Bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein (8. Mai) geht es für die CDU bereits um eine entscheidende Weichenstellung. Ministerpräsident Daniel Günther hat eine gute Chance auf den Wahlsieg. Die anschließende Koalitionsfrage könnte noch hitzig werden.
Er ist so was wie der letzte Hoffnungsträger der CDU. Zumindest ist er derjenige, auf den sich aktuell alle Hoffnungen konzentrieren. Daniel Günther, 48, Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, damit quasi Titelverteidiger bei der Landtagswahl am 8. Mai. Geht die Wahl so aus, wie es der letzte Schleswig-Holsteintrend (NDR) ausweist, könnte Günther nicht nur sich selbst, sondern auch dem Bundesvorsitzenden seiner Partei den ersten Wahlsieg in dessen Amtszeit bescheren, und der CDU, gebeutelt von der Bundestagswahlniederlage und geschockt über das Desaster im Saarland, wieder ein Gefühl zurückgeben, auf das sie lange geradezu abonniert schien: Wahlen gewinnen.
Bei der Sonntagsfrage lag die CDU im Norden Ende März bei 36 Prozent, die SPD deutlich auf Abstand bei 20 Prozent, gefolgt von den Grünen (18) und etwas abgeschlagen die FDP mit acht Prozent. Andere Umfragen Ende März weichen nur unwesentlich von diesem Trend ab. Günther könnte demnach statt der amtierenden Jamaika-Koalition (mit Grünen und FDP) entweder weiter allein mit den Grünen regieren, oder eine Koalition mit der SPD eingehen. Im Grunde aber würde er nach eigenem Bekunden am liebsten die Arbeit mit der jetzigen Jamaika-Koalition weiterführen, dem Bündnis, dem bei der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags 2017 nicht wenige Kommentatoren eine Haltbarkeit von allenfalls einer überschaubaren Anzahl von Monaten zugebilligt hatten.
Mehr Optionen für Daniel Günther
Soweit die äußere Ausgangslage, die ein genau gegenteiliges Bild zeichnet, als es bei der vielbeachteten Wahl Ende März im Saarland der Fall war. Dort hatte die SPD mit einem in der Höhe unerwarteten Ergebnis (absolute Mehrheit im Landtag bei 43,5 Prozent der Stimmen) dem amtierenden Ministerpräsidenten und seiner CDU eine herbe Niederlage beigebracht. Gründe dafür waren die SPD-Spitzenkandidatin, Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger, und Kompetenzwerte für Kandidatin und Partei, die deutlich über denen der CDU lagen.
Wenn diese Kriterien in Schleswig-Holstein ebenfalls gelten, dürfte Günther ein Wahlsieg kaum noch streitig zu machen sein. Er hat sich großes Ansehen erworben. Bei der Frage nach Politikerzufriedenheit bekommt er eine überragende Zustimmung von über 70 Prozent, in der Direktwahlfrage liegt er klar vorne. Und seine CDU weist führende Kompetenzwerte in den wesentlichen Politikfeldern auf.
Bundes-CDU-Chef Friedrich Merz lässt sich bei dieser Ausgangslage gerne im Wahlkampf in Schleswig-Holstein blicken. Im Saarland hatte er sich angesichts der tristen Ausgangslage größte Zurückhaltung auferlegt. Man muss die Bedeutung dieser Wahl in Schleswig-Holstein für die CDU nicht künstlich hochstilisieren, was oft bei Landtagswahlen geschieht. Die äußeren Rahmenbedingungen und inneren Befindlichkeiten sprechen dafür eine klare Sprache. Die Wahlberechtigten in Schleswig-Holstein entscheiden über die Zukunft ihres Landes für die nächsten Jahre, das wird auch bei dieser Landtagswahl im Vordergrund stehen. Die wichtigsten Themen für die Menschen im Land sind nach Umfragen sehr landesspezifisch. Mobilität und Verkehr stehen ganz oben, gefolgt von Energiepolitik und dem Klassiker bei Landtagswahlen, der Bildungspolitik. Es folgen im Ranking wichtiger Themen Umweltschutz und Wirtschaftspolitik. Corona spielt zunehmend eine geringere Rolle.
Natürlich sind die Wahlberechtigten auch ein Stück weit mitgeleitet von den großen, übergeordneten aktuellen Themen, die die gesamte Politik beherrschen. Die Zufriedenheit oder Unzufriedenheit mit der Politik in Berlin hat immer einen Einfluss auf Wahlentscheidungen. Letztlich setzen die Wähler aber mit ihrem Votum auch ein weiteres Signal in die gesamte Entwicklung der Parteienlandschaft. Und diese Frage ist in der aktuellen Situation nun mal stark auf die CDU fokussiert. Manche ziehen einen Vergleich der aktuellen Entwicklung der CDU mit dem zeitweiligen Schicksal der SPD. Ein Sieg in Schleswig-Holstein könnte dann nur ein kurzfristiges Aufflackern sein, das bereits eine Woche später in Nordrhein-Westfalen erlöschen könnte.
Das katastrophale Wahljahr 2021, der Wechsel zu Friedrich Merz an der Spitze, die desaströs verlorene Wahl im Saarland, das Bild einer im Bund taktierenden Partei auf der Suche nach einer neuen Rolle – und zugleich bei allem der Blick auf die Wahl eine Woche danach im bevölkerungsreichsten Bundesland NRW, das alles macht diese Wahl zu einer Zwischenetappe. Für Friedrich Merz sowieso, aber damit auch für Daniel Günther. Natürlich ist dessen erste Ambition die Fortführung seiner Arbeit als Ministerpräsident. Ein klarer Wahlsieg wird ihm aber auch in der CDU zusätzliches Gewicht geben.
Günther politisch klar zu verorten fällt, wenn man klassische Raster anlegt, nicht so ganz leicht. Er ist praktizierender Katholik (in einem protestantischen Umfeld), war im Pfarrgemeinderat und im Katholikenrat, hat sich für einen Gottesbezug in der Landesverfassung eingesetzt. Zugleich hat er gesellschaftspolitische Positionen vertreten, etwa Ehe für alle, die für CDU-Verhältnisse ziemlich liberal sind. Aufsehen erregte er, als er in einem Interview die Überlegung anstellte, ostdeutsche CDU-Landesverbände könnten auch mit Linken zusammenarbeiten, „wenn da vernünftige Menschen in der Linkspartei am Werk sind". Günther selbst regiert mit einer Jamaika-Koalition mit Grünen und FDP, der am Anfang auch Robert Habeck bis zu seinem Wechsel in die Bundespolitik angehörte. Das alles ergibt ein Bild von einem modernen Konservativen, christlich verwurzelt, weltoffen liberal. Für manche ein mögliches Leitbild für eine CDU in der Nach-Merkel-Ära. Günther hatte seinerzeit Annegret Kramp-Karrenbauer unterstützt, als es um die Merkel-Nachfolge ging. Überhaupt tat sich Günther auch nie als glühender Unterstützer von Friedrich Merz hervor, wenn es in den letzten Jahren um Personalentscheidungen in der Union ging. Für die linke Tageszeitung „nd" ist Günther ein „Pragmatischer Anti-Merz". Zu dem Verhältnis zu Merz befragt, meinte Günther in einem Interview, sie beide hätten sich inzwischen „weiter entwickelt". Wie weit, wird man vermutlich erst nach den beiden Mai-Wahlen erfahren.
Überraschungskandidat der SPD
Für die SPD will es Spitzenkandidat Thomas Losse-Müller wissen. Für den 49-Jährigen trifft die Bezeichnung Überraschungskandidat zu Recht zu. Der Volkswirt war zeitweise bei der Weltbank tätig, war auch bereits Chef der Staatskanzlei in Kiel (bis 2017 unter Ministerpräsident Torsten Albig, SPD) Bis 2020 war er noch bei den Grünen, im Oktober trat er in die SPD ein, weil es die eine Partei sei, die versuche, „in der Mitte der Gesellschaft Lösungen zu finden, die wirklich zusammenführen". Dass er einen deutlich geringeren Bekanntheitsgrad als der Amtsinhaber hat, macht Losse-Müller nicht nervös. „Ich muss ja nicht vorne liegen, damit wir eine Koalition hinkriegen, in der ich Ministerpräsident werde".
Mit den Grünen jedenfalls könnte er wohl. Die haben inzwischen die längste Regierungserfahrung, sind seit zehn Jahren an der Regierung beteiligt, zunächst mit SPD und SSW (2012–2017), dann mit CDU und FDP. Dass die Grünen auch der nächsten Regierung angehören, gilt zwar als ziemlich wahrscheinlich, isr aber keineswegs ausgemacht. Nach den letzten Umfragen wären auch eine Große Koalition (eher unwahrscheinlich) oder (rechnerisch knapp) eine Koalition aus CDU, FDP und SSW möglich. Der Südschleswigsche Wählerverband – eine Besonderheit – bringt diese Machtoption im Wahlkampf ein. Der 8. Mai könnte also im Norden spannender werden, als es zunächst schien.