In Nordrhein-Westfalen kämpft Hendrik Wüst um sein Amt. Der Rücktritt seiner Umweltministerin im Nachgang der Aufarbeitung der Ahrtal-Flut belastet den Nachfolger von Armin Laschet, Herausforderer Thomas Kutschaty verspürt Rückenwind aus Berlin und durch die Saarland-Wahl.
Es war ein außergewöhnliches Statement, das Ex-Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Bündnis90/Grüne) vor Kurzem an einem Sonntagabend abgegeben hat. Emotional, persönlich, offen. Bis zu jenem Zeitpunkt, an dem sie jemanden außerhalb der Kamera fragte, wie sie das Statement nun „abbinden" sollte. Jener Moment erlaubte einen Blick hinter die Kulisse und hinterlässt zumindest einen faden Eindruck einer, nun, Kulisse. Hohn, aber auch Mitleid schlug ihr entgegen. Was Spiegel letztlich auch das Amt kostete, waren Unwahrheiten, die sie nur scheibchenweise zugab: über die Teilnahme an Kabinettssitzungen als geschäftsführende Umweltministerin in Rheinland-Pfalz nach der Flutkatastrophe im Ahrtal; ein gemeinsamer Familienurlaub vier Wochen nach der Flut, bei der 134 Menschen den Tod fanden und Tausende obdachlos wurden; die folgende Kommunikation mit ihren Mitarbeitern, in der es um ihr Image als Ministerin ging.
Rücktritt von Ministerin Heinen-Esser
Anne Spiegel hat in einem außergewöhnlich schweren Krisenfall Privates über das Amt und seine Verpflichtungen gestellt. Sie ist jedoch nicht die einzige Ministerin, die innerhalb kurzer Zeit über die Flutkatastrophe fiel. Ursula Heinen-Esser (CDU), Umweltministerin in Nordrhein-Westfalen, hat fünf Wochen vor der Wahl am 15. Mai im größten Flächenbundesland ihren Rücktritt angekündigt. Heinen-Esser hatte ihr Amt niedergelegt, nachdem bekanntgeworden war, dass sie wenige Tage nach der Flutkatastrophe im Juli 2021 mit weiteren Regierungsmitgliedern auf Mallorca den Geburtstag ihres Ehemannes gefeiert hatte. Daran teilgenommen hatten Bauministerin Ina Scharrenbach, Europaminister Stephan Holthoff-Pförtner sowie die damalige Staatsekretärin Serap Güler, alle CDU. Heinen-Esser war nicht sofort nach Bekanntwerden der gemeinsamen Feier nach veröffentlichten Recherchen des „Kölner Stadt-Anzeigers" zurückgetreten – ihr Verhalten, so sagte sie, „sei jedoch nicht vermittelbar" gewesen, es gäbe kein Verständnis, weshalb sie sich letztlich doch zu diesem Schritt entschlossen habe. Sollte sie nach der Wahl ein Landtagsmandat errungen haben, wolle sie auch dies zur Verfügung stellen, so Heinen-Esser.
Kein gutes Zeichen für die NRW-CDU von Hendrik Wüst, der nach Armin Laschets Rückzug vorläufig ins Amt des Ministerpräsidenten kam und nun um seinen Sitz in der Düsseldorfer Staatskanzlei bangen muss – und auf die SPD zeigt. Er sieht im Streit um den Urlaub von Ex-Bundesfamilienministerin Spiegel einen Glaubwürdigkeitstest für SPD und Grüne. „SPD und Grüne haben sich hier in Nordrhein-Westfalen in der letzten Woche moralisch sehr hoch aufgeschwungen und über Ursula Heinen-Esser gerichtet", sagte er am Rande eines Termins in Wuppertal der Presse. „Die müssen jetzt klarstellen, ob diese Ansprüche unabhängig vom Parteibuch gelten oder nur dem Wahlkampf geschuldet waren."
Die Debatte um Spiegels Rücktritt aber kann nicht von dem Bild ablenken, das die nordrhein-westfälische Landesregierung kurz nach der Flut, die sich am 14. Juli durch das Ahrtal wälzte, abgibt. Heinen-Esser unterbrach ihren Urlaub für einen Tag, am 15. Juli, flog aber danach noch mal zurück auf die Insel. Sie habe ihre minderjährige Tochter und deren Freunde zurückholen müssen, begründete sie dies. Güler, nun Bundestagsabgeordnete, hat sich mittlerweile per Twitter-Botschaft entschuldigt: „Pietätlos und falsch – leider trifft beides auf mein Verhalten im vergangenen Juli im Rahmen der Flutkatastrophe in NRW zu." Bauministerin Scharrenbach hatte zu dem Trip nach Mallorca erklärt, sie habe direkt nach der Katastrophe ab dem 16. Juli die Flutregionen besucht und noch vor der Mallorca-Reise die Soforthilfen für die Kommunen auf den Weg gebracht. Zugleich entschuldigte sie sich am Freitag für den Trip: „Ich bin seit 2017 exakt einmal privat ins Ausland geflogen – zweieinhalb Tage, aber es waren schlicht und ergreifend die falschen." Sie fügte an: „Es tut mir sehr, sehr leid, und ich entschuldige mich dafür."
Kopf-an-Kopf-Rennen erwartet
Wüsts Herausforderer Thomas Kutschaty (SPD) forderte nach dem Bekanntwerden der Medienberichte über den Geburtstagstrip der Ministerin ihre sofortige Entlassung und rückt nun auch Wüst, damals Verkehrsminister, in den Fokus: „Ich frage mich schon, was der Ministerpräsident von der Mallorca-Feier seiner Kabinettkolleginnen und -kollegen gewusst hat und zu welchem Zeitpunkt", sagte der SPD-Fraktionschef.
Kutschatys SPD liefert sich in den letzten Umfragen ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit der CDU, der Wahlkämpfer sucht jeden noch so kleinen Vorteil für sich zu nutzen. Die aktuell guten Umfragewerte der SPD im Bund, die gewonnene Saarland-Wahl, all das bietet Wüsts Herausforderern Rückenwind. Derzeit liegen SPD und CDU in den Umfragen etwa gleichauf bei 30 Prozent mit leichtem SPD-Vorteil. Die dringlichsten Themen für Kutschaty: der rasche Ausbau der erneuerbaren Energien, gut und fair bezahlte Arbeit, kostenfreie Bildung von der Kita bis zum Meisterbrief und der Bau von 100.000 neuen Wohnungen.
Die CDU aber gibt sich trotz der Affäre um den Mallorca-Trip zweier Ministerinnen, eines Ministers und einer Staatssekretärin siegesgewiss. Beide Spitzenkandidaten sind sich der Unterstützung aus Berlin gewahr, sowohl von Olaf Scholz, als auch durch Friedrich Merz. Trotz des Wirbels um die Mallorca-Reise sieht Merz gute Chancen für einen CDU-Sieg bei der Wahl am 15. Mai. „Es wird nicht einfach, aber Hendrik Wüst macht als Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen eine außergewöhnlich gute Arbeit". Es gebe „überhaupt keinen Anlass zum Pessimismus".