Dem berühmtesten deutschen Archäologen ist bis Anfang November eine Sonderausstellung in Berlin gewidmet. Dabei geht es ebenso um den „unbekannten" Schliemann wie um eine kritische Auseinandersetzung mit den Grabungsmethoden seiner Zeit.
Alles beginnt mit dem Rauschen des Meeres – und mit der sich über mehrere Leinwände ziehenden historischen Darstellung eines Schiffbruchs. Eine Zeichnung, auf der sich Wellen türmen, man förmlich die Gischt der Wogen zu spüren scheint. Und auf der ein Segelschiff bedrohlich zur Seite gekippt ist. Die Schilderung eines Ereignisses, das Heinrich Schliemann vielleicht sein Leben lang prägte, ist quasi das Entree für die große Sonderausstellung „Schliemanns Welten".
Wie beschrieb es der spätere Entdecker des „Schatzes des Priamos" in einem Brief an seine Schwester? Er habe sich an eine Planke klammern müssen, sei knapp mit dem Leben davongekommen. Stattdessen aber – und das wisse man aus den damaligen Berichten der Versicherung, sei die Rettungsaktion geordnet abgelaufen, keiner der Passagiere auf dem Segler hätte um sein Leben fürchten müssen. Dies betont Prof. Matthias Wemhoff, der Direktor des Museums für Vor- und Frühgeschichte, um gleich noch nachzulegen. Schliemanns Tagebücher zeichneten sich häufig durch solch dramatische, wahrscheinlich ordentlich übertriebene Darstellungen des eigentlich Geschehenen aus. Der Geschäftsmann und Archäologe habe früh begonnen, an seinem eigenen Mythos zu arbeiten.
Doch der Reihe nach. Tatsächlich beginnt die große Schau in der James-Simon-Galerie und im Neuen Museum mit einem Kapitel im Leben des jungen Heinrich Schliemann, das vielen nicht bekannt sein dürfte. Im Alter von 19 Jahren wollte der junge Mann nach Venezuela auswandern, womöglich, um dem Vater und dessem schlechten Ruf zu entkommen. Wegen des Schiffbruchs kam Schliemann aber nicht weiter als bis zu den Niederlanden. So ging er nach Amsterdam, fand hier eine Anstellung als Kontorbote.
Ganze Welt als Handlungsraum
All das wird im ersten „Kapitel" von „Schliemanns Welten" erzählt – mit vielen Objekten, Zeichnungen, Bildern und Dokumenten. Und auch durch Schliemann selbst, der Besuchern an verschiedenen Stationen in eigens für die Schau aufgenommenen Videoszenen entgegentritt. Dargestellt wird er von Schauspiel-Ikone Katharina Thalbach. Als Kontorangestellter in Amsterdam begegnet man Thalbach, pardon, Schliemann beim Russisch-Studium. Denn schnell hatte der junge Mann erkannt, dass ihm Sprachkenntnisse bei seiner Karriere weiterhelfen würden, so machte er sich an ein Selbststudium. Mithilfe einer russischen Übersetzung der „Abenteuer des Telemach" brachte er sich Russisch nach und nach so gut bei, dass er schließlich nach Sankt Petersburg gehen und dort in der Dependance der Amsterdamer Handelsagentur arbeiten konnte.
Ein großer Schlitten aus der Sammlung der Staatlichen Museen und winterliche Darstellungen von Sankt Petersburg führen ins nächste Kapitel von Schliemanns ziemlich facettenreichem Leben ein. In Vitrinen sind Proben der Produkte zu sehen, mit denen Schliemann als Lieferant der zaristischen Armee im Krimkrieg ein Vermögen machte – verschiedenste Metalle und Salpeter zur Herstellung von Munition beispielsweise. Schliemann heiratete, gründete in Russland eine Familie und zählte in der Stadt bald zu den angesehensten Geschäftsleuten.
Szenenwechsel – von Russland nach Kalifornien. Mitte des 19. Jahrhunderts befand sich Amerikas Norden im Goldrausch, an dem viele teilhaben wollten. So auch Heinrich Schliemann, der beschloss, im damaligen Goldgräberstädtchen Sacramento eine Bank zu gründen. Dabei war er so erfolgreich, dass er weiteres Vermögen ansammeln konnte. Verblüffend sei es aus heutiger Perspektive, sagt Professor Mathias Wemhoff, wie anpassungsfähig er agiert habe. Stets habe er die ganze Welt als seinen Handlungsraum betrachtet – von den verschneiten Wäldern Russlands bis hin zu den kalifornischen „Boomtowns" des 19. Jahrhunderts.
Irgendwann, so lässt sich heute vermuten, muss ihn das Anhäufen von Geld und Gütern gelangweilt haben. Schliemann wollte mehr und begab sich auf Reisen, die teils abenteuerlich abliefen. Trotz seines Vermögens war er nicht auf Komfort aus, wollte in Indien, China, Japan in die Kulturen eintauchen, was man als Besucher der Schau ebenso tut. Hier nämlich kommen zahlreiche Exponate aus den Sammlungen des Ethnologischen Museums und des Museums für asiatische Kunst ins Spiel. Sie illustrieren – beispielsweise ein Holzschnitt mit einer Hafenszene aus dem Japan des 19. Jahrhunderts – das, was Schliemann in seinem Buch über die Asienreise beschrieb. So gibt es unter anderem ein Modell einer japanischen Beerdigungszeremonie, das aus den Berliner Sammlungen stammt. Dies passt verblüffend zu Schliemanns Beschreibungen des Ritus.
Zwei Goldmasken in einem Grab
Es folgen Studienjahre in Paris, in denen sich Schliemann mit Homer beschäftigte und die Idee entwickelte, Troja zu finden. Das ist auch der Einschnitt in der Ausstellung, bei dem man von der James-Simon-Galerie ins Neue Museum wechselt und somit vom biografischen in den archäologischen Teil.
Und passender könnten die Säle für diesen zweiten Teil der Sonderausstellung kaum sein. Hohe, mit etwas Stuck verzierte Decken, scheinbar abblätternde Farbe an den Wänden und dazwischen der Blick in den Grabhügel von Troja. 17 Meter tief hatte Schliemann auf einer Fläche von rund 800 Quadratmetern graben lassen, dabei einerseits unwiederbringlich ein großes archäologisch ebenso bedeutsames Areal zerstört. Andererseits war er auf den „Schatz des Priamos" gestoßen, zu dem neben den spektakulären Goldfunden auch Keramikgefäße, Metallgegenstände und beispielsweise Botanikproben gehören. Nicht alles natürlich – schließlich umfasste seine „Sammlung Trojanischer Altertümer" rund 10.000 Objekte – kann gezeigt werden, aber doch eine beeindruckende Auswahl – bis auf die Goldfunde, die weiterhin im Moskauer Puschkin-Museum präsentiert werden.
Von Troja nach Mykene, dem zweiten wichtigen Grabungsort Schliemanns. Eine Nachbildung des Löwentors, des Haupteingangs zur antiken Stadt, begrüßt die Ausstellungsbesucher. Heinrich Schliemann hatte – Homer und die „Ilias" als Wegweiser nehmend und wie eine Karte lesend – 1874 im griechischen Mykene gegraben. Und war hier auf ein Grab mit drei Skeletten und aufwendig gestalteten Beigaben gestoßen, vor allem auf zwei Goldmasken. Zwar glaubte der Archäologe, in einem der Gesichter den sagenhaften König Agamemnon identifizieren zu können, doch Experten wiederlegten es. Schließlich stammen die Masken aus der Zeit um 1600 vor Christi, der homerische Held müsste 400 Jahre später gelebt haben.
Zu sehen sind rund 700 Exponate
Wie ging es für Schliemann nach seinen spektakulären Funden in Troja und Mykene weiter, wie arbeitete er an seiner Legendenbildung, und wie wurde seine Leistung von der Wissenschaft im 19. und 20. Jahrhundert bewertet? All dem geht ein weiterer Teil der Ausstellung nach. Dabei „betritt" man Schliemanns mit antiken Motiven üppig ausgestalteten Stadtpalast in Athen, erfährt, wie der Archäologe und seine zweite Frau, die Griechin Sophia, in ihrer Heimat verehrt wurden. Aber auch, dass Schliemann lang auf wissenschaftliche Anerkennung warten musste, in den 1970er-Jahren heftig kritisiert und wegen Wiedersprüchen in seinen Schriften als Betrüger angesehen wurde.
Mit rund 700 Objekten aus den verschiedenen Berliner Sammlungen aber auch zahlreichen internationalen Leihgaben wie aus dem Nationalmuseum Athen wird ein äußerst umfassendes Bild des Geschäftsmanns und Archäologen Heinrich Schliemann gezeichnet, mit so einigen Facetten, von denen viele bislang vermutlich nichts wussten. Genügend Zeit für den Besuch sollte man also auf jeden Fall einplanen.