Weiße, kilometerlange Strände, eine ursprüngliche Natur und vielfältige Kunst – im Ostseebad Ahrenshoop gibt es einiges zu entdecken.
Wer von Rostock kommend zunächst die B 105 und dann die L 21 in Richtung der Halbinsel Darß entlangfährt, wird auf den ersten Blick von der Landschaft nicht sonderlich beeindruckt sein. Fast schnurgerade ziehen sich die Straßen durch die flache Gegend, und da ist wirklich nichts, an dem das Auge sich erfreuen will. Erst ab Dierhagen, dem ersten Ostseebad in der nach Norden gestreckten Halbinselkette, ist zu erahnen, dass sich hier eine ganz außergewöhnliche Landschaft zeigt – das Fischland. Am nördlichen Ende dieses schmalen Streifens Festland liegt Ahrenshoop, umspült vom flachen Wasser des Saaler Bodden im Osten, von den Wellen der offenen See im Westen.
Erstmals 1311 wird die Flurbezeichnung „Arneshop", in welcher der dänische Vorname Arne stecken mag, erwähnt, und erst langsam, nach deutscher Besiedlung und Christianisierung 200 Jahre zuvor, wird ab 1390 die Geschichte dieses Fleckens greifbar. Auf den ersten Blick ist heute von den frühen Spuren der Vergangenheit nicht viel zu sehen. Entlang der Hauptstraße laden zahlreiche kleine und größere Hotels, Pensionen, Restaurants und Geschäfte zum Verweilen ein, und sogleich fällt auf, dass der Ort seinen ursprünglichen Charakter als Seebad und Künstlerkolonie noch weitestgehend erhalten hat. Bettenburgen, aufgemotzte Flaniermeilen oder architektonische Zumutungen bleiben dem Besucher bislang erspart, auch die scheinbar unvermeidliche Seebrücke fehlt, Gott sei Dank.
Wie aber kommt es, dass es hier, am offenen Meer, keinen richtigen Hafen gibt, keinen Schiffsanleger? Es waren die Hansestädte Rostock, Stralsund und Greifswald, die solche Pläne des pommerschen Herzogs Bogislaw VI. verhinderten. Um lästige Konkurrenz im florierenden Handelsgeschäft erst gar nicht aufkommen zu lassen, zerstörten sie 1392/1393 kurzerhand den Arenshooper Hafen unter dem Vorwand, Piraten hier das Handwerk zu legen.
Schifffahrt entwickelte sich allmählich
Erst später, aus der Not geboren und dank der Schweden, denen ein Teil der Halbinselkette nach dem Dreißigjährigen Krieg zugefallen war, entwickelte sich allmählich die Schifffahrt. Da die Bauern auf dem verwüsteten Landstrich und den kargen Böden kein Auskommen mehr hatten, Torfstecherei und Fischerei zum Leben nicht mehr reichten, erlaubte ihnen die schwedische Administration den Handel mit landwirtschaftlichen Produkten über die See vor allem mit dem Zeesenboot, nicht länger als zwölf Meter und bestens geeignet für die Fahrt über die flachen Boddengewässer.
Überall in Ahrenshoop und den umliegenden Orten ducken sich deshalb zwischen den Dünen und am Ufer des Bodden liebevoll gepflegte Kapitänshäuser, die Dächer rohrgedeckt und mit als Pferdekopf gestalteten Giebelbrettern. Ganz augenfällig und typisch für das Fischland sind die geschnitzten Türen dieser Häuser, die in kräftigen und leuchtenden Farben zumeist Blumen- und Pflanzenmotive stilisieren. 1815 endet die schwedische Herrschaft, Pommern fällt an Preußen, und der wirtschaftliche Niedergang beginnt. Das Dampfschiff löst das Segelboot ab, die Eisenbahn macht andere Verkehrs- und Handelswege attraktiver, Ahrenshoop wird im wahrsten Sinne des Wortes zum Armendorf. Aber der Abstieg wird ganz ungewollt zur Chance für neue Entwicklungen. Es ist nicht nur das melancholische Bild dieses Niedergangs, das den Ort für andere Menschen wieder anziehend macht. Es ist vor allem die Natur, die hier bis heute an der ganzen Ostseeküste – abgesehen von der Insel Hiddensee – ihresgleichen sucht: weiße, kilometerlange Strände, vom Wind zerzauste und landeinwärts gewachsene Kiefern, Steilufer und das Althäger Kliff, von dem aus man sich den schönsten Sonnenuntergängen einfach nur hingeben muss. Bei klarer Sicht ist sogar die dänische Ostseeinsel Falster zu erkennen. Hier toben gerade im Herbst Stürme, Wind und Wellen, die sich das Land zurückholen, um es an anderen Stellen wieder anzuschwemmen. All das kümmert die flinken und wendigen Uferschwalben nicht. Sie nisten unverdrossen im Steilabbruch.
Nationalpark mit Schutzgebiet
Auf der anderen Seite des schmalen Landstrichs, zum Bodden hin, prägen dunkle Mischwälder wie das Ahrenshooper Holz, weite Wiesen und Heideflächen das Bild, das sich demjenigen nachhaltiger einprägt, der mit dem Fahrrad die flachen Gewässer umrundet. Als Teil des Nationalparks Vorpommersche Boddenlandschaft mit seinen ausgewiesenen Schutzgebieten erholt sich die Natur nach Jahren des volkseigenen Raubbaus wieder und bietet seltenen Pflanzen wie Sonnentau und Wollgras ebenso nachhaltigen Schutz wie Kranichen und Seeadlern, Ringelnattern und Kreuzottern.
Es ist diese ursprüngliche Natur und die unterschiedlichen Lichtstimmungen, die Farben und die einfache Lebensweise der Menschen auf Fischland, die zum Ende des 19. Jahrhunderts Künstler, Maler und Bildhauer anziehen und parallel zum wachsenden Badebetrieb eine regelrechte Künstlerkolonie bilden. 1909 eröffnen Paul Müller-Kaempff und Theodor Schorn den Kunstkaten als Begegnungsstätte und dies blaue Haus war – auch zu DDR-Zeiten – und ist bis heute der kulturelle Ortsmittelpunkt von Ahrenshoop. In den Ortsteilen Niehagen und Althagen wirkten und lebten der Bildhauer Gerhard Marcks und die Schriftstellerin Käthe Miethe, eine der bekanntesten Autorinnen norddeutscher Heimatliteratur. Ebenso auffallend wie der Kunstkaten ist die zentral gelegene „Bunte Stube", eine Buchhandlung im Bauhausstil, die 1922 auf Initiative des Malers und Grafikers Hans Brass eröffnet wurde. Mittlerweile gibt es hier neben Büchern und Bildbänden auch Kunstgewerbe und Textilien zu kaufen. Wer ein typisch Ahrenshooper Mitbringsel erstehen will, ist hier genau richtig.
Was zunächst als Geheimtipp galt, zog schon bald auch Bonzen, Prominente und Günstlinge der Herrschenden an. Das war in
Ahrenshoop nicht anders. Während der NS-Zeit entstanden in Althagen luxuriöse Sommerhäuser für Offiziere der Wehrmacht und Direktoren der IG Farben. Zur DDR-Zeit lockte das System gern Ärzte, Wissenschaftler, Künstler und Direktoren volkseigener Betriebe nach Ahrenshoop. Denn wer hier heimisch und bevorzugt behandelt wurde, machte sich nicht so schnell gen Westen aus dem Staub. Noch heute heißt die Siedlung unweit des Steilufers im Volksmund spöttisch „Millionenhügel".
Tatsächlich besteht die Gefahr, dass das normale, alltägliche Leben sich rarmacht in Ahrenshoop. Zwar wird die Gemeindepolitik nicht so gedankenlos sein, die Fehlentwicklung und die Bausünden der 60er- und 70er-Jahre zum Beispiel in der Lübecker Bucht zu wiederholen oder aus Ahrenshoop ein Sylt des Ostens machen zu wollen. Aber es gibt ungute Vorzeichen. Vor viereinhalb Jahren schloss die Traditionsgaststätte „Buhne 12", die weit über Ahrenshoop hinaus Kultstatus genoss. Die Zahl gastronomischer Angebote ist rückläufig. Stattdessen reihen sich immer mehr neu gebaute Ferienhäuser dicht an dicht, was dem Ort außerhalb der Saison etwas Unechtes, Gespensterhaftes verleiht. Blinde Fenster, verriegelte Türen. Kein Laut, kein Leben. Das Geschäft liegt in den Händen weniger auswärtiger Immobilienhändler, die auch schon mal ganz dreist gültige Bebauungspläne umgehen. Das tut dem Ort nicht gut. Keine Frage – Ahrenshoop ist eine Perle und jede Reise wert. Es gibt so vieles zu entdecken: Die Schifferkirche, originelle Architektur eines kieloben ruhenden Bootes, ein Gebäude, das sich bescheiden und doch unübersehbar zwischen Meer und Bodden einfügt. Daneben der Friedhof. Keramikwerkstätten und zahlreiche Kunstausstellungen. Der Standard touristischer Angebote ist hoch, die Küche außergewöhnlich gut wie zum Beispiel im Hotel „Namenlos", von dessen Terrasse man den Sonnenuntergang genießen kann. Wie schade wäre es, wenn all dies weiter verloren ginge.