Olaf Scholz ist weiterhin in schwerem Fahrwasser. In der politischen Debatte um die Lieferung von schweren Waffen an die Ukraine treibt den Bundeskanzler nicht nur die Opposition, sondern auch die eigene Koalition mit einer Gespensterdebatte vor sich her.
Die deutschen Fernsehzuschauer staunten kurz nach Ostern nicht schlecht, als sich der Vorsitzende des Europaausschusses des Bundestages in einer Talk-Show auch als Experte für schwere Waffen outete. Selbst seine Grünen Parteifreunde stutzten, als „der Toni" in militärischen Fachtermini die gängigen russischen Panzerfahrzeuge ausführlich erklärte. Auf Nachfrage führte er dann auch noch die Bewaffnung aufs Kaliber genau aus. Der 52-jährige Biologe ist während seines Kurzaufenthalts in der Westukraine vor Ostern ganz offensichtlich zum Verteidigungsfachmann gereift.
Der Protagonist, von dem die Rede ist, ist kein Geringerer als Anton Hofreiter. Die Wandlung des ehemaligen Grünen Fraktionschefs ist umso verwunderlicher, als Hofreiter nie gedient hat und bis vor Kurzem dem pazifistischen Flügel seiner Partei zugerechnet wurde. Seitdem er nun bei den Grünen ein Vorkämpfer für die Lieferung von schweren Waffen an die Ukraine ist, macht er dem Kanzler das Leben schwer. Selbst die Grüne Außenministerin ist mit dieser Forderung unterdessen sehr viel zurückhaltender. Annalena Baerbock war vor Wochen noch eine der ersten bei den Grünen, die panzerbrechendes Gerät von Deutschland für die Ukraine gefordert hatte.
Deutschland nur bedingt einsatzbereit
Inzwischen ist aber auch bei der Außenministerin angekommen, dass Deutschland zum Beispiel zwar über circa 400 Marder Schützenpanzer verfügt, doch dass die alle auch einsatzbereit sind, darf nicht nur bezweifelt werden. Ihre mangelnde Einsatzbereitschaft wurde auch vom Bundesverteidigungsministerium noch vor Beginn des Ukrainekrieges am 24. Februar offen zugegeben. Doch in den Tagen vor der „Zeitenwende" interessierte das nur mäßig bis gar nicht. Um einen Eindruck der Einsatzbereitschaft von Bundeswehr und Bundesluftwaffe zu bekommen, reicht ein Blick zurück. Vor nicht mal neun Jahren starteten zehn Tornados vom Fliegerhorst Jagel bei Schleswig für die Luftaufklärung in Afghanistan. Drei von ihnen blieben nach der Zwischenlandung in Italien mit Triebwerkproblemen zurück. Weitere drei blieben im Luftwaffenstützpunkt Incirlik in der Türkei auf dem Rollfeld bis auf Weiteres stehen. Tatsächlich landeten vier der Beobachtungs-Tornados in Masa al Sharif, dem deutschen Hauptfeldlager in Afghanistan. Zwei davon werden allerdings als Back-up, oder in Bundeswehrdeutsch, als mobiles Ersatzteillager von den Aufklärungséinsätzen zurückgehalten. Von zehn gestarteten Tornados sind damals also nur vier überhaupt im 8.000 Kilometer entfernten Einsatzgebiet angekommen, zwei davon konnten dann tatsächlich eingesetzt werden. Spätestens da wurde auch den internationalen Militärs klar: Deutschland ist nur bedingt einsatzbereit.
Im politischen Berlin kam man schmerzlich dahinter, dass Deutschland wohl am Hindukusch eher nicht so erfolgreich verteidigt werden kann, da die Truppe bereits vor Jahren reichlich kaputtgespart worden war. Und es wurde fleißig weiter gespart. Das Ergebnis wurde der deutschen Öffentlichkeit im letzten Juni beim Abzug der Bundeswehr aus Kabul in dramatischen Bildern vorgeführt. Dieser letzte Weckruf sorgte nicht für ein Umdenken und damit auch nicht für mehr Geld für die Verteidigung, egal ob bei Luftwaffe oder Heer.
Das ficht die amtierende Vorsitzende des Bundestagsverteidigungsausschusses Marie-Agnes Strack-Zimmermann nicht sonderlich an. Auch die Liberale fordert seit Wochen von Bundeskanzler Scholz schwere Waffen für die Ukraine. Laut Strack-Zimmermann soll die Ukraine von Deutschland direkt Panzer und Fahrzeuge bekommen, die keiner komplexer Ausbildung bedürfen. Kopfschütteln nicht nur beim stellvertretenden Generalinspekteur der Bundeswehr, Markus Laubenthal. „Im Fall der geforderten Marder Schützenpanzer handelt es sich um ein Waffensystem. Wie der Name schon verrät, ist so ein System ohne Ausbildung überhaupt nicht zu bedienen", so der Generalleutnant des Heeres. Ein Schützenpanzer ist eben kein VW-Golf 3, in den man einsteigt und losfährt.
Dieser Logik folgt Bundeskanzler Scholz seit Wochen in seiner Argumentation gegen die Lieferung von schweren Waffen, wenn auch mehr als umständlich und teilweise sogar völlig unverständlich formuliert. Für den Kanzler gibt es aber noch ein anderes, womöglich schwerer wiegendes Argument, denn als die Debatte nach Ostern innerhalb der Regierungskoalition zu eskalieren drohte, mahnte Scholz: „Ich tue alles, um eine Eskalation zu verhindern, die zu einem Dritten Weltkrieg führt. Es darf keinen Atomkrieg geben." Hinter diesen drastischen Worten steckt eben auch die Sorge: Wenn Deutschland schwere Waffensysteme liefert, müssten automatisch die ukrainischen Soldaten daran ausgebildet werden. Da gäbe es dann nur zwei Möglichkeiten: Ukrainische Militärangehörige kommen nach Deutschland zur Ausbildung oder umgekehrt. In beiden Fällen wäre Deutschland dann direkt am Krieg beteiligt. Die nächste Eskalationsstufe. Darum ist man nun im Kanzleramt auf die Idee zu einem militärischen Ringtausch gekommen. Wobei dieser Begriff auch wieder irreführend ist. Panzer werden innerhalb der Nato verschoben. Im Verteidigungsausschuss des Bundestages spricht man dagegen von einem Kuhhandel mit Panzern: Slowenien liefert T-72 Panzer aus seinen Beständen in die Ukraine. Ein Panzertyp sowjetischer Bauart, mit dem die ukrainische Armee sofort etwas anfangen kann, da der T-72 auch zum Bestand des ukrainischen Heeres gehört, oder besser: gehörte. Die dann fehlenden Schützenpanzer in der Verteidigungslogistik des slowenischen Natopartners sollen durch deutsche Lieferungen ausgeglichen werden. Die Bundeswehr verlegt dafür zum Beispiel Marder Schützen- und Fuchs Transportpanzer an die Save.
Ringtausch bringt viele Vorteile
Bundeskanzler Scholz wäre mit diesem Deal in dreifacher Sicht fein raus. Deutschland ermöglicht die Lieferung von schweren Waffen in die Ukraine, die Frage der Ausbildung der ukrainischen Soldaten hätte sich erübrigt und Deutschland erfüllt trotzdem seine Nato-Verpflichtungen. Denn auch darum geht es. Da schließt sich der Kreis. Bundeswehr und Luftwaffe sind zu einer Papierarmee geworden. Auf dem Papier in den Materialstatistiken ist selbstverständlich alles planmäßig vorhanden und wird ordnungsgemäß verwaltet. Da fragt dann lieber niemand im Verteidigungsministerium nach, ob das gelistete Material auch einsatzbereit ist. Je nach Waffengattung und Ausrüstungsgut liegt die Einsatzbereitschaft laut Wehrbericht vom 13. Januar dieses Jahres bei mittlerweile zwischen 45 bis 77 Prozent. Letzteres soll auf die Hauptwaffensysteme zutreffen, also auch auf die besagten Marder Schützenpanzer.
Damit erübrigt sich die Forderung des ukrainischen Botschafters Andrij Melnyk. Dieser hatte dem Kanzler vorgerechnet, Deutschland verfüge über 400 Marder, davon könnte man ohne Weiteres 100 an die Ukraine abgeben. Laut Verteidigungsministerium sind aber knapp 300 der Marder in Ausbildung und vor allem Aufgaben eingebunden. Doch genau die 100, die nicht gebunden sind, meinte der energische ukrainische Botschafter, der sich zwar mit deutscher Militärausrüstung bestens auskennt, aber offenbar mit der Bundeswehrstatistik nicht so vertraut ist. Traut man dieser, dürften die von Melnyk geforderten 100 Marder die 23 Prozent sein, die derzeit nicht einsatzbereit sind.