Bierbrauen ist ein vielschichtiger Prozess. Dass man dafür aber nicht immer eine Brauerei braucht, zeigen drei Freunde aus dem Kreis Neunkirchen.
Gottfried Baltes, Klaus Müller und Dietmar Staudt haben einige Gemeinsamkeiten: Alle drei sind in Rente, sie sind gerne an der frischen Luft, wandern oder fahren Fahrrad – und alle drei mögen Bier. Genauer gesagt, sie trinken nicht nur gern Bier, sie sind vor einigen Jahren auch selbst in die Bierherstellung eingestiegen. Einmal im Jahr treffen sie sich seitdem zum gemeinsamen Brauen. So auch vor einigen Wochen. Nach mehreren Pils-Bieren steht nun das erste Bockbier auf dem Plan. Bis zu 200 Liter dürfen Privatpersonen im Jahr steuerfrei für den Eigengebrauch brauen. Ganz so viel kommt bei den Dreien am Ende nicht heraus, insgesamt sind es 15 Liter: fünf Liter für jeden. Eine kleine, aber feine Menge, die erfahrungsgemäß schnell weg ist.
Vom Biologieunterricht in die Flasche
Zuerst ernteten sie mit dem selbstgebrauten Bier noch ungläubige Blicke, heute können Freunde und Familie gar nicht mehr abwarten, etwas davon abzubekommen. Gottfried Baltes erzählt lachend, dass für ihn als Brauer selbst kaum noch etwas übrig bleibt, wenn er nicht schnell genug ist. Klaus Müller nähert sich dem Brauvorgang indes von der fachlichen Seite: „Wir brauen zwar nur kleine Mengen, aber der Brauvorgang unterscheidet sich nicht von dem Prozess, wie er auch in Brauereien stattfindet. Dort sind es eben nur ganz andere Dimensionen." Müller ist gleichzeitig auch der Initiator des ungewöhnlichen Projekts. Er ist pensionierter Lehrer für Biologie und Chemie und damit sozusagen der Fachmann auf dem Gebiet des Gärprozesses. Und tatsächlich hat er bereits als Lehrer Bier gebraut. „Das hört sich für Außenstehende vielleicht seltsam an, aber ich bin über die Schule dazu gekommen", sagt er. Im Biologie-Lehrplan für die Oberstufe gab es eine Unterrichtseinheit über Enzymatik und Katalyse, und die Schüler wollten von Müller immer Beispiele, wie der Inhalt des Unterrichts im normalen Leben anzuwenden ist. Als er im Fernsehen damals zufällig eine Dokumentation über die Bierherstellung sieht, rutscht der Groschen: Mit seinem Oberstufenkurs könnte er sich den Brauprozess vornehmen – schließlich alles biochemische Prozesse, an deren Ende praktischerweise auch ein trinkbares Produkt steht. Müller liest sich ins Thema ein, klappert Brauereien für die nötigen Zutaten ab und fängt damals in der Schule einige Wochen vor der Abiturprüfung mit seinem Kurs an, das erste Bier zu brauen. Den Zeitpunkt wählen sie so, dass das Bier nach den schriftlichen Abiturprüfungen zum Anstoßen bereitsteht. Die Idee kommt so gut an, dass sie auch bei den folgenden Abiturjahrgängen zum Trend wird. Irgendwann bietet Müller sogar Fortbildungen für Lehrerkollegen von anderen Schulen an.
Wenn er heute als Pensionär den Brauprozess erklärt, fühlt man sich durchaus in den Biologieunterricht zurückversetzt. Wenn die Rede von Enzymen, von Iodprobe mit Lugolscher Lösung oder Amylase ist, hat man das alles vielleicht schon mal gehört, aber dass das, was später in Flaschen aus dem Kühlschrank kommt, wirklich so kompliziert hergestellt wird, darüber macht man sich normalerweise keine Gedanken. „Es denkt ja niemand, dass man als Privatperson Bier brauen kann", sagt Müller. Dass es doch geht, zeigen die Männer mit großer Begeisterung. „Wir haben ein Rezept", erklären sie. Und das sei nur unwesentlich komplizierter als Kuchen backen. Das Rezept hat Müller zusammengestellt – es füllt mit 20 Arbeitsschritten einen ganzen Schnellhefter. Etwas weniger als zwei Monate dauert es vom ersten Schritt mit Hauptgärung und Nachgärung bis zum fertigen Bier. Das ist in der Großbrauerei so, und das ist bei den Hobby-Bierbrauern so. Für das Bier werden ausschließlich geschrotetes Malz, Hopfen, Bierhefe und Wasser verwendet. Der erste Arbeitsschritt ist das Maischen, hier werden Malz und Wasser zusammen in mehreren Phasen aufgekocht. Ziel ist es, die Stärke aus dem Malz zu bekommen, damit sie beim späteren Gärprozess als Malzzucker weitere Arbeit verrichten kann. Anschließend folgen weitere Schritte wie das Filtern der Maische, das Hinzufügen des Hopfens und der Hefe und das erneute Kochen und Filtern. Damit das Bier im März fertig wird, muss im Januar mit dem Brauen begonnen werden. Müller stellt als Brauort zwar seinen Keller zur Verfügung, seine Ausrüstung bringt aber jeder der Männer selbst mit. Das Bier wird nicht in einem einzigen großen Gefäß hergestellt, sondern in drei kleineren. Jeder hat dabei, was er braucht: Töpfe, Rührlöffel, eine mobile Herdplatte, Plastikeimer, Thermometer. Im Laufe der Zeit haben sie ihre Ausrüstung an den nötigen Stellen mit kreativen Mitteln perfektioniert. Wenn sie das Bier zum Beispiel filtern, um es von der Maische zu befreien, dann passiert das durch eine Stoffwindel, die zwischen den Beinen eines umgedrehten Stuhls aufgespannt ist. Sie nutzen Equipment, das jeder zuhause hat. So kann jeder sein eigenes Bier brauen und bei den geschmacklichen Feinheiten noch variieren. Hier kommt auch der pädagogische Ansatz von Lehrer Müller zum Vorschein: „Wenn jeder alles selbst macht, weiß später auch jeder, wie es geht."
Die nötigen Utensilien hat jeder zu Hause
Bier oder zumindest eine Vorform gibt es vermutlich schon seit der Steinzeit. Im Hochmittelalter avancierte es zum Wundersaft, der auch von Hildegard von Bingen zur Stärkung empfohlen wurde. „Bier war damals gesünder als Wasser. Und der Bierbrauer war ein gefragter Mann", sagt Müller. Da es noch keine Thermometer gab, musste der Bierbrauer beim Kochen durch Fühlen abschätzen können, wann die Temperatur für den nächsten Arbeitsschritt stimmt. Denn die richtige Temperatur beim Maischen ist – Stichwort Enzymatik – entscheidend für den weiteren Gärprozess. Den gesundheitsfördernden Effekt, den schon Hildegard von Bingen feststellte, können auch die drei Männer nicht leugnen. Im Bier sind viele Vitamine enthalten, B1, B6, B12, zählt Müller auf. „Haut, Haare, Nägel", sagt er. „Andere kaufen Nahrungsergänzungsmittel in der Apotheke, wir trinken sie gleich mit." Und Dietmar Staudt lüftet am Ende das Geheimnis: „Deshalb sehen wir alle so jung aus!"
Beim ersten Besuch bei Klaus Müller Anfang Februar ist das neue Bier noch nicht fertig. Erst Ende Februar wurde es in Flaschen mit eigenen Etiketten abgefüllt, in denen es noch einige Wochen ruhen musste. Mittlerweile ist es aber tatsächlich trinkbereit. Die drei Bierbrauer sind begeistert: „Wir sind richtig stolz, dass wir diese tolle Farbe hinbekommen haben." Und nicht nur die Farbe passt, das neue Bier schmeckt vollmundig und würzig. Zum Vergleich gibt es noch einen Schluck gekauftes Bier, das gegen das selbstgebraute definitiv haushoch verliert.