Ein Standardsatz an Wahlabenden lautet: „Wir müssen das Ergebnis jetzt genau analysieren". Tatsächlich zeigen die Zahlen hinter den Zahlen, wo die Parteien auch in der Wahrnehmung stehen. Sie zeigen Stärken, Schwachpunkte und Aufgaben.
Der in der Höhe so nicht vermutete Überraschungssieg der SPD bei der Wahl Ende März hat die politische Landschaft im Saarland gründlich durcheinandergerüttelt. Die äußeren Rahmenbedingungen sind mit dem Wahlergebnis bekannt. Richtig spannend wird es, wenn man sich die Zahlen hinter den Zahlen ansieht, etwas tiefer analysiert und sich mit den Botschaften beschäftigt, die die Wähler am 27. März neben dem gewünschten Machtwechsel an der Spitze noch so mit auf den Weg gegeben haben.
Der renommierte Trierer Parteienforscher Uwe Jun hat einige dieser Botschaften bei einer Präsentation bei der Konrad-Adenauer-Stiftung mit der Union Stiftung diskutiert, manche Überraschungen herausgearbeitet und andere Einschätzungen vom Wahlabend bekräftigt.
„Die SPD ist jetzt die Saarlandpartei schlechthin", betont Jun. Der Wahlsieger habe „herausgeholt, was zu holen war", und das aus allen Wählerpotenzialen: Wechselwähler, aber auch Wähler, die vordem CDU, Linke oder Grüne gewählt haben. Der erste Eindruck, dass die SPD ihren überragenden Wahlsieg vor allem dem Niedergang der Linken zu verdanken hätte – Oskar Lafontaine somit durch seinen Rückzug und Parteiaustritt indirekt zum Wahlhelfer für die SPD geworden sei – trifft aber wohl nur einen Teil der Wahrheit. 17.000 ehemalige Linke-Wähler votierten diesmal für die SPD, 12.000 sind gar nicht erst zur Wahl gegangen. Für die Linke bedeutet das nach Einschätzung von Jun, dass sie Kleinstpartei geworden ist und „es bleiben wird".
Für die SPD ist der Zuwachs aus dem linken Lager zwar beträchtlich, aber eine andere Zahl zeigt an, was der eigentliche Kern des SPD-Wahlerfolgs war: 33.000 ehemalige CDU-Wähler entschieden sich diesmal für die Sozialdemokratie. Wobei auch das nur teilweise zutrifft. Denn die Wahlentscheidung gründet womöglich nicht so sehr aus einer neuentdeckten Liebe zu den Sozis, es war vor allem wohl eine Entscheidung für Anke Rehlinger. Das hatte sich bereits in den Stimmungstests vor der Wahl abgezeichnet, in denen sich ein ausgeprägter Wunsch nach einer Ministerpräsidentin Rehlinger und einer Regierung unter SPD-Führung immer stärker entwickelte.
SPD ist jetzt die Saarlandpartei schlechthin
Bemerkenswert für die starke Bindungskraft und hohe Mobilisierung bei dieser Wahl ist auch der sehr geringe Anteil von gerade mal 2.000 ehemaligen SPD-Wählern, die diesmal im Nichtwählerbereich auftauchen. 3.000 Ex-Grünen-Wähler haben sich diesmal für die SPD entschieden. Angesichts des knappen Ergebnisses wird sich der ein oder andere womöglich im Nachhinein Gedanken machen. Auch hier stand als Motiv für die Entscheidung die SPD-Spitzenkandidatin im Vordergrund, in vielen Fällen nach dem Motto: lieber sicher den Wechsel wählen und damit im Zweifel auch die Option auf eine Ampel oder sogar Rot-Grün, was ja nach den letzten Umfragen wenige Tage vor der Wahl auch nicht auszuschließen gewesen wäre.
Es war am Ende eine klare Ministerpräsidentenwahl. Damit bestätigt sich der Trend, dass sich Landtagswahlen immer stärker zu Persönlichkeitswahlen entwickeln. Das heißt auch, dass deren Persönlichkeitswerte nach Einschätzungen der Wahlberechtigten, etwa Kompetenz, Glaubwürdigkeit, Verlässlichkeit, Sympathie und andere, eine entscheidende Rolle spielen. „Wähler goutieren eine klare Haltung, die auch durchgehalten wird", konstatiert Uwe Jun. Das hat die Wahl entschieden.
Das weiß auch die CDU selbst. Der historische Absturz hat wesentlich mit dem Spitzenkandidaten zu tun. Jun verweist darauf, dass es bislang nur sehr selten zu einer Abwahl eines Amtsinhabers gekommen ist.
Das aber nur an der Schwäche des Spitzenkandidaten festzumachen, greift aus Sicht von Jun zu kurz. Er sieht die Saar-CDU auch in einen Sog mit der Entwicklung auf Bundesebene, wo die CDU nach Angela Merkel die Bundestagswahl verloren und sich bislang unter dem kurz vor Weihnachten designierten und im Januar dann bestätigten neuen Vorsitzenden Friedrich Merz noch nicht wieder gefangen hat. Der Prozess, aus einer gewissen inhaltlichen Leere wieder Profil zu gewinnen, wird deutlich mehr Zeit in Anspruch nehmen. Das gilt dann auch für die CDU Saar. Der Partei sei „der Kern abhandengekommen", sie habe sich „aus politischen Debatten zurückgezogen" und „auf zahlreichen Politikfeldern eine programmatische Entkernung" erlebt. Harte Worte, aber wohl eine zutreffende Beschreibung des Zustands der Partei nach den langen Regierungsjahren im Bund wie im Land.
Wie diffus das Bild der CDU geworden ist, mag eine kleine Zahl zur Wählerwanderung verdeutlichen. Die CDU hat in alle Bereiche Stimmen abgegeben, an die SPD, in den Nichtwählerbereich, an Grüne, leicht an die AfD. Nur in einem Bereich gab es einen kleinen Zuwachs: etwa 2.000 ehemals Linken-Wähler haben diesmal die CDU angekreuzt, was für die Wahlaufarbeitung allerdings nur eine anekdotische Randnotiz ist.
Wenn man das Profil der Grünen anhand von Wählerwanderungen beschreiben will, zeigt sich die Aufgabe für die Grünen. 3.000 Ex-CDU-Stimmen, 4.000 von Linken stehen gegen 3.000 Abwanderungen an die SPD gegenüber. Bemerkenswert ist, dass es nach diesen Zahlen trotz der Grünen-Vorgeschichte keine signifikanten Abwanderungen in den Nichtwählerbereich gegeben hat. Angesichts des Potenzials, das bei dieser Wahl von Linken und CDU zu erreichen war, sind das eher übersichtliche Zahlen, die aber auch andeuten, dass für die Grünen bei einer einigermaßen stabilen Basis (wenn auch auf nicht allzu hohem Niveau) Luft nach oben ist und das Krebsen an der Fünf-Prozent-Hürde nicht zementiert ist. Das ist nicht in erster Linie eine Frage inhaltlicher Klarheit, schließlich gab es keine inhaltlichen Auseinandersetzungen, sondern eine Frage nach Stabilität und Verlässlichkeit beim personellen Angebot. Immerhin haben sich im Wahlkampf mit den Spitzenkandidatinnen neue Gesichter für die Grünen bekannt machen können.
Die einfachste Zustandsbeschreibung für das Image einer Partei aufgrund von Wählerwanderungen liefert das Bild der FDP: Ein Plus von 5.000 Ex-CDU-Wählern ist die wesentliche Bewegung. Für Wähler anderer Parteien kam die FDP nicht infrage, umgekehrt hat es auch keine signifikanten Abwanderungen zu anderen Parteien gegeben. Das ergibt einerseits ein stabiles Bild, das zeigt aber andererseits auch: Für eine Rückkehr ins Parlament muss sich noch einiges bewegen, die FDP wird sich auch für andere Wählergruppen als nur enttäuschte CDU-Wähler attraktiv machen müssen.
Die Wählerwanderungsanalyse für die AfD ergibt ein erwartbares Bild: Zugewinne von Ex-Linken-Wählern stehen gleichzeitig etwas mehr Abwanderungen in den Nichtwählerbereich gegenüber. Die AfD hat also genau in dem Bereich wieder verloren, von dem sie zunächst profitieren konnte, den Nichtwählern. Den Wiedereinzug in den Landtag haben sie Ex-Linken-Wählern zu verdanken.
Der Nichtwählerbereich ist um 40.000 Personen wieder gewachsen, die bei der letzten Wahl noch mitgemacht haben. Fast die Hälfte davon hatte zuvor CDU gewählt, weitere 12.000 die Linke und 7.000 die AfD. Wähler also von Parteien, die bei dieser Wahl keine gute oder eine miserable Performance hatten. Zudem schien Tage vor der Wahl das eigentliche Rennen (Ministerpräsidentenwahl) gelaufen. Vor diesem Hintergrund scheint die gesunkene Wahlbeteiligung (61,4 nach 69,6 Prozent) nicht dramatisch im Vergleich zu den allgemeinen Entwicklungen. Wirklich zufriedenstellend ist es aber auch nicht.