Bilder und Berichte aus der Ukraine deuten auf schwere Kriegsverbrechen hin. Der Vorwurf von Völkermord steht im Raum. Jetzt liegt eine entsprechende Klage beim Generalbundesanwalt, auch der Internationale Gerichtshof in Den Haag soll tätig werden.
Juristisch ist es die undankbarste Aufgabe eines jeden Anwalts, eine Klage vorzubereiten, ohne die in einem normalen Strafverfahren gerichtsfesten Beweise vorlegen zu können. Die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Ex-Innenminister Gerhard Baum (beide FDP) sind diese Aufgabe trotzdem angegangen und haben Anklage beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe wegen Verstoßes gegen das Völkerstrafgesetzbuch eingereicht.
Seit 20 Jahren können Kläger auch von deutschem Boden aus Verstöße gegen das Völkerrecht, wo immer in der Welt diese verübt werden, beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe anzeigen. Für den ehemaligen Bundesinnenminister Gerhard Baum geht es hier vor allem um zwei für ihn sehr wichtige Faktoren. „Wir müssen bereits in dem Augenblick, wo dieser furchtbare Krieg in der Ukraine noch andauert, mit der Sicherung der Beweise beginnen", so der FDP-Mann gegenüber FORUM. „Dabei darf man immer eines nicht vergessen: So eine Klage kann für Soldaten, die ja diese Verbrechen an den Zivilisten verüben, auch abschreckend wirken. Recht ist auch eine Waffe", begründet Baum die Klage. Der Bundespräsident sieht das ähnlich.
Entscheidend ist Beweissicherung
Der ehemalige Bundesinnenminister setzt dabei vor allem auf die Wirkung eines solchen „Strukturermittlungsverfahrens". Kommt es tatsächlich zu Verurteilungen von beteiligten Personen, würden diese mit internationalem Haftbefehl zur Fahndung ausgeschrieben und könnten sich zumindest in 192 Staaten der Erde nicht mehr frei bewegen, da sie schon bei der Einreise per Interpol-Fahndungsliste festgesetzt werden könnten. „Völkerrechtsstraftaten verjähren nicht, mögliche Täter wären also lebenslang in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt", so Gerhard Baum. Allein die vorgelegte Strafanzeige, in der es auch klar um Kriegsverbrechen geht, umfasst 40 Seiten und hat einen Beweisanhang von mehr als 100 Seiten.
Eine solche Strafanzeige hat die Generalbundesanwaltschaft eher selten auf dem Tisch. Deren Ermittlungen können unter anderem auch dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag eine wertvolle Vorarbeit leisten, wenn es denn dort zu einem Prozess wegen möglicher Kriegsverbrechen in der Ukraine kommt. Dass sich dort der russische Präsident Putin und sein Außenminister Lawrow einmal verantworten müssten, wie von Bundespräsident Steinmeier gefordert, wird sehr schwierig.
Allein die Sicherung der Beweise für die gerade angezeigten Kriegsverbrechen beim Generalbundesanwalt hier in Deutschland ist äußerst kompliziert. Dazu wurde eine Rechtanwaltskanzlei in Köln von den beiden privaten Klägern Leutheusser-Schnarrenberger und Baum beauftragt. Dr. Nikolaos Gazeas ist als internationaler Strafanwalt erfahren und umschreibt seine Vorermittlungen als Anwalt recht einfach: „Wir brauchen einen strafprozessualen Anfangsverdacht. Das heißt, wir brauchen Hinweise auf zum Beispiel mögliche Kriegsverbrechen. Am Beispiel von Butscha haben wir diese über die Medien anhand von klar nachvollziehbaren Bildern bekommen. Spätestens mit diesen Bildern, deren Adressaten wir klar nachvollziehen können und deren Authentizität außer Frage steht, steht ein Anfangsverdacht auf Kriegsverbrechen außer Frage".
Wertvolle Vorarbeit für Gerichtshof
Doch diese dann zu verifizieren, also gerichtstauglich zu machen, dafür hat der Strafrechtler Gazeas seinen Beisitzer in der Kanzlei, Rechtsanwalt Dr. André Mansky. Der gebürtige Ukrainer lebt seit seinem zweiten Lebensjahr in Deutschland, hat aber immer noch familiäre und freundschaftliche Bande in seiner Geburtsstadt Kiew und spricht vor allem ukrainisch, was unerlässlich ist. Über diese Kanäle konnten wichtige Fakten weiter gerichtsfest gemacht werden. Doch nicht nur Zeugenaussagen von den Orten der mutmaßlichen Verbrechen, medial dokumentierte Bilder und Fotos, sondern auch Informationen der westlichen Geheimdienste werden bei einem möglichen Prozess eine Rolle spielen, so Rechtsanwalt Gazeas. „Allerdings wird es hier bei der Beweislegung vor einem Tribunal sehr schwierig, da die Nachrichtendienste immer ihre Erkenntnisse für verwertbar erklären müssen. Ist die Validität einer Quelle für das Gericht nicht nachvollziehbar, reicht das nicht zu einer Verurteilung von möglichen Kriegsverbrechen". Damit spricht Gazeas das Urproblem von nachrichtendienstlichen Erkenntnissen an. Für die Information, etwa Namen von möglichen Kriegsverbrechern, gibt es immer einen Überbringer, die sogenannte Quelle. Wird diese „Quelle" als Zeuge vor dem Gericht namentlich genannt, dann könnte sie in ihrem Heimatland in Lebensgefahr geraten. Darum steht vor allem bei den Nachrichtendiensten immer eines im Vordergrund: Quellenschutz. Damit droht immer die Gefahr, dass erdrückende Indizien in einem Völkerrechtsverfahren wie dem anstehenden zu Verbrechen im Ukraine-Krieg am Ende nicht durch die klaren Erkenntnisse der Nachrichtendienste gerichtsfest gemacht werden können.
Rechtsanwalt Gazeas ist trotzdem zuversichtlich, was die Ahndung der Kriegsverbrechen in der Ukraine angeht. „In den letzten Jahren wurden mehrere Terrorverdächtige in Deutschland verurteilt. In den Urteilsprüchen stützten sich die Richter auf Indizien, Zeugenaussagen und untermauerten diese mit Erkenntnissen der Nachrichtendienste, die dann doch noch für verwertbar erklärt wurden".