Mit dem Großen Preis der Emilia-Romagna startet die Formel 1 in den Europa-Auftakt. Neu: An diesem Samstag entscheidet ein „Quickie"-Sprint über die Startaufstellung — und der erste Startplatz für den GP wird im Freitags-Qualifying vergeben. FORUM klärt auf und blickt zurück auf den GP Australien.
Die Regeländerungen zu Saisonbeginn haben das Machtgefüge in der Formel 1 kräftig durcheinandergewirbelt. Die Verhältnisse haben sich verschoben. Ferrari fährt mit einem Wunderauto und dem stärksten Triebwerk der Konkurrenz auf und davon, Red Bull versucht, Anschluss an die Roten zu halten, und die Silbernen sind unverhofft nur noch dritte Kraft. Die Tyrannei der einstigen Mercedes-Stärke seit der Hybrid-Ära 2014 mit acht Konstrukteurs-Titeln und sieben Fahrer-Weltmeisterschaften, beide Titel in Folge, verdampfte und verpuffte in den Wüstenstaaten Bahrain und Saudi-Arabien. Und jüngst in Australien hat sich Mercedes trotz eines respektablen Ergebnisses schon vorzeitig von einem WM-Titel verabschiedet. So sieht es jedenfalls schon der „böse Wolf(f)", Toto Wolff, der Sportchef der „Mercedes-Sterne", im „Sinkflug". „Diese Saison werden wir wahrscheinlich nicht um den WM-Titel fahren können. Wir müssen die Rennwochenenden als Test sehen, dass wir 2023 wieder dabei sein werden", klagte der schwarzhaarige „Silber-Häuptling" bei Sky. Im Klartext: Der Boss sieht den „Untergang" seiner „Sterne", schreibt die „Sterne" als „WM-Leuchten" ab. Doch jetzt der Reihe nach.
Mercedes auf dem absteigenden Ast
In Down Under, wie Australien wegen seines herunterhängenden Zipfels auf der Landkarte der Südhalbkugel der Erde auch genannt wird, war Ferrari obenauf. Ganz obenauf. Zweiter Sieg im dritten Rennen für Charles Leclerc. Der insgesamt vierte F1-Triumph des Monegassen war eine rote Machtdemonstration. Der rote Titel-Hoffnungsträger war in Down Under unantastbar. Der 24-Jährige bescherte seinem Team im Albert Park von Melbourne einen unangefochtenen, souveränen, eindrucksvollen, makellosen Start/Ziel-Sieg. Mit der Poleposition, dem Sieg und dem Zusatzpunkt für die schnellste Rennrunde gelang Leclerc auch der Hattrick. „Ferrari hat mir ein wunderbares Auto gegeben. Es ist sehr zuverlässig und war von der ersten bis zur letzten Runde hervorragend. Es ist ein Traum, es zu fahren", schwärmte der Sieger vor den TV-Kameras. Leclercs Chef, Ferrari-Capo Mattia Binotto, traut seinem Chefpiloten den WM-Titel in dieser Saison zu. „Wir wissen, wozu Charles in der Lage ist. Er ist ein sehr guter Racer. An seinem Talent muss man nicht zweifeln", stellt Binotto klar. Ferrari ist aktuell mit Leclerc auf WM-Kurs. F1-Experte Christian Danner war sonntagabends im AvD Motor-Magazin bei Sport 1 nach Leclercs Sieg voll des Lobes über Ferraris „Himmelsstürmer", was den Ex-Rennfahrer aber nicht überrascht: „Leclerc ist ein Fahrer der Extraklasse, der hat einmal mehr bewiesen, dass er nicht nur ein sagenhaftes Talent ist, sondern auch wirklich ein Ausnahmefahrer."
Dieses Danner-„Urteil" trifft zweifelsohne auch auf Max Verstappen zu. Doch der aktuelle Weltmeister ist derzeit mit dem Defektteufel, vielleicht auch noch mehr mit der Defekthexe, im Bunde. Drittes Rennen, zweiter Ausfall. Zwei schmerzhafte Nullnummern. Wie beim Auftakt in Bahrain wurde der „Bullen"-Pilot durch einen technischen Defekt gestoppt. „Es gab wieder mal ein Leck im Benzinsystem", klärte Red Bull-Sportchef Helmut Marko später auf. In Runde 39 von 58 Umläufen rollte Verstappen mit rauchendem Heck aus. Ein erneuter K.-o.-Schlag im Kampf um die Titelverteidigung. „Wieder ein Ausfall, wieder Punkte verloren, jetzt haben wir das Rennen nicht mal beendet. Es ist unglaublich, ziemlich frustrierend und inakzeptabel", polterte der Niederländer nach seinem vorzeitigen Feierabend. Verstappens Ziehvater Marko stellte resignierend fest: „Unser Rückstand auf Ferrari war alarmierend. Denen kann man nur gratulieren, sie waren eine Klasse für sich. Ihr Gesamtpaket war für uns unerreichbar. Außerdem sind wir um die zehn Kilo schwerer als die Ferrari." Verstappens Teamkollege Sergio Perez erzielte im zweiten Bullen-Boliden mit Platz zwei zumindest noch einen Bullen-Teilerfolg – bedingt auch durch das Unfall-Aus des zweiten Ferrari-Fahrers Carlos Sainz schon in Runde zwei.
Zweiter Ausfall in drei Rennen für Verstappen
Was aber ist bloß mit Mercedes los? Fakt ist: Mercedes hat derzeit (noch) kein Sieg(er)Auto. Die Situation für „Stern-Star"-Fahrer Lewis Hamilton ist ungewohnt. Nach acht rauschenden Jahren scheint der Überflieger zur Randfigur zu werden. Vorerst ist der 37-Jährige mit seinem einstigen „Killerpfeil" abgehängt. „Siege fühlen sich sehr weit entfernt an", hat Hamilton nüchtern festgestellt. Seinen vierten Platz in Australien bezeichnet der zweimalige „Aussi"-Sieger als „ein großartiges Ergebnis für uns als Team". Sein neuer Stallgefährte George Russell komplettierte mit Platz drei das Podium. Der Jung-Star beteuerte aber unverhohlen: „Man muss dabei sein, um vom Pech anderer zu profitieren."
Und dennoch: Trotz dieser unverhofften, glücklichen Ergebnisse haben die Silberpfeile (noch) zu viele Defizite in zu vielen Bereichen. Eines dieser (Haupt)Mängel ist für den Zuschauer und Laien sogar ganz offensichtlich: Das wilde Hoppeln eines Hasen und das leichtfüßige Hüpfen eines Kängurus des Mercedes-Boliden über die Geraden der Rennstrecken. „Bis jetzt haben wir noch kein Rezept gegen die Hoppelei der Boliden gefunden", klagte der enttäuschte Wolf(f). In der englischen F1-Fachsprache werden dieses „Hoppeln" und „Hüpfen" als „Porpoising" beziehungsweise „Bouncing" bezeichnet.
FORUM wollte es aber bei diesen (technischen) Begriffen für seine Leser nicht belassen und klopfte bei einem Experten an. Christian Danner, Ex-F1-Pilot und F1-Experte bei RTL, erklärte das Hasen-Hoppeln und Känguru-Hüpfen für FORUM, auch wenn eher verständlicher für technische Zeitgenossen: „Man hat keinen flachen Unterboden mehr, sondern man fährt mit einem Flügelprofil unter dem Auto, und das saugt das Auto gerade bei hoher Geschwindigkeit sehr stark an den Boden." Und wenn der Wagen dann aufsetzt, „reißt der Luftstrom ab, und dann geht es wieder nach oben und so weiter. Dadurch entsteht dann das Gehoppel", so Danner. „Aber noch haben nicht alle Teams dieses Problem im Griff", hat unser Experte erkannt. Bei Nichtlösung versinkt Mercedes als Serienweltmeister im Niemandsland.
Konkurrenzverhalten „mit sportlichen Regeln"
Einen Seitenhieb auf den bisher siegesverwöhnten Mercedes-Rennstall kann sich „Bullen"-Sportchef Helmut Marko nicht verkneifen. Beim Talk des Ösi-Senders Servus-TV bekannte der 78-jährige promovierte Doktor der Rechtswissenschaften, dass er ganz froh darüber sei, dass Red Bulls stärkster WM-Gegner in dieser Saison Ferrari heißt und nicht mehr Mercedes. Der „Doktor", wie Marko im Fahrerlager nur genannt wird: „Mit Ferrari kann man sich austauschen, es ist sehr angenehm mit ihnen. Ferrari ist ähnlich wie wir. Da ist Leidenschaft, da ist Emotion, Sportlichkeit und Respekt", begründete der Grazer seine Aussage. Beide Teams hätten ein Konkurrenzverhältnis, „aber mit sportlichen Regeln". Dies zeige sich unter anderem auch unter den Fahrern.
Unter den Fahrern ist derzeit Sebastian Vettel derjenige, der laut Danner „schon mal nachdenken muss, was ich hier eigentlich falsch mache?" Starker Tobak oder richtige Analyse? Vorab: Seinen Zwölf-Stunden-Flug hätte sich der viermalige Champion sparen können. Ausbeute: Null Komma nix! Warum tust du Dir, Sebastian, diesen „Job" noch an, verpasst das Aufwachsen Deiner Kinder, fragten sich seine Fans im Netz. Zum (Negativ) Ergebnis jetzt.
Von einer Corona-Infektion für die ersten zwei Rennen in Bahrain und Saudi-Arabien ausgebremst, ist Sebastian Vettel euphorisch zu seinem Saisondebüt nach Australien gestartet. Doch dort gelandet, ging für den Aston Martin-Piloten so ziemlich alles schief, was gegen den hoffnungsvollen „Seb" schieflaufen konnte. Sein desaströses Horror-Albtraum-Renn-Wochenende im Schnelldurchlauf: Frühzeitiges Aus im ersten Training nach Motorschaden, als Zuschauer verpasstes zweites Training am Freitag, als Zuschlag noch eine Strafe von 5000 Euro, weil er mit einem von einem Streckenposten geliehenen Roller verbotenerweise über die Strecke zu seiner Box gefahren ist, Crash mit Abflug im dritten Training, Last-Minute-Runde sowie Aus im ersten Abschnitt des Qualifyings inklusive 600 Euro Strafe, weil er zu schnell durch die Boxengasse gefahren ist, dann nur Startplatz 17 am Renn-Sonntag und Feierabend nach einem Unfall in Runde 23 und ab ins Medical Center zu einer Routine-Untersuchung, die Entwarnung gab. Vettel verlor die Kontrolle über seinen Aston Martin und schlug in die Mauer ein. „Ich habe versucht, hart zu pushen und habe dann das Auto außer Kontrolle verloren und konnte den Einschlag nicht mehr verhindern. Vielleicht überfahre ich im Moment das Auto", analysierte Vettel sein Crash-Aus. Und bewies anschließend Galgenhumor: „Schlimmer als das Aussie-Wochenende kann es nicht mehr werden."
Bitter für sein Team: Auch im dritten Rennen ist Aston Martin ohne Punkte geblieben, Vettels Teamkollege Lance Stroll wurde Zwölfter und war somit außerhalb der Punkteränge. Aston Martin ist jetzt der einzige Rennstall, der punktlos ist. Williams-Pilot Alex Albon hat als Zehnter mit einem WM-Zähler die rote Laterne an das Vettel-Team abgegeben. Mick Schumacher, wenn auch immer noch ohne einen einzigen WM-Zähler, bekam aber schon einen Titel verliehen. Nach dem niederländischen F1-Portal „Portal f1maximaal" ist „Schumi-Junior" schon jetzt der „Crash-King des Jahres". Seine Unfallschäden für 2022 beziffert das F1-Portal auf weit über eine Million US-Dollar (insgesamt 4,2 Millionen Dollar bei all seinen Unfällen 2021 und bis jetzt 2022). Als 13. Im GP Australien wartet der 23-Jährige im Haas-Team weiter auf seinen ersten WM-Punkt (bis Platz zehn).
Aston Martin nach drei Rennen ohne Punkte
Beim nächsten Rennen in Imola haben alle Fahrer wieder die Chance, sich zu verbessern. Piloten und Zuschauer dürfen sich dann auch auf das erste von drei Sprintrennen in dieser Saison freuen. 2021 war die Uraufführung dieses neuen Rennwochenendes. Am Freitag bestimmte ein Qualifying die Startaufstellung für den kurzen 100-Kilometer-„Quickie"-Sprint am Samstag, der letztlich die Startreihenfolge für das Hauptrennen am Sonntag vorgibt. Vergangene Saison gab es in Silverstone, Monza und São Paulo ein solches Sprint-Rennwochenende, um das Format zu testen. In diesem Jahr kehren die Sprint-Rennwochenenden in Imola, Spielberg/Österreich (9. Juli) und São Paulo/Brasilien (12. November) zurück. Allerdings gibt es einige Neuerungen. Die Poleposition erhält nun der schnellste Fahrer des Qualifyings am Freitag und nicht mehr der Gewinner des Sprintrennens. Gab es 2021 nur Punkte für die Top drei, so erhalten jetzt die besten Acht Punkte, wobei acht Zähler an den Sieger vergeben werden und der achtplatzierte Fahrer noch mit einem Zähler belohnt wird.
Imola ist die Entdeckung der Pandemie. 2020 gab es ein Traditions-Comeback, das begeisterte. Zum dritten Mal in Folge wird 2022 im Autodromo Enzo é Dino Ferrari der Große Preis der Emilia Romagna ausgefahren. Die Strecke im Norden Italiens, 80 Kilometer vom Ferrari-Hauptquartier und Firmensitz in Maranello entfernt, hat mit Michael Schumacher Motorsportgeschichte geschrieben. Siebenmal hat der Teutone dort einen Sieg eingefahren. Bis 2006 fanden hier die Großen Preise von San Marino statt. Dann war Pause für die Tifosi. 2020 kam Imola als zweites Italien-Rennen neben Monza zurück in den Kalender. Fans und Fahrer genießen Rennstrecke und Rennen. Ferrari-Fans noch umso mehr, da Ferrari-Jungsuperstar Leclerc als WM-Spitzenreiter (71 WM-Punkte) seinen Vorsprung auf Rivale Verstappen als WM-Sechster (25) um 46 Zähler ausbauen konnte. Dazwischen liegen auf Platz zwei Russell (Mercedes 37) gefolgt von Sainz (Ferrari 33), Perez (Red Bull 30) und als (abgeschlagener) Fünfter Hamilton (Mercedes 28).