Mit ihm ist ein neuer Politikstil in die Berliner Regierungsblase eingezogen: Robert Habeck formuliert anders, als die Öffentlichkeit gewohnt ist: nachdenklich, zweifelnd, manchmal wie selbstverliebt in seine langen Sätze. Was ist das Neue an ihm?
Seit die neue Regierung im Amt ist, sitzen die Politiker mit offenem Hemdkragen ohne Schlips in den Talkshows (Ausnahme: Christian Lindner), in der Hoffnung, vielleicht dadurch etwas glaubwürdiger und volksnäher zu wirken. Dabei kommt es viel mehr darauf an, wie sie reden: Wenn Bundeskanzler Olaf Scholz etwas vorträgt, klingt es oft wie vorgelesen. Es erinnert an den „Scholzomat". Das soll Selbstgewissheit ausstrahlen und die Menschen beruhigen. Scholz erweckt den Eindruck, dass ihn nichts überraschen kann, er hat alles im Griff, und für jeden Fall Maßnahmen ergriffen oder in Vorbereitung. Habeck dagegen weckt meistens das Gefühl, er würde beim Reden erst formulieren, ganz im Sinne von Kleist, der einen Essay „Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden" geschrieben hat. Das macht ihn sympathisch, weil er die Zweifel teilt, die viele Deutsche selbst umtreiben, und es macht ihn nahbar.
Habeck ist ein neuer Typ Politiker. Viele an der Spitze habe eine eher langweilige Biografie vorzuweisen, weil sie im Leben nie etwas anderes gemacht haben als Karriere in der eigenen Partei. Andere sind Juristen, mit oder ohne Examen, oder Beamte. Habeck hatte ein Leben vor der Politik. Er hat Philosophie studiert, Germanistik und Philologie. Erst mit über 30 Jahren ist er zu den Grünen gestoßen. Davor hat er mit seiner Frau Andrea Paluch zusammen Romane und Kinderbücher geschrieben, englische Gedichte übersetzt und vier Kinder erzogen. Und war damit erfolgreich.
Habeck verkörpert neuen Typ Politiker
Bei den Grünen in Schleswig-Holstein bewies er politisches Talent und stieg vom Kreisvorsitzenden bis zum Spitzenkandidaten für die Wahl 2009 auf. 2012 wiederum Spitzenkandidat übernahm er im gleichen Jahr nach gewonnener Wahl das Amt des Umwelt- und Landwirtschaftsministers. Dass er sich politisch durchzusetzen und zu behaupten weiß, brauchte er dann nicht mehr unter Beweis zu stellen.
In seinem Buch „Von hier an anders" skizziert er seine Vorstellung von Politik als den Versuch, „Distanz zwischen Menschen, die Distanz zwischen den Typen, die man aus dem Fernsehen kennt, und denjenigen, die von politischen Entscheidungen betroffen sind, zu verringern." Als Minister in Schleswig-Holstein habe er immer wieder die direkte Debatte mit den Leuten gesucht, deren Leben sich durch politische Entscheidungen verändern würde. Und umgekehrt – so bekennt er – habe er mit „fragenden und antwortenden, zugewandten und feindseligen, freundlichen und wütenden" Bauern, Kohlekumpeln, Industriearbeitern gesprochen und sich belehren lassen.
Dabei hat er offensichtlich gelernt, wie wichtig Gefühle in der Politik sind. Nicht umsonst hat er eine gewisse Zeit nach der Entscheidung, Annalena Baerbock in der Kanzlerkandidatenfrage den Vortritt zu lassen, gezeigt, wie schmerzhaft das für ihn war. Enttäuschung, Sorge, mangelnde Anerkennung, soziale Abwertung, das Gefühl, nicht gesehen und nicht gehört zu werden, das Gefühl, die eigenen Erwartungen und Vorlieben seien gesellschaftlich nicht mehr gewollt – all das weckt Abwehrreflexe, lässt Menschen sich zurückziehen oder sich an populistische Strömungen wenden. Das betrifft nicht nur die Armen und Abgehängten, denn es ist keine materielle Frage.
Seine Biografin Susanne Gaschke schreibt: „Aus seinen Reden lässt sich heraushören, dass ihm bewusst ist: Die Gesellschaft ist komplexer und ambivalenter als sie in solchen Parteiprogrammen erscheint. Und er hat ein wirkliches Talent darin, verschiedene Strömungen zu einem Kompromiss zusammenzuführen. Das hat er als Landwirtschaftsminister in Schleswig-Holstein gezeigt, auch bei Konflikten in der eigenen Partei. Die Frage ‚Wie kann ich Leute zusammenführen?‘ ist so etwas wie sein Lebensthema."
Das klingt fast zu schön, und Kritiker haben eingewandt, so viel Gutartigkeit wirke fast schon harmlos. Doch was in Habeck steckt, hat er in der Ukraine-Krise gezeigt. Hart muss er sich derzeit gegen seine eigenen Weltrettungspläne stellen. In diesen Kriegszeiten muss er alles dafür tun, die fossilen Energieträger woanders herzubekommen, damit Deutschland von Putin unabhängig wird. Da bleibt keine Zeit, den Leuten Sand in die Augen zu streuen und die Hoffnung zu wecken, wenn alles vorbei ist, werde man sich wieder in Ruhe mit der Energiewende beschäftigen. Nebenbei wird jetzt eigentlich klar: Deutschland konnte sich deswegen so intensiv um erneuerbare Energien kümmern, weil ja immer die Basisversorgung aus Russland da war. Damit ist es auf lange Sicht vorbei.
Für Waffenlieferungen an die Ukraine
Als dann Vorwürfe laut wurden, Habeck hofiere jetzt statt Putin die Herrscher von Katar, die Fußballstadien und Hochhäuser unter elenden Bedingungen mit Billig-Arbeitskräften aus Pakistan und Bangladesch bauen ließen, wurde er in der Talkshow „Markus Lanz" grundsätzlich: Könne es sein, dass wir mit Benzin und Öl aus Saudi-Arabien fahren? Was ist bei Handys, Computern, Fleisch aus Massentierhaltung mit unseren Ansprüchen auf eine umweltfreundliche Produktion? „Der Glaube, dass wir in Deutschland immer alles richtig machen und nur, wenn wir in Ausnahmesituationen nach Katar reisen und Gas kaufen, dann machen wir das Geschäft mit dem Teufel …" empört ihn. Wer meint, wir Deutsche seien immer auf der Seite des Guten, verstehe nicht, dass Politik „manchmal, eigentlich meistens, bedeutet, den relativ besseren Schritt zu gehen."
Tatsächlich war Habeck für Waffenlieferungen an die Ukraine, als alle noch dagegen waren, zum Schrecken der gesamten grünen Partei. Er hat am entschiedensten gegen Nord Stream 2 argumentiert, weil das Projekt die Abhängigkeit vergrößert und Putin in die Hand spielt. Noch vor dem Ukraine-Krieg traf er sich mit zwei Dutzend der wichtigsten Wirtschaftsbosse, um über den Umbau der Wirtschaft zu reden – ein dringenderes Thema gibt es für einen Klima- und Wirtschaftsminister nicht.
Die „Süddeutsche Zeitung" hat ihm den Titel „Zweitkanzler" angehängt. Ob er nun als Überzeugungstäter handelt oder „nur" sich selbst gut in Szene zu setzen weiß, ist eigentlich nebensächlich. Habeck weiß, dass seine momentane Beliebtheit auch wieder verschwinden kann, sich in der Politik ganz oben zu halten, gelingt selten auf Dauer. Trotzdem sieht es so aus, dass er einen politischen Neuanfang mit einer neuen Ehrlichkeit verknüpft hat, schreibt der „Zürcher Tagesspiegel". „Jedenfalls erhält der Grüne gerade viel Respekt und Lob, nicht nur aus dem eigenen Lager, sondern auch von Liberalen und Konservativen. „Ist Robert Habeck nicht eigentlich der bessere Kanzler?", fragen deutsche Medien auf einmal wie im Chor. In dreieinhalb Jahren könnten sich Wählerinnen und Wähler dieselbe Frage stellen."