen für Betroffene. Wir freuen uns über ein stetes Wachstum. Allein in den letzten zwei Jahren konnten wir über 1.000 neue Mitglieder bei uns begrüßen. Zu unseren Kernaufgaben gehört die Aufklärung und Information zum Thema Endometriose, um diese Krankheit einfach bekannter zu machen in der Öffentlichkeit. Wir bieten aber auch Beratung für Betroffene damit sie eine Anlaufstelle bekommen, wo sie neutral informiert werden und sich Hilfe holen können. Bei uns gibt es eine eigene Beratungsstelle. Dort können Betroffene anrufen und einen Termin vereinbaren. Engagierte Beraterinnen helfen bei Fragen weiter, auch um herauszufinden: Was sind denn konkret meine Themen? Im Kern geht es dabei um Hilfe zur Selbsthilfe. Wege aufzuzeigen, welche Behandlungsmöglichkeiten es gibt, welche psychologischen Hilfestellungen, welche Lebensgestaltungsoptionen, um damit besser umgehen zu können. Wichtig für die Betroffenen ist die Erkenntnis, da ist jemand der hört mir zu und der versteht, wie es mir geht. Eine Situation, die viele Betroffene über lange Jahre ihres Lebens überhaupt nicht erfahren. Dass jemand da ist, der dieses Leid versteht, diese Hilflosigkeit und Stigmatisierung. Für viele ist es das erste Mal, dass sie über ihre Ängste und Sorgen sprechen können. Endometriose ist ja eine Krankheit, die sich auf das ganze Leben auswirkt. Die Beratung ist kostenfrei und unabhängig. Außerdem unterstützen wir Selbsthilfegruppen bei der Gründung und freuen uns über jeden neuen Ansatz, das Krankheitsbild noch bekannter werden zu lassen. Wir sehen uns außerdem als Interessenvertretung für die Betroffenen und versuchen, das Thema auch in der Politik stark zu machen und haben Forderungen zur letzten Bundestagswahl aufgestellt in denen es darum geht, Gesetze zu ändern. Es sollte beispielsweise künftig möglich sein, Teilzeit-Krankschreibungen vom Arzt zu erhalten, um trotz Beschwerden zumindest stundenweise am Berufsleben teilzuhaben. Das wäre sowohl für die Betroffenen als auch für die Arbeitgeber ein großer Vorteil.
Was genau ist Endometriose?
Bei Endometriose wächst Gewebe, das dem der Gebärmutterschleimhaut ähnelt außerhalb der Gebärmutter. Dieses Gewebe wächst zum Beispiel an der äußeren Gebärmutterwand, an den Eierstöcken oder Eileitern, aber auch in der Blase oder am Dünndarm und Dickdarm. Grundsätzlich können alle Organe im Bauchraum und in einigen Fällen auch außerhalb des Bauchraums davon betroffen sein. Die Endometrioseherde bauen sich mit dem monatlichen Zyklus auf, genau wie Gebärmutterschleimhaut, sie können während der Menstruation aber nicht durch die Scheide abfließen. Die Herde verbleiben im Körper und führen zu Zysten und Entzündungen, die, je nach Lage, Beschwerden hervorrufen können.
Wer ist betroffen?
Die Krankheit kann mit der ersten Menstruation bei jungen Mädchen beginnen, in wenigen Fällen sogar früher. Sie haben extremste Unterleibsschmerzen, starke Blutungen und können oft nicht am Schul- und Sportunterricht teilnehmen. Da geht der Leidensweg los, teilweise bis zum Lebensende. Durch Verwachsungen und Operationen können selbst nach dem Ende der Wechseljahre immer noch Beschwerden vorhanden sein. Das wirkt sich auf den gesamten beruflichen Werdegang aus, aber auch auf die Partnerschaft, ungewollte Kinderlosigkeit und Sexualität. Wenn aufgrund von Schmerzen Sexualität nicht gelebt werden kann, dann ist das ein wichtiges Thema. Das zieht sich durch das gesamte Leben hindurch. Durch vermehrte Krankenhausaufenthalte gibt es immer wieder Brüche. Viele Betroffene müssen relativ früh auch einen Grad der Behinderung beantragen und gehen in die Erwerbsunfähigkeit. Nicht alle haben natürlich einen so schlimmen Verlauf, aber es gibt viele, die gar nicht mehr am normalen Leben teilhaben können.
Zu den Betroffenen zählen in erster Linie Frauen. Doch auch Transpersonen und nonbinäre Personen erkranken an Endometriose. Wenn man es politisch korrekt ausdrücken möchte, sagt man, Menschen, die einen Uterus haben oder hatten. Auch Frauen nach einer Uterusentfernung können noch unter Endometriose leiden. Selbst Männer, die sich einer Prostataentfernung mit anschließender Hormonbehandlung unterzogen haben, können daran erkranken, wenngleich ihre Zahl sehr gering ist.
Welche Symptome treten bei den Betroffenen auf?
Schon kleinste Endometriose-Herde können massivste Schmerzen auslösen, während größere Herde mitunter gar keine Beschwerden verursachen. Primär treten Rücken- und Unterleibsschmerzen während der Menstruation auf, die bis in die Beine ausstrahlen können. Es gibt Frauen, die vor Schmerzen ohnmächtig werden oder schreien, unabhängig vom Zyklus. Die Schmerzen fühlen sich für die Betroffenen an, als würden sie jeden Monat ein Kind gebären. Hinzu kommen extrem starke Menstruationsblutungen, Erschöpfung, Allergien, Autoimmunerkrankungen, Schmerzen während und nach dem Geschlechtsverkehr, auch bei gynäkologischen Untersuchungen. Schmerzen beim Urinieren und Stuhlgang, Blutungen aus Blase und Niere sowie Durchfälle können ebenfalls auftreten.
Das Thema ungewollte Kinderlosigkeit spielt hier eine große Rolle. Zwischen 40 und 60 Prozent aller Frauen, die ungewollt kinderlos sind, leiden unter Endometriose. Der Dauerschmerz zeigt sich aber nicht nur körperlich, er schlägt sich auch auf die Psyche nieder.
Wie finde ich heraus, ob ich betroffen bin?
Die Schmerzen sind vor und während der Menstruation extrem stark, dazu gibt es auf unserer Webseite eine Schmerzskala. Endometrioseschmerzen liegen bei einer 7 bis 9. Schmerzmittel sind notwendig, helfen aber oft nur bedingt. Vielleicht hatten Schwester oder Mutter ähnliche Beschwerden? Dann führt der Weg zum Arzt, im besten Fall mit einem Schmerztagebuch, einer Begleitperson und Notizen in der Hand. Sollte der Mediziner das Problem bagatellisieren, unbedingt eine Zweit- oder Drittmeinung einholen. Im Schnitt vergehen bis zu einer Diagnose sieben bis zehn Jahre!
Wie wird Endometriose behandelt?
Nach wie vor wird Endometriose oft gar nicht diagnostiziert, weil die Fachärzte sich mit diesem Thema zu wenig auskennen, da es in der Ausbildung kaum eine Rolle spielt. Neben einem Diagnosegespräch ist eine ausführliche Untersuchung notwendig. Oft sind die Herde dabei aber nicht zu sehen, selbst ein Ultraschall ist meist nicht aussagekräftig. Dann sollte man sich eine Überweisung in ein zertifiziertes Endometriose-Zentrum holen. Davon gibt es deutschlandweit inzwischen rund 100. Dort wird in der Regel eine Laparoskopie durchgeführt, also eine Bauchspiegelung.
Ist Endometriose heilbar?
Sie ist nicht heilbar, die Erkrankung verläuft chronisch. Man kann medikamentös über Schmerzmedikamente behandeln, hormonell darauf einwirken oder operativ die Endometriose-Herde entfernen lassen. Dabei gibt es keine Garantie, sodass schon nach kurzer Zeit Beschwerden erneut auftreten können. Das wären die schulmedizinischen Möglichkeiten. Daneben gibt es mithilfe der Komplementär-Medizin gute Chancen, die Schmerzen zu lindern. Dabei spielt Stressreduzierung eine Rolle, Yoga und multimodale Schmerztherapien wie Akupunktur, chinesische Medizin und Meditation. Da kann ganz viel getan werden. Eine angemessene Ernährung kann ebenfalls helfen, möglichst vegetarisch, zucker- und glutenfrei, damit sie Entzündungsprozessen im Körper entgegenwirkt. Jede muss sich auf den eigenen Weg begeben und sehen, was für sie individuell passt.
Kann ich nach der Behandlung noch schwanger werden?
Das lässt sich pauschal nicht beantworten. Bei manchen klappt es, auch mithilfe einer intensiven Kinderwunschbehandlung. Einige Paare bleiben kinderlos.
Kann ich etwas tun, um die Entstehung von Endometriose zu verhindern?
Die Ursache ist nicht bekannt, dementsprechend lässt sich nicht vorbeugen. Es gibt verschiedene theoretische Ansätze, aber es fehlt an Forschung. Die ist furchtbar teuer, hier müsste noch viel passieren. Dafür muss die Politik Gelder zur Verfügung stellen.
Wir wissen noch nichts über die Ursachen, dementsprechend können wir nur die Symptome behandeln. Für die Stellung einer Diagnose braucht es weitere Forschung, und es braucht Hilfe, konkret in den Kliniken und Arztpraxen. Hier muss das Thema stärker in den Fokus rücken, auch hinsichtlich der Beratungsangebote für Anschlussheilberatungen und Rehamöglichkeiten nach einer Operation.