In Krisenzeiten sind selbst Genussmittel und schöne Dinge in Gefahr
Der O-Ton von Bundesfinanzminister Christian Lindner hatte die Wirkung eines Tiefschlags, der wohl jeden Ottonormalverbraucher umhaute. „Der Ukraine-Krieg macht uns alle ärmer", sagte er kürzlich mit bierernster Miene. Der FDP-Mann schwor die Deutschen auf einen Wohlstandsverlust ein. Um Himmels willen, unser Wohlstand ist in Gefahr! Das geht richtig an die Substanz, dachte ich, darunter wird letztlich die Lebensqualität jedes Einzelnen leiden müssen.
Nach dem Schockmoment der Rede von Herrn Minister Lindner ging mir dieser indirekte „Wir-müssen-den-Gürtel-enger-schnallen"-Appell nicht mehr aus dem Kopf. Natürlich gehört zum rhetorischen Standardrepertoire von Politikern auch der Hang zur Übertreibung, zur Zuspitzung von Sachverhalten. Doch dann spürte ich tiefe Dankbarkeit dafür, was Lindner mit seinen Worten in mir auslöste: die Rückbesinnung auf die Dinge, die das Leben lebenswert machen.
Auf der Liste meiner wichtigsten Luxusgüter steht unser Kaminofen an erster Stelle. Nicht nur schick sieht er aus und speichert in zwei Natursteinen die Wärme. Er sorgt nebenbei für atmosphärisches Schattenspiel an der Zimmerdecke – wie eine Laterna magica für Erwachsene. So ein Ofen ist ein kleiner Schritt zu einer autarken Energieversorgung – zur vollständigen Autarkie in Energiefragen bräuchte ich allerdings noch ein paar Hektar Privatwald zum Abholzen.
Sie sehen: Ich entwickele mich gerade von einer schwergewichtigen Umweltsau mit zwei Pkw, Gasheizung und einem Haus mit schlechtem Energieausweis zu einer eher mittelschweren. Wenn ich mir vorstelle, dass vermutlich bald wieder ein Orkan vom Kaliber Kyrill über Deutschland hinwegfegt und Millionen wertvoller Bäume umknicken lässt, wird mir ganz kribbelig. Andere Verbraucher kaufen wie verrückt Mehl, Sonnenblumenöl und Toilettenpapier. Ich dagegen denke, dass ich beim örtlichen Brennholzhändler gleich zehn Raummeter für den nächsten Winter vorbestellen sollte.
Über den letzten, gefühlt viel zu langen Winter hat mich eine Großbestellung meiner Lieblingslakritze gerettet. Die leckere Süßigkeit ist an tristen, verloren geglaubten Tagen der perfekte Gute-Laune-Macher und hilft mir zudem dabei, in der kalten Jahreszeit das Kratzen im Hals zu behandeln. Als ich letztens im Discounter einkaufen war, stellte ich fest, dass es im Süßigkeitenregal keine in Tüten abgepackten Lakritze mehr gab. Hatte womöglich die Einzelhandelskette wie schon andere in der Vergangenheit die Süßware aus ihrem Sortiment verbannt? Der Mann an der Kasse konnte dazu nichts sagen. Mir blieben also nur zwei Alternativen: Entweder in anderen Supermärkten die Restbestände aufkaufen oder ein großes Paket auf der Webseite des Lakritz-Dealers meines Vertrauens ordern.
Nichts passt besser zur Lakritzen als ein Glas Rotwein, finde ich. Doch was ich vor einigen Tagen in einer Reportage las, trieb mir die Sorgenfalten auf die Stirn. Die steigenden Temperaturen machen offenbar einigen Weinsorten zu schaffen – so müssen sich die Winzer dem Klimawandel anpassen und ihre Weinanbaugebiete weiter in nördliche Gefilde verlegen. Vielleicht werden wir eines Tages einen Bordeaux aus Deutschland oder auch einen Riesling aus Dänemark genießen können. Nur was passiert zwischen der Ungenießbar-Werdung der Rebsorten und der Umstellung? Ist da nicht eine Versorgungslücke vorprogrammiert?
Apropos drohende Unterversorgung: Ich bin Schallplattensammler, das heißt entweder ständig auf der Suche nach LPs, die meiner Sammlung noch fehlen, oder nach Platten neuer Lieblingsbands, die einen Platz im Regal verdient haben. Da mache ich mir aber nichts vor: Ich bin gepackt von einer Sammelwut, die bis zu meinem Ableben nicht aufhören wird. Es kann vorkommen, dass ich über 100 Tage auf eine Plattenbestellung warte, weil die Pressung eines Albums mehrfach wegen der überlasteten Presswerke in Europa verschoben werden musste.
Nicht auszudenken was wäre, wenn der Tag X eintritt und das schwarze Gold einmal nicht mehr gepresst werden kann. Denn: Vinyl wird aus Kunststoffpellets hergestellt – und diese wiederum bestehen zu einem kleinen Teil aus Erdöl. Offenbar hat die Plattenindustrie noch keine Lösung für die umweltfreundliche Schallplatte gefunden.
Ganz ehrlich: Ich danke Ihnen dafür, Herr Lindner, dass Sie mich an all die kostbaren Dinge in meinem Leben erinnert haben.