Mit dem Krieg in der Ukraine stellt sich in der deutschen Politik die Frage nach Irrtümern und Fehleinschätzungen im Verhältnis zu Moskau und Putin. Bundespräsident Steinmeier hat seine eigene Zeitenwende eingeleitet.
Deutlicher kann ein Staatsoberhaupt nicht werden. „Wir sind gescheitert", urteilt Frank-Walter Steinmeier über die deutsche Politik gegenüber Russland, die er als Außenminister viele Jahre selbst mitgestaltet hat. Zweimal war der heutige Bundespräsident für die Außenpolitik verantwortlich (2005 – 2009 und 2013 – 2017). Die Linie der Politik gegenüber Russland war geprägt von der Überzeugung, durch enge wirtschaftliche Verflechtungen Moskau so einzubinden, dass Konflikte und Unterschiede wenn schon nicht ausgeräumt, dann doch wenigstens beherrschbar und handhabbar sein sollten. Die Gas-Pipeline North Stream 2 ist das sichtbarste Symbol dieses politischen Ansatzes. Beide Seiten sollten gleichermaßen davon profitieren wie sie zugleich davon abhängig waren. Selbst nach der Annexion der Krim hielt die deutsche Politik daran fest. „Fast die letzte Brücke zwischen Russland und Europa".
Es ist die bittere Erkenntnis, der sich im Grunde die gesamte deutsche Politik stellen muss: Die Hoffnung, durch immer engere wirtschaftliche Vernetzungen und gegenseitige Abhängigkeiten einen Rückfall in die Zeiten der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts zu vermeiden, war zwar logisch-rational begründbar, aber eben trügerisch gegenüber Machthabern – die, wie Steinmeier es heute formuliert, den kompletten wirtschaftlichen, politischen und moralischen Ruin des eigenen Landes für imperialen Wahn in Kauf nehmen.
„Wir sind gescheitert"
Dass man es bei Putin und seinem Regime mit einer solchen Entwicklung zu tun haben würde, konnte man womöglich anfangs und wollte es dann später nicht wahrhaben. Darauf weisen die vielen in jüngster Zeit präsentierten Zitate und Erkenntnisse hin, die Warnung hätten sein können. Darin liegt viel Konjunktiv, der in Anbetracht der heutigen Situation wohl berechtigt ist. Er lässt aber die Frage offen nach den Alternativen und Risiken.
Ebenso stellt sich die Frage, ob man die vielseitigen Warnungen und Mahnungen der EU-Partner im Osten nicht vor dem Hintergrund des eigenen politischen Ansatzes zu leichtfertig und nicht ernst genug genommen hat, wie sie es – im Nachhinein betrachtet – verdient gehabt hätten. Mit ihrer langen Erfahrung unter sowjetrussischer Vorherrschaft waren sie sicher näher dran, wenn es darum geht, zu verstehen, wie Russland und wie die russischen Machtmechanismen ticken. Was aber auch gleichzeitig ein zweischneidiges Schwert ist, wenn man aus europäischer Sicht Entwicklungen in Mitgliedsländern wie Ungarn, Tschechien oder auch Polen betrachtet.
Hinter vielen dieser Entwicklungen stecken generationenlange Erfahrungen und Prägungen. Deren nachhaltiges Fortwirken zumindest unterschätzt, womöglich sogar ignoriert zu haben, mag mit zu den Fehleinschätzungen geführt haben, die jetzt zu der bitteren Erkenntnis führen: „Wir sind gescheitert mit der Errichtung eines gemeinsamen europäischen Hauses, in das Russland miteinbezogen werden wird". Russland wollte offenkundig nicht einbezogen werden, es wollte, wenn überhaupt, diese Entwicklung dominieren.
Dass es mit einem Russland unter Putins Führung „keine Rückkehr zum Status quo vor dem Krieg" geben kann, ist nach diesem Überfall und den Bildern und Berichten über Gräueltaten, die jetzt bekannt werden, unstrittig. Aber die Frage stellt sich nicht nur mit Blick auf das Regime Putins, die Frage ist grundsätzlicher. Zunächst aber ist oberste Priorität, dass das Morden beendet wird.