In „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush" verklagt eine deutsch-türkische Hausfrau den US-Präsidenten, um ihren Sohn aus der Gefangenschaft von Guantanamo zu befreien. Der Film ist wegen seiner Hauptdarstellerin besonders sehenswert.
Bei den Berlinale-Filmfestspielen in diesem Frühjahr war die große Überraschung, dass Meltem Kaptan den Silbernen Bären als beste Hauptdarstellerin bekam. „Meltem wer?", fragten sich das wohl viele Cineasten, denn für die in Köln lebende Schauspielerin ist es die erste Filmhauptrolle. Bekannt geworden ist die 42-Jährige als Komikerin, sie tingelte mit einem eigenen Stand-up-Comedy-Programm über kleine Bühnen, trat mal in Kabarett-Sendungen wie „Nightwash" und „Ladies Night" auf. Dann entdeckte sie der Regisseur Andreas Dresen, erkannte in der drallen Deutsch-Türkin die Optimalbesetzung für die Hauptrolle seines nächsten Filmes. Ein Wagnis, das sich gelohnt hat. Meltem Kaptan ist als Rabiye Kurnaz eine filmische Wucht.
Bremen, kurz nach den Anschlägen am 11. September 2001: Die Türkin Rabiye Kurnaz führt in ihrem Reihenhaus das Leben als bescheidene Hausfrau. Ihr Mann arbeitet im Schichtbetrieb bei Mercedes. Als ihr ältester Sohn Murat über Nacht wegbleibt, reißt der Kontakt ab – und zwar für fünf Jahre. Es dauert, bis Rabiye erfährt, dass ihr Sohn verhaftet und auf die amerikanische Militärbasis Guantanamo gebracht wurde, wo er außerhalb des amerikanischen Rechtssystems, ohne anwaltlichen Beistand und sonstige Rechte inhaftiert ist. Bei den deutschen Behörden bekommt Rabiye wenig Hilfe, denn Murat ist ja türkischer Staatsbürger. Rabiye will um die Freilassung ihres Sohnes kämpfen und kann den Bremer Menschenrechtsanwalt Bernhard Docke zur Hilfe überzeugen. Gemeinsam zieht das Duo durch die Instanzen, verklagt schließlich sogar den damals amtierenden amerikanischen Präsidenten George W. Bush.
Bewegender Film zu Guantanamo
Klingt wie eine tragische Geschichte – und das ist es auch. An dem Unrecht, dass in den Jahren nach den Anschlägen in den USA viele schuldige und auch unschuldige Männer in Guantanamo inhaftiert wurden, ist nichts schönzureden. Aber Regisseur Andreas Dresen hat schon mit vielen Filmen bewiesen, dass er schwere Themen leicht und spannend inszenieren kann. In „Gundermann" (2018) geht es um die unterdrückende Arbeit der DDR-Stasi, in „Halt auf freier Strecke" (2011) muss ein Familienvater akzeptieren, dass er an einem Tumor sterben wird; in „Willenbrock" (2005) wird ein Familienvater durch einen brutalen Überfall aus seinem Leben gerissen.
Dresen erzählt „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush" aus der Perspektive der Mutter Rabiye. Sie ist eine einfache Frau und Mutter, meist gut gelaunt, lebensfroh und optimistisch, aber manchmal etwas naiv, sodass sie – ohne über die Folgen oder die schlechten Erfolgsaussichten nachzudenken – den Kampf um ihren Sohn aufnimmt. Besonders die erste Hälfte des Filmes ist mit einer charmanten Leichtigkeit erzählt, die den Ernst der Geschichte kaum erkennen lässt. Da schreitet Rabiye in das Büro des gestressten Anwalts (Alexander „Gundermann" Scheer) und sagt wie zu einem alten Freund: „Wir kennen uns schon! Naja, vom Telefon. Eigentlich nur aus dem Telefonbuch." Mit Charme überzeugt sie Anwalt Docke für ihre Sache – wenngleich das Duo erst einmal ein ungleiches Paar abgibt. Es liefert sich einige amüsante Wortgefechte, durch die der Anwalt und seine Klientin zusammenfinden. Da muss zwischendurch auch mal ganz in Ruhe ein Kuchen gebacken werden, um ein Miteinander zu entwickeln, einander zu akzeptieren. Denn die Zeit drängt, angezeigt durch die Anzahl der Tage, an denen der Sohn im Gefängnis sitzt.
Kaptan zeigt, dass sie auch Tragik kann
Der Film wechselt ein wenig den Stil und wird poetischer und emotionaler, ohne ins Kitschige zu driften. In den USA angekommen, tritt Rabiye in einer Kirche ans Mikrofon und spricht von sich in unvergleichlicher Klarheit und tiefer Menschlichkeit. Die Szene geht unter die Haut und beweist, dass Meltem Kaptan auch die Tragik in ihrem darstellerischen Repertoire hat. Kaptan ist jederzeit der Mittelpunkt des Filmes, die Kamera hat sie immer im Blick, niemals wird der Zuschauer ihr überdrüssig. Auch nicht, als der Film einige dramaturgischen Schwächen offenbart – etwa, wenn Rabiye als füllige Hausfrau im Fitnessstudio neben einer durchtrainierten Sportlerin steht oder wenn das Drehbuch die erzählten Ereignisse allzu chronologisch-episodenhaft abzuarbeiten scheint.
Zu Recht wurde Kaptan bei der Berlinale für ihre schauspielerische Leistung gewürdigt, es werden sicher noch weitere Auszeichnungen folgen. „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush" ist ein sympathisches und kraftvolles Statement mit einem Finale, das den Zuschauer nicht so schnell loslassen wird.