Union Berlin ärgert sich über zwei verlorene Punkte gegen Fürth. Ein Sieg im schweren Auswärtsspiel in Freiburg ist fast schon Pflicht, um die Chance auf Europa zu wahren.
Erst am Ende der Pressekonferenz, in der Urs Fischer reichlich Fragen zur schwachen ersten Halbzeit seines Teams beantworten musste, hellte sich die Laune des Trainers auf. Ein Reporter hatte Fischer auf das Jubiläumsspiel und die Rekordausbeute in dieser Saison angesprochen – und die Vorlage nahm der Schweizer gerne auf. „Danke, dass Sie mich daran erinnert haben", sagte Fischer, „man vergisst es, weil heute nicht unser bestes Spiel war. Im dritten Jahr Bundesliga, 100 Spiele, 51 Punkte nach dem 32. Spieltag – das ist außergewöhnlich."
Und eigentlich ein Grund zum Feiern für Union Berlin. Doch Feierstimmung kam nach dem mageren 1:1 im Jubiläumsspiel gegen die SpVgg Greuther Fürth im Stadion an der Alten Försterei nicht auf. Nicht nur die 22.000 Zuschauer, auch die Mannschaft hatte sich gegen den abgeschlagenen Tabellenletzten, dessen Abstieg bereits vor dem Anpfiff besiegelt war, deutlich mehr ausgerechnet. Die verlorenen zwei Punkte könnten in der Endabrechnung im Kampf um die Europapokalplätze noch sehr wehtun, auch wenn Fischer von solchen Rechenspielchen nichts hält: „Das wird man sehen, abgerechnet wird nach dem 34. Spieltag."
Doch schon am 33. Spieltag könnte es zu einer Vorentscheidung kommen. Sollten die Unioner im letzten Auswärtsspiel der Saison am Samstag (7. Mai, 15.30 Uhr) beim SC Freiburg verlieren und zeitgleich der 1. FC Köln zu Hause gegen den VfL Wolfsburg gewinnen, dann ist für die Eisernen allerhöchstens noch Platz sieben möglich. Der könnte am Ende zwar auch zur Teilnahme an der Conference League berechtigen, aber nur, wenn der Pokalsieger (RB Leipzig oder Freiburg) über die Liga einen Champions-League-Platz erreicht. Viel Konjunktiv, deswegen wollen sich die Unioner auch nicht auf Schützenhilfe verlassen und lieber den sechsten Platz, vielleicht ja sogar noch Europa-League-Rang fünf erobern.
Rennen um Platz sechs?
„Wir geben Gas und hauen alles raus", kündigte Kapitän Christopher Trimmel an: „Wir wissen, dass noch vieles möglich ist." Auch Angreifer Sven Michel, der mit seinem Ausgleichstor gegen Fürth zumindest die ganz große Tristesse verhinderte, hat nichts von seinem Optimismus eingebüßt: „Wir haben es selber in der Hand. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir Europa noch schaffen." Allerdings würden die Spiele nun „nicht einfacher" werden, so Michel, „Freiburg wird ein harter Brocken." Die Breisgauer, die nach dem spektakulären 4:3-Auswärtssieg bei der TSG Hoffenheim berechtigte Champions-League-Ambitionen hegen, strotzen derzeit nur so vor Selbstvertrauen. Nur mit einer Leistung wie beim 2:1-Coup in Leipzig könne man auch beim SC „Punkte holen", meinte Michel, „davon bin ich fest überzeugt."
Das Problem ist nur: Der Heimauftritt gegen Fürth war meilenweit davon entfernt. Die erschreckend schwache erste Halbzeit war sogar eine der schlechtesten in dieser Saison der Köpenicker. „Da hat gar nichts gepasst bei uns", sagte Fischer ohne den Anflug eines Schönredens, es hätten „ganz viele Dinge" nicht gestimmt. Sein Team sei „kaum angelaufen", im Spiel mit dem Ball „zu hektisch und unpräzise" gewesen, habe „wenig Aggressivität" gezeigt, das Positionsspiel habe „nicht gepasst". Mit so einer Leistung, fasste der Schweizer schonungslos zusammen, „hast du gegen jeden Gegner Probleme." Eben auch gegen einen feststehenden Absteiger, der viel Moral bewies und Union die Punkte keineswegs auf dem Silbertablett überreichen wollte.
Ob seine Spieler den Gegner auf die leichte Schulter genommen hätten, wurde Fischer hinterher gefragt. „Sicherlich nicht", antwortete der Trainer, „aber es gibt solche Halbzeiten. Wir haben die Basics nicht abgerufen, und dann kommt so ein Spiel zustande". Immerhin gab es reichlich Selbstkritik bei den Profis. Man habe „absolut kein gutes Spiel gemacht", wusste Michel, „das 1:1 am Ende ist ein bisschen glücklich." Auch bei Mittelfeld-Abräumer Rani Khedira war die Enttäuschung „sehr groß", zumal die Leistungssteigerung nach dem Seitenwechsel auch nur bedingt Anlass zur Hoffnung gab: „Es war auch dann nicht so, wie wir uns das vorgestellt haben. Wir haben insgesamt zu schlampig gespielt, zu unsauber." Kapitän Trimmel sprach von einem „schlechten Spiel", das aber auch zur Entwicklung beitragen könne: „Wichtig ist, dass wir aus solchen Spielen lernen."
Den größten Lerneffekt stellte sein Trainer schon kurz nach dem Abpfiff heraus. „Wenn wir uns nicht 90 Minuten am Limit bewegen", warnte Fischer, „dann wird es schwierig". Waren vielleicht die Akkus nach dem kräftezehrenden und emotionsbeladenen Doppelpack gegen RB Leipzig im Pokal und in der Liga leer? „Vielleicht hat es geschlaucht, vielleicht hat es auch etwas in den Köpfen ausgelöst", gab Khedira zu bedenken. Doch generell wollte er das nicht als Ausrede gelten lassen, „das wäre zu einfach." Zumal die Mannschaft „unter der Woche fokussiert" gewesen sei und gewusst habe, „dass es unangenehm ist, gegen Fürth zu spielen".
Michel mit Joker-Qualität
Die Niederlage verhinderte einmal mehr Michel, der sich inzwischen den Ruf des „Superjokers" erarbeitet hat. Sein Tor zum 1:1 nur zwei Minuten nach seiner Einwechslung ließ Erinnerungen an die Vorwoche aufkommen, als er ebenfalls von der Bank kommend die Partie in Leipzig (2:1) mit einem Treffer und einer herausragenden Vorlage fast im Alleingang gedreht hatte. „Entweder man hat es, oder man hat es nicht", sagte der 31-Jährige schmunzelnd. Und Michel hat es – da ist sich auch Teamkollege Trimmel sicher: „Dafür braucht man schon das gewisse Feeling." Nach Anlaufschwierigkeiten läuft es beim dynamischen Angreifer immer besser, „und er wird in Zukunft noch viel mehr Spaß machen", ist sich Trimmel sicher.
Die enormen Joker-Qualitäten des Winter-Neuzugangs aus der Zweiten Liga vom SC Paderborn kämen nicht von Ungefähr, verriet Fischer: Michel würde auch immer mit etwas Wut im Bauch ins Spiel kommen. „Er versucht unter der Woche, sich aufzudrängen. Und dann wird er vom Trainer enttäuscht, weil er nicht in der ersten Elf steht. Aber wenn er dann gefragt ist, ist er auf den Punkt bereit." Diese Einstellung seines Stürmers sei „genau das, was ich von den Spielern erwarte", so Fischer, „man muss ihm ein Kompliment machen." Das Problem ist aber: Der Spieler selbst erwartet dann irgendwann mehr als „nur" die Joker-Rolle. Er werde mit Michel nun aber nicht anders umgehen als zuvor auch, betonte Fischer: „Am Ende der Trainingswoche bekomme ich ein Gefühl für den Kader und die erste Elf. Und dann entscheide ich."
Dass sich Fischer auf seine Bauchentscheidungen verlassen kann, zeigt auch das Beispiel Julian Ryerson. Nachdem sich Dominique Heintz gegen Fürth früh verletzt hatte, wechselte der Trainer nicht etwa den angestammten Linksverteidiger Bastian Oczipka ein, sondern den norwegischen Nationalspieler. Der machte seine Sache auf der eher ungewohnten Position des linken Innenverteidigers gut, auch nach der Umstellung auf eine Viererkette hatte Ryerson keine Probleme mit der Außenposition. „Er hat das sehr gut gemacht, ist ein sehr polyvalenter Spieler und immer da, wenn er gefragt ist", lobte Fischer.