Bio-Aktionäre stärken die lokale Öko-Wirtschaft. In der Regionalwert AG nehmen Bürger die Agrarwende selbst in die Hand und bauen Wertschöpfungsketten in der Region auf.
Frische Eier, Bienenhonig, Säfte, Äpfel und vieles mehr: Wer regional einkaufen und dabei lokale Erzeuger unterstützen will, der ist im Dorfladen Reichenberg bei Buckow genau richtig. Hier verkauft Inhaber Jakob Noack nicht nur Eier seiner eigenen 225 Weidehühner, sondern auch etliche Produkte von heimischen Äckern und Obstwiesen. Ermöglicht wurde die Eröffnung seines Geschäfts vor zwei Jahren auch durch Bürgeraktien der Regionalwert AG, die Berliner und Brandenburger zeichneten. Aktienwert im Reichenberger Dorfladen: 25.000 Euro.
Nicht nur in Reichenberg in der Märkischen Schweiz, sondern in ganz Brandenburg, sorgt seit 2018 eine Idee für Aufsehen: Die Regionalwert AG mit Sitz in Potsdam investiert mithilfe von Bürgeraktien in regionale Betriebe entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Vom Bauernhof im Oderbruch bis zur Brauerei in der Uckermark. Mit im Boot sind auch Gastronomie und Lebensmittelhandwerk. „Insgesamt machen bei uns elf Betriebe aus Berlin und Brandenburg mit. Die Regionalwert AG gibt es darüber hinaus schon in sieben Regionen Deutschlands", so AG-Vorstand Timo Kaphengst.
Geld hilft bei der Umstellung auf Bio
Ziel sei ein von Bürgern getragener Verbund für ökologisch und nachhaltig produzierte Lebensmittel. „Wertschöpfung, Arbeitsplätze, Betriebe und Erzeugnisse bleiben in der Region, und mehr Land wird ökologisch bewirtschaftet", beschreibt Kaphengst das Projekt. In dreieinhalb Jahren seien bereits 1,3 Millionen Euro in zehn Betriebe investiert worden: vom Obstverarbeiter bis zum Dorfladen, vom Hersteller von Haferdrinks bis zum Suppenproduzent. „Also quasi vom Acker bis zum Teller", lächelt Timo Kaphengst.
„Aktuell haben rund 800 Bürgerinnen und Bürger Aktien bei uns gezeichnet. Ihr Investment sichert Arbeitsplätze, stärkt Bio-Betriebe und trägt zu mehr ökologischer Bewirtschaftung bei", sagt Kaphengst, Diplom-Landschaftsökologe und Berater für soziale Innovationen. So würden Aktionäre die Agrarwende praktisch selbst in die Hand nehmen. Der Einstieg sei mit einem Aktienpaket ab 500 Euro möglich. (Der Nennwert eines Anteilsscheins liege bei einem Euro, die Mindestzeichnung bei 500 Anteilsscheinen.) „Unsere Aktien werden nicht an der Börse gehandelt, sondern von uns selbst ausgegeben", erklärt Timo Kaphengst. Solche und ähnliche Anreize müssten eigentlich aus der Politik kommen. Doch die fühle sich anscheinend eher Agrarlobby und Wirtschaft verbunden als dem Wohl der Bürgermehrheit.
Auch Hanna und Johannes Erz vom Bauernhof Erz in Alt-Tucheband machen mit. Im Oderbruch baut der Landwirtschaftsbetrieb auf rund elf Hektar Kartoffeln, Linsen und Hokkaido-Kürbisse an. „Wir verwenden dabei nur samenfestes Saatgut und verzichten auf Hybridsorten, pflanzen Streuobstbäume, legen Hecken an und pflegen engen Kontakt zur Kundschaft", so Johannes Erz, der, wie seine Frau, an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde Ökolandbau studierte. Der Bauernhof ist Lizenzpartner der AG ohne Aktienbeteiligung.
Die Kürbisse würden unter anderem in den Suppen von Regionalwert-Partner „Wünsch Dir Mahl" in Müncheberg ganz in der Nähe verarbeitet. Die Bio-Suppenmanufaktur hat es unter der Marke „Daily Soup" schon bis ins Rewe-Regal geschafft. Eintöpfe und Suppen aus Müncheberg – hergestellt ohne Konservierungsstoffe – findet man aber auch in etlichen Bioläden und „dm"-Drogerien. Beteiligungshöhe der Regionalwert AG an „Wünsch Dir Mahl": 170.000 Euro. Das 2009 gegründete Unternehmen beschäftigt nach eigenen Angaben 17 Mitarbeiter und erzielte zuletzt einen Jahresumsatz von rund 2,1 Millionen Euro. Laut Geschäftsführer Kevin Bäumer sucht die Firma nun sogar einen neuen Produktionsstandort, um der wachsenden Nachfrage zu entsprechen.
Viel Platz haben dagegen schon jetzt die AG-Partner vom Bio-Bauernhof Beerfelde bei Fürstenwalde. Auf rund 640 Hektar Ackerland und 105 Hektar Grünfläche baut Johann Gerdes unter anderem Körnermais, Kartoffeln, Roggen, Soja, Dinkel und Raps an. Neben den insgesamt 30 Äckern ist auch Platz für Tierhaltung mit etwa 70 Rindern. Vom Investitionspartner Regionalwert AG gab‘s 100.000 Euro. Kleinere Brötchen backt man dagegen im Dorfladen Reichenberg. Im nur 50 Quadratmeter großen Geschäft gibt es auch ein kleines Bistro mit Kaffee und Mittagessen.
Berlin ist in der Regionalwert AG ebenso vertreten – mit der „Plattform 2020 für gute Lebensmittel". Die Firma aus der Markthalle Neun in Kreuzberg versteht sich als Bindeglied zwischen Erzeugerbetrieben, Lebensmittelhandwerk und Verbrauchern. Wer es nicht bis zum märkischen Hofladen schafft, kann frische Bioprodukte im Onlineshop (www.plattform2020.berlin) oder in Kreuzberg (Marktstand „Beet & Baum") ordern. In die Firma, die 14 Mitarbeiter beschäftigt, flossen Bürgeraktien im Wert von 100.000 Euro.
Egal, ob großer oder kleiner Partnerbetrieb: Alle wollen die Agrar- und Ernährungswende vorantreiben, so Timo Kaphengst. Dies sei unerlässlich, da es kleine und mittlere Landwirtschaftsunternehmen immer schwerer hätten, mit der auf Wachstum und Export ausgerichteten Agrarindustrie zu konkurrieren. Bund und Europa würden zudem teils völlig falsche Rahmenbedingungen abstecken. Neue Finanzierungs- und Beteiligungsformen könnten dagegen Existenzgründungen in der Öko-Landwirtschaft ermöglichen und Firmen langfristig Rückhalt bieten. Beispiel Regionalwert AG: Wenn etwa ein Landwirt Äcker oder Landwirtschaftsgerät zur Bio-Bewirtschaftung kaufen will, stellt die AG Eigenkapital zur Verfügung. Im Gegenzug wird die AG am Gewinn – so er sich einstellt – beteiligt. Das ermöglicht weitere Investitionen. Eine klassische Gewinnausschüttung an die Bio-Aktionäre (wie bei einem börsennotierten Unternehmen) ist laut Timo Kaphengst nicht vorgesehen. Ähnliche Initiativen gibt es auch bei der Bio-Boden-Genossenschaft und der Kulturland e.G.
Ohne Agrarwende werden regionale Bauern verschwinden
Regionalwert AG-Vorstand Jochen Fritz, Diplom-Ingenieur für Agrarwissenschaften und Biobauer im Nebenerwerb, mahnt eine radikale Ernährungs- und Agrarwende an. „Unsere Ernährungsweise verursacht schon jetzt 40 Prozent des globalen Klimawandels", schrieb er kürzlich in einem Zeitungsbeitrag. Fetthaltiges „Junk-Food", völlig überzuckerte Getränke sowie Billigfleisch würden uns alle gefährden. Fritz moniert die Ausrichtung der hiesigen Landwirtschaft am Weltmarkt. Bestehende Strukturen würden dadurch zerstört. Als Beispiel nennt er die havelländische Stadt Nauen. Vor der Wende gab es hier seiner Schilderung nach Schlachthof, Molkerei, Mühle und eine Seifenfabrik, die unter anderem auch Abfälle verwertete. Geblieben sei davon nichts!
Bliebe die Agrarwende aus, gäbe es in 20 Jahren seiner Ansicht nach kaum noch Bäuerinnen und Bauern, die Berliner und Brandenburger mit frischen Erzeugnissen vom Land versorgen. Dann hätten nur noch Großkonzerne das Sagen. Sein Appell: „Kaufen Sie Milch aus der regionalen Molkerei. Lassen Sie sich Gemüsekisten liefern!" In Brandenburg ist dies unter anderem im Obstgut Müller und bei der BB Selbstpflücke Wesendahl bei Altlandsberg (Märkisch Oderland) sowie in der Gläsernen Molkerei Münchehof (Dahme-Spreewald) sowie bei Hemme Milch Angermünde (Uckermark) möglich.