Früher lagerten in Porto am Flussufer des Duero die berühmten Portwein-Fässer. Heute feiert die Stadt im Norden Portugals mit dem neuen Museumsquartier „World of Wine" regionale Traditionen.
Dicht an dicht schmiegen sich die Häuser mit ihren roten Ziegeldächern an den Hang; dazwischen verlaufen enge, steile Gassen. Vila Nova de Gaia, Portos historischer Stadtteil am südlichen Flussufer des Duero, ist die Heimat des Portweins. In langgestreckten Lagerhäusern und Kellereien reiften einst die Jahrgänge ihrer Vollendung entgegen. Von hier aus wurde der Port in alle Welt verschifft.
Im Juli 2020 eröffnete in Vila Nova de Gaia die „World of Wine", kurz „WOW". Fünfeinhalb Hektar Weinkellerfläche wurden umgewandelt in ein Quartier mit Museen, Gastronomie und Shops.
Die Gebäude flankieren eine große Plaza mit atemberaubendem Panoramablick: über den Fluss und die markante Stahlbogenbrücke bis hin zu Portos Altstadthügeln. Über allem thront das weiße Kloster, der Bischofssitz, mit seiner runden Kirche.
Ideengeber, Gründer und Chef der „World of Wine" ist der Engländer Adrian Bridge, der in den 90ern in die Besitzerfamilie des Portweinhauses „Taylor’s" einheiratete. Um die Jahrtausendwende gründete er die Fladgate Partnership, die verschiedene Portweinmarken, Hotels und Restaurants vereint. Mit den Übernahmen kam Fladgate in den Besitz ausgedehnter Immobilien in Vila Nova de Gaia. Seine englische Herkunft ist kein Zufall, war doch der Portwein von Anfang an eine britische Angelegenheit: Im Zollstreit mit Ludwig XIV. erließ die britische Krone einen Einfuhrstopp für französischen Wein. Als Alternative entdeckten die Handelsreisenden die Gegend um Porto. Um während der Verschiffung nach England den Gärungsprozess zu stoppen, mischte man hochprozentigen Branntwein bei – der Portwein war geboren.
Fünf-Sterne-Hotel mit Außenpool
Doch heute liegen kaum noch Weinfässer in Vila Nova de Gaia. Immer mehr Weingüter am Duero produzieren inzwischen ihre Tropfen vor Ort. „Auf dem steilen Hang standen ein paar alte Lagerhallen und Bäume. Es gab ein Feld, wo manchmal Sport getrieben wurde, und den Gemüsegarten des Bischofs", erinnert sich Adrian Bridge an den Zustand des Geländes vor zwei Jahrzehnten. Auf der Brache ließ er zunächst das Fünf-Sterne-Hotel „The Yeatman" errichten. Hier hat der Außenpool die Form einer Weinkaraffe; im Spa kommt Traubenkosmetik zur Anwendung.
Als nächstes Großprojekt nahm der frühere Investmentbanker unterhalb des „Yeatman" die „World of Wine" mit ihren Museen in Angriff. „Die wichtigsten Museen des Landes befinden sich in Lissabon", holt der Unternehmer aus. „Porto als Bischofssitz hat keine besondere Museumstradition entwickelt, zumal es kaum Schlösser und Paläste gibt, die sich für Ausstellungen nutzen lassen."
Für die „World of Wine" wurden für eine fünfjährige Bauzeit 105 Millionen Euro investiert; die Hälfte des Geldes stammt aus EU-Fördertöpfen für Stadtentwicklung. Von Adrian Bridge stammt das Konzept. Das multinationale Architekturbüro Broadway Malyan setzt auf eine geradlinige, moderne Gestaltung, die sich behutsam in die Umgebung einfügt. Die Treppe zum zentralen Platz ist mit Azulejos verziert, den ortstypischen gemusterten Fliesen. Anderswo liegen in einem Kellergang noch die schmalen Schienen, auf denen einst die mit Fässern bepackten Loren zum Hafen rollten. Das „Museum für Mode und Textilien" befindet sich in einem historischen Wohnhaus, das auch eine Fresken-Kapelle des Barockbaumeisters Nicolau Nasoni beherbergt.
Kaum ist zu erkennen, wo das Gelände endet und wo die benachbarten Kellereien beginnen. Anfängliche Befürchtungen, die „World of Wine" würde wegen ihrer schieren Größe Portos Weltkulturerbe-Status gefährden, haben sich zerschlagen.
Ein Museum widmet sich dem Kork
„Die ‚WOW‘ steht an einer der schönsten Stellen in Vila Nova de Gaia; mit einem herrlichen Blick über Porto und den Fluss", meint der ortsansässige Musiker João Pedro „JP" Coimbra. Mit seinem neuen Album „Vibra", das an verschiedenen öffentlichen Orten Portos aufgenommen wurde, hat er seiner Heimatstadt ein musikalisches Denkmal gesetzt. „Die ‚WOW‘ im alten Portweinviertel ist eine Hommage an das kulturelle Erbe der Stadt und des Weins", so der Musiker. „Das Projekt ist gut umgesetzt und respektiert die jahrhundertealte Umgebung."
Sieben Museen gibt es hier. In der namensgebenden „Wine Experience" geht es um die Weinregionen, Rebsorten und Produktionsmethoden Portugals. Man kann hier ein Weinfass betreten oder Duftnoten am Reagenzglas erschnuppern. Die Anbaugebiete werden in ortstypischen Wohnhäusern dargestellt. Im Duero-Tal herrscht Schiefer vor. Hier wächst die autochthone Rebsorte Touriga Nacional. Sie dient der Portweinproduktion, bringt aber auch dunkle, tanninreiche Rotweine hervor.
Die frisch erworbene Wein-Expertise lässt sich sogleich in den Restaurants auf dem Museumsgelände anwenden. Ob vegetarisch, Fisch oder traditionelle portugiesische Küche – überall gibt es auch eine ausgesuchte Weinkarte. Als Aperitif ist hier im Norden Portugals der trockene White Port beliebt, der gekühlt getrunken wird.
Wer sein önologisches Wissen weiter vertiefen will, kann die Weinschule besuchen. Im Level-1-Kurs zerdrückt man Trauben in einem Kolben und erlebt die Fermentation anhand eines Miniatur-Holzfasses. Fortgeschrittene lassen sich die Unterschiede zwischen Ruby- und Tawny-Portweinen auf der Zunge zergehen.
Ein weiteres Museum widmet sich dem Kork. Hier lernt man, dass es 25 Jahre dauert, bis eine portugiesische Korkeiche erstmals geerntet werden kann. Rindenstapel und eine Stanzmaschine veranschaulichen, wie der Flaschenkorken entsteht.
Gründer Adrian Bridge hat für die „World of Wine" seine Privatsammlung historischer Trinkgefäße zur Verfügung stellt. Mehr als 1.800 Becher, Gläser und Kelche sind in der „Bridge Collection" versammelt. Die ältesten Exponate, ägyptische Tonschalen als Grabbeigaben, entstanden vor 9.000 Jahren.
„Anhand der Rituale um das Trinken lässt sich die gesamte Geschichte der Menschheit erzählen", meint der Engländer, der persönlich durch die Sammlung führt. In den Vitrinen glitzert böhmisches und venezianisches Glas. Goldene Krüge zeugen vom unvorstellbaren Reichtum der Rothschilds; giftgrün schimmert ein Service aus Uranglas. Adrian Bridge zeigt auch die beiden Gläser, mit denen Englands Premierminister und Außenminister auf den Sieg bei Waterloo anstießen.
Seit Porto vor rund zwei Jahrzehnten Kulturhauptstadt wurde und die Fußball-EM eröffnete, stiegen die Besucherzahlen unaufhörlich. Drei Millionen Touristen kamen 2019 in Portugals zweitgrößte Stadt mit ihren 200.000 Einwohnern.
Der Tourismus brachte das Geld, mit dem historische Gebäude saniert wurden, und schuf zahlreiche Jobs; allein die „World of Wine" beschäftigt rund 350 Mitarbeiter. Zugleich wurden viele Wohnungen zu Urlaubsdomizilen.
Ricardo Valente, Portos Stadtrat für Wirtschaft und Tourismus, freut sich, dass die Touristenzahlen nach dem Lockdown wieder anziehen. Er spricht jedoch auch von einem „Druck, da Dreiviertel der Besucher die Altstadt von Porto nicht verlassen."
Hier kommt die „World of Wine" ins Spiel. Sie könne helfen, die Touristen besser über die Stadt zu verteilen, so Valente. Ein Drittel der Porto-Besucher soll künftig die „WOW" besuchen; so ist es angepeilt. Das Museumsquartier ist für 5.000 tägliche Besucher ausgelegt.
Pool mit pinkfarbenen Bällen
Ricardo Caetano, der als Reiseleiter und Chauffeur arbeitet, ist hin- und hergerissen, wenn es um den Wandel seiner Heimatstadt geht. „Ich verdiene mein Geld mit dem Tourismus", sagt er. „Aber wir müssen auch die Folgen für die Einwohner bedenken. Es wird einfach alles teurer. Sogar in den Kirchen müssen wir jetzt Eintritt zahlen. Und in ganz Porto gibt es keine bezahlbaren Wohnungen."
Der Gästeführer, der in Vila Nova de Gaia wohnt, findet zugleich, dass Portos historisches Weinviertel in den letzten Jahren gewonnen hat. „Früher gab es hier nur die Weinkeller. Die Touristen blieben unten am Fluss. Jetzt haben wir auch ein paar Restaurants und Geschäfte, Radwege und schönere Grünanlagen." Einziger Wermutstropfen: „Der Eintritt in die Museen der ‚WOW‘ ist für Einheimische sehr teuer", stellt er fest.
Das neueste Museum hat Caetano noch gar nicht besucht. Ende Juli 2021 wurde der „Pink Palace" eröffnet, in dem sich alles um den Roséwein dreht. Farbenfroh gestaltete Räume informieren über Anbauregionen und Produktionstechniken – in einer Form, die den Bedürfnissen der Instagram-Generation gerecht wird.
Vor allem geht es um den glamourösen Lebensstil, den der Rosé symbolisiert. Der Besucher kann sich vor einer Palmen-Kulisse im Cabrio fotografieren lassen oder in einen Pool voller pinkfarbener Gummibälle springen.
Unterwegs werden fünf rosige Drinks verkostet. Den Abschluss macht ein fruchtiger Rosé-Port, den der Chef Adrian Bridge vor ein paar Jahren selbst kreiert hat.