Ein Linksbündnis will den Präsidenten bei den Parlamentswahlen bremsen
Nach dem nicht gerade strahlenden Sieg bei der französischen Präsidentschaftswahl gab sich Emmanuel Macron zunächst bescheiden, ja fast demütig. „Jetzt beginnt der schwierigste Part", soll er am Abend seiner Wiederwahl gesagt haben. Seine Herausforderin Marine Le Pen kam immerhin auf 41,5 Prozent – so viel hatte noch nie ein Kandidat oder eine Kandidatin der Rechtsextremen erzielt.
Doch die Ernüchterung hielt nicht lange an. Bei seiner Rede im EU-Parlament am Montag in Straßburg war Macron wieder in seinem Element: Er entwarf kühne Pläne. Er wolle eine „europäische politische Gemeinschaft" schaffen, schwelgte der Präsident. Einen Staatenbund, der größer ist als die EU. Macron warb für eine Zusammenarbeit in Politik, Energie, Sicherheit oder Verkehr. Hier soll sowohl Raum für Länder sein, die die Gemeinschaft verlassen haben – in diese Kategorie fällt Großbritannien. Zum anderen denkt der Staatschef an neue EU-Aspiranten wie die Ukraine. Deren Aufnahme würde „vielleicht Jahrzehnte" dauern, mahnte er.
Macrons XXL-Europa liegen zwei Motive zugrunde. Erstens: Er will die EU nicht überfrachten. Der Club der 27 tut sich bereits heute schwer mit einstimmigen Entscheidungen zur Außen- und Sicherheitspolitik. Bei neuen Mitgliedern wie der Ukraine oder den Westbalkan-Staaten befürchtet der Franzose zusätzliche Komplikationen, um zu einem Konsens zu kommen. Also schlägt er eine losere Union mit weniger Verbindlichkeiten vor. Darüber hinaus erhofft er sich durch den größeren Verbund ein wirksameres Gegengewicht zu einem aggressiven Russland.
Zugleich sprach sich Macron für eine Vertiefung der EU aus. Zu diesem Zweck sollen die Verträge der Europäischen Union geändert werden, um etwa die Geldpolitik zu vereinheitlichen. Auch das Schengener Abkommen zum Wegfall fester Grenzkontrollen müsse runderneuert werden. Es ist eine alte Idee, der Macron neues Leben einhauchen will. Seit seiner Wahl 2017 macht er sich für eine gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik der EU stark. Dazu gehören auch schuldenfinanzierte Konjunktur-Programme wie der 750 Milliarden Euro schwere Corona-Wiederaufbaufonds.
Dass der Präsident zu Beginn seiner zweiten Amtszeit derart ambitionierte Europa-Projekte startet, hat allerdings auch mit innenpolitischen Gründen zu tun. Die Parlamentswahlen im Juni werden die eigentliche Machtfülle des Staatschefs in den nächsten fünf Jahren entscheiden. Vieles deutet darauf hin, dass Macron künftig nicht mehr über eine so komfortable Mehrheit verfügen wird wie bisher. Wenn es schlecht läuft für ihn, hat er gar keine Mehrheit mehr.
Der linksradikale Volkstribun Lean-Luc Mélenchon hat es geschafft, eine Allianz gegen Macron zu schmieden. Seine Partei „La France Insoumise" verbündete sich mit den Sozialisten, Kommunisten und den Grünen zu einer „Neuen ökologischen und sozialen Union". Wird diese in der Nationalversammlung zur stärksten Kraft, müsste Macron den Premierminister aus diesem Block berufen. Vor allem in der Innenpolitik könnte der Präsident nicht mehr so frei agieren wie bisher. Dreimal gab es bislang in der V. französischen Republik diese Konstruktion der „Cohabitation", in der der Präsident und der Regierungschef aus unterschiedlichen politischen Lagern stammten.
Ein Premierminister Mélenchon wäre für den Präsidenten ein Problem. Der notorische Quertreiber will den Kurs des „sozialen Kahlschlags" beenden. Macron hatte den Kündigungsschutz gelockert – die Arbeitslosenrate sank danach von knapp zehn auf rund sieben Prozent. Nun plant Macron, das Renteneintrittsalter von 62 auf 65 Jahre anzuheben. Die Links-Opposition läuft Sturm. Mélenchons Gegen-Programm: Rente mit 60, deutliche Erhöhung des Mindestlohns, „Ungehorsam" gegenüber Brüssel.
Macron will diese Kampfansage taktisch kontern. Er setzt voll auf Europa, weil er weiß, dass die Mehrheit der Franzosen in dieser Frage hinter ihm steht. Die EU-Skeptiker rund um Mélenchon können hier nicht punkten. Dennoch wird dies nicht reichen. Der Präsident muss seinen wirtschaftsfreundlichen Kurs, der durchaus Erfolge zeitigt, mit einer größeren sozialen Balance austarieren. Und er sollte eines tun, was ihm in den vergangenen Monaten abhandengekommen ist: seine Politik erklären und mit seinen Landsleuten kommunizieren.