Ein altes Hobby feiert Renaissance: das Spiel mit der Modelleisenbahn. Während der Pandemie wurden Schienen und Züge wieder vom Dachboden oder aus dem Keller geholt.
Die Schienen der Straßenbahn sind in Kopfsteinpflasterimitat eingepasst. Nicht nur die gelbe Straßenbahn verleiht der Anlage eine Berliner Note, auch der Vorortbahnhof mit den Gusseisensäulchen und dem Stadtbahnviadukt. Wenn abends die Lampen abgedreht sind, blinkt es an den Bahnübergängen der Anlage, setzen Signale grüne und rote Lichtpunkte, leuchten Straßenlaternen. Hier wird eigene Lebenserinnerung abgebildet, in Miniatur konserviert.
Peter Strunk ist Pressesprecher des Technologieparks Adlershof in Berlin. In seiner Wohnung in der Hauptstadt hat er im Arbeitszimmer eine Modellbahnanlage gebaut. Auf Regalen mit Eisenbahnliteratur fährt sie im großen Kreis die Zimmerwände entlang. Wenn Peter Strunk an seinem Schreibtisch sitzt, rauschen die Züge in Augenhöhe um ihn herum. Unter dem Eisenbahnkreis hat er einen Straßenbahnkreis konstruiert.
„Es gelingt, komplett abzuschalten", sagt Strunk. „Und manchmal kommt man in den Flow, dass ich Zeit und Raum vergesse und manchmal bis zu acht, neun Stunden mit einer unendlichen Geduld an irgendwelchen Lötungen, Kabelverlegungen oder auch mit dem Zusammenkleben und Zusammenbasteln von Teilen beschäftigt bin oder versuche, ein altes Flügelsignal mithilfe von Pinzetten unter der Lupe wieder in Ordnung zu bringen, damit es läuft."
Ein altes Hobby feiert also Renaissance: Das Spiel mit der Modelleisenbahn. Gerade in der Corona-Pandemie, während der mehr Zeit daheim verbracht wurde, erinnern sich viele an ihre Eisenbahn-Anlage und holen sie aus dem Keller oder vom Dachboden. Nach wie vor beschäftigen sich fast ausschließlich Jungen und Männer damit. Doch die Modellbahn hat sich vom Spielzeug zum nicht ganz billigen Hobby für Erwachsene entwickelt. Was aber steckt dahinter? Flucht in die heile Welt? Erinnerung an vergangene Zeiten? Entschleunigung?
Vermittelt Geborgenheit
Sonneberg im Süden von Thüringen hat eine lange Tradition als Spielzeugstadt. Wohl auch deshalb fand die Modelleisenbahnproduktion hier ihre Heimat. 1949 war sie unter dem Namen Piko von den Sowjets geschaffen worden, um den gesamten sozialistischen Wirtschaftsraum mit Spielzeug zu versorgen. Piko stand abgekürzt für Pionier-Konstruktion. Nach der Wende hatte das einstige Kombinat Glück und fand einen Käufer. 600 Mitarbeiter hat die Piko-Gruppe heute.
„Die Modellbahner betrachten das als sehr langjähriges, sehr stabiles Hobby", sagt Vertriebsleiter Jens Beyer. „Wer heute eine Modellbahn betreibt, wechselt nicht morgen das Thema. Viele unserer Kunden haben schon als Kinder Bezug zum Produkt gehabt." Modellbahn ist auch Auseinandersetzung mit Elektrotechnik, mit handwerklichem Geschick und Landschaftsbau. Eine Modellbahnanlage gibt Zeugnis der eigenen Kreativität und vermittelt Geborgenheit.
Dem Spiel- oder Anlagenbahner steht der Typ des Sammlers gegenüber, der entweder als Schachtelbahner die Modelle in ihren Verpackungen belässt oder sich als Vitrinenbahner über seine Prunkstücke in Glaskästen an der Wohnzimmerwand erfreut. „Die klassischen Sammler spezialisieren sich auf Themen, Epochen, Baureihen", sagt Beyer. „Die haben zu Hause wahrscheinlich irgendwelche Vitrinen, um ihre Produkte dort entsprechend der Thematik zu sammeln."
Vieles wird in Asien produziert
Im Besprechungsraum von Piko stehen in Vitrinen österreichische Railjets, tschechische Skoda-Lokomotiven und deutsche Fernverkehrszüge in Kleinausgabe. Die Kunden sind nahezu ausschließlich Männer. Ganz im Gegensatz zur Herstellung ihrer Sammelobjekte: Denn in einem großen Raum der Firma Piko sind es ausschließlich Frauen, die Gartenbahn-Schienen biegen oder Styropor in Verpackungskartons schieben. Gartenbahn, das ist das größte Format, das Piko produziert. Eine Lokomotive passt gut in eine Schuhschachtel.
Daneben produziert Piko Exemplare für die gängigste Spurweite, H0. Da haben Lokomotiven die Größe eines Brillenetuis. Spur N ist die kleinste Klasse, Maßstab 1:160. Dazwischen liegt die vierte Piko-Spurweite, das in den ehemaligen Oststaaten verbreitete Format TT, wie Table Top. Denn ein Schienenkreis dieser Größe hat bequem auf einem Küchentisch Platz.
Mittlerweile lassen die meisten Modellbahnhersteller ihre Produkte in Asien herstellen. Der Automatisierungsgrad ist aufgrund der geringen Auflagen unterschiedlichster Modelle nicht hoch. Das macht viel Handarbeit notwendig, ein Kostenfaktor, der hierzulande teuer ist. Die Nummer eins auf dem Markt, Märklin in Göppingen bei Stuttgart, lässt in der Zentrale und in Ungarn produzieren. Märklin war in der Bundesrepublik das, was Piko in der DDR war: das Flaggschiff der Modellbahnen.
Im Jahr 1815 wurde das Unternehmen gegründet. Die Märklin-Modellbahn ist also so alt wie das Spiel mit der kleinen Bahn selbst. Jahrhunderte, in denen sich bestimmte Gesetzmäßigkeiten ausgebildet haben. „Sobald das Kind auf die Welt gekommen war, hat der Papa die Eisenbahn gekauft, weil er gesagt hat: Jetzt hat er seinen Sohn, jetzt möchte er mit ihm Eisenbahn spielen", sagt der Marketingleiter von Märklin, Jörg Iske. „Aber wer hat dann gespielt? Das war oft der Vater."
Die Modellbahnbranche blickt optimistisch in die Zukunft. Sie verspürte während der Corona-Zeit deutlich Aufwind. Während der Homeoffice-Zeit wurden Schienen und Züge wieder vom Dachboden oder aus dem Keller geholt. Jens Beyer von Piko meint, dass sich das Spiel mit der kleinen Bahn antizyklisch zu Krisenzeiten verhalte. „Wenn man Wirtschaftskrisen, Finanzkrisen oder jetzt auch die Corona-Pandemie ansieht, sind das eher Zeiten, wo man sich stärker auf das Hobby Modellbahn oder generell auf das Thema Hobby besinnt", sagt Beyer. Da kämen dann verstärkt Anfragen von Wiedereinsteigern und Neueinsteigern.
Märklin bestätigt das. Man habe 2020 zwar kein gigantisches Umsatzplus erzielt, sagt Jörg Iske, aber nach einem anfänglichen Schock zu Beginn der Pandemie doch noch recht gut die Kurve bekommen. Besonders stark stieg die Nachfrage im Onlineshop des Unternehmens, sodass Märklin teilweise mit dem Liefern nicht hinterher kam.
„Bereicherung des Lebens"
Trotz Konkurrenz durch die Onlineshops gibt es sie noch: Die Modelleisenbahngeschäfte, die bis unter die Decke mit Artikeln angefüllt sind und das Herz jedes Schienenverkehrsfreundes höher schlagen lassen. Etwa in Berlin-Charlottenburg. In langen Glaskästen sind Lokomotiven diverser Hersteller nebeneinander geparkt und mit Preisschildchen versehen. Tüten mit Grasstreu in diversen Grüntönen hängen an der Wand, ein Drehständer ist mit diversen Eisenbahn-Fachzeitschriften bestückt. In durchsichtigen Schächtelchen liegt das, wofür Modellbahnhändler unersetzlich sind, die Ersatzteile: Achsen, Radsätze, Haftreifen. „Den großen Einbruch haben wir mit Stammkunden, die nicht verreisen konnten und in dieser Zeit ihre Eisenbahn ausgepackt haben, wieder relativ wettgemacht", sagt Eigentümer Hartmut Weidemann. „Aber es fehlte natürlich das Laufkundschaft-Geschäft."
„Das Modellbahnhobby, glaube ich, hat durch die Corona-Zeit einen gewaltigen Wiederaufschwung erlebt", sagt Peter Strunk. „Es ist etwas Schönes, Kreatives, Sinnliches, es ist eine Abwechslung. Es ist auch anspruchsvoll, und ich finde, eigentlich eine schöne Bereicherung des Lebens."
Die Modelleisenbahn hat sich weiter perfektioniert. Aus dem klobigen Blechspielzeug von einst sind hochdetaillierte, vorbildgerechte Loks und Waggons geworden, deren winzige Beschriftungen sich sogar noch unter der Lupe scharf ausmachen lassen. Lautsprechergeräusche ahmen den Sound einzelner Lok-Typen nach. Die Digitalisierung hat der Modellbahn einen ungeheuren Entwicklungsschub und Herstellern wie Händlern einen Umsatzzuwachs gebracht.
Modelleisenbahn ist ein Generationsthema, sagt Peter Strunk und zeigt auf ein paar alte Fotos, die oberhalb seiner Anlage hängen. „Das ist die Generationsleiste: Mein Vater mit seinem Bruder 1937, da war mein Vater elf oder zwölf, vor der Märklin-Eisenbahn, Spur 0. Dann ich als Dreijähriger mit der ersten Märklin-Bahn. Und dann das nächste Bild bin ich mit meinem Sohn." Das Spiel mit der Modellbahn: „Es ist der geschützte Raum, wo die Männer sich mal auch über sehr viele andere Dinge unterhalten können."